Ostdeutscher Dichter Ostdeutscher Dichter: Schriftsteller Dieter Mucke gestorben

Halle (Saale) - Sein erstes, von ihm selbst als gültig anerkanntes Gedicht verfasste Dieter Mucke 1963. An einem Sommernachmittag hatte der damals 27-jährige Wahl-Hallenser mit seiner Tochter unter einem Apfelbaum gespielt. Die Dreijährige fragte: Vater, wie schmeckt die Sonne? Das „Gedicht für Rahel“ entstand, in dem es heißt: „Ich klettre barfuß / Auf den Ästen eines Apfelbaumes / In den Himmel / Und lege ihr / Eine kühle Morgensonne / In die staunenden Hände“.
Ein malerisches, fast volkstümlich einfaches Gedicht. Klarheit, Wahrheit, Natürlichkeit in Bild und Ton, darum ging es Anfang der 60er Jahre nach all den Tonnen von politischer Erbauungslyrik der sogenannten Aufbaujahre. Das Gedicht trug Dieter Mucke in einem Radioliteraturwettbewerb den ersten Preis ein; in der Jury saßen Sarah und Rainer Kirsch, damals Dichter in Halle - und bis zu ihrem Tod Freunde Dieter Muckes. Sie zählten mit ihm gemeinsam zu einer Schriftsteller-Generation, die der Lyrik in der DDR ihre erste große Saison bescherte: Reiner Kunze gehörte dazu, Heinz Czechowski, Helga M. Novak und Bernd Dieter Hüge, der ein enger Freund blieb.
Berühmt durch Lyrik, Kinderbücher und satirischer Prosa
Unter dem Apfelbaum ging es los - rund 20, darunter preisgekrönte Bücher folgten. Prosa für Kinder und Erwachsene, Lyrik und Satiren. Vor allem als Dichter wurde der Mann mit dem erst schwarzen, dann weißen Vollbart bekannt: mit dem 1969 veröffentlichten „poesiealbum 19“, den im Aufbau Verlag veröffentlichten Bänden „Wetterhahn und Nachtigall“ und „Kammwanderung“, zuletzt mit den Büchern „Panik im Olymp“ und „Was flüstert der Wind mit dem Baum“.
Doch so Kamm-blasend, wie die Buchtitel vermuten lassen, ging es nicht zu. Es war eine literarische Laufbahn im scharfen Gegenwind, die der gebürtige Leipziger absolvierte. Dreimal studierte er, dreimal wurde er aus politischen Gründen exmatrikuliert: 1957, 1963 und 1967 nacheinander in den Studiengängen Psychologie, Fotografie und Kamera sowie Literatur.
Letztere studierte Mucke gemeinsam mit Helga M. Novak am Literaturinstitut in Leipzig. Mit drei Wochen Untersuchungshaft zahlte er für eine satirische Prosa-Übung. Dem solidarischen Dichter Georg Maurer, dem Mentor der Generation Kirsch und Kunze, hielt Dieter Mucke zeitlebens die Treue, „unser verehrter Lehrer-Dichter-Denker“.
Antiautoritärer Charakter
Die DDR ließ den politisch verdächtigen Mucke, der durchaus kein entschiedener Sozialismus-Gegner, sondern ein entschieden antiautoritärer Charakter war, allein auf dem Feld der Kinderliteratur frei gewähren, weil man dieses für nachrangig hielt. Der Vater von zwei Kindern, der mit seiner Familie seit 1961 in Halle-Silberhöhe lebte, schulte sich an den satirischen Texten des Russen Saltikow-Schtschedrin, der Märchen für Erwachsene schrieb und damit die Zensur des Zaren unterwanderte.
Geistreiche Satire, kluge Kinderbücher, die Erinnerungs-Prosa „Laterna magica“: Das alles entstand in den 60er und 70er Jahren. Neben dem künstlerischen wuchs das sozusagen zivile Empörungswerk des Autors. Zahllose „Eingaben“ vor 1989, viele Offene Briefe danach. Mucke wehrte sich immer, er fühlte sich nicht machtlos. Dazu gehörte, dass er aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. „Ich neige nicht zum Lamentieren“, sagte er, „wenn schon, kriege ich einen Wutanfall. Ich bin mehr Choleriker als Melancholiker.“
Anlässe gab es zuhauf. Die Stasi wendete gegen Mucke, der von keiner ost-west-deutschen Fernseh-Prominenz geschützt war, ihr zynisches Instrumentarium in aller Härte an. Abgründig ist der „Maßnahmekomplex“ bis hin zum Austausch von Medikamenten. Rund 2 000 Seiten Akten sind überliefert. Der Fall Mucke ist ein dunkles Kapitel DDR-Literaturgeschichte.
„Kurze Vorstellung bei aufgeblasenen Kulturverwesern“
„Wer ich war und wer ich bin?“, hatte Dieter Mucke ein Gedicht überschrieben, das als „Kurze Vorstellung bei aufgeblasenen Kulturverwesern“ gedacht war. So sah er sich selbst: „Keine SED-Pfeife, keine ,Blockflöte’ / Keinerlei parteipolitischer Dudelsack / Für irgendein verfilztes Lumpenpack / Kein käuflicher Freier, kein Vereinsmeier / Kein Schmierenkomödiant, kein Inoffizieller / Informant, kein Freudenfeuer-Theologe / Kein Sonderschul-Pädagoge, kein / Psychotherapeut, sondern ein Poet / Hier geboren und hier zu Hause / Sie Banause oder Sie Banausin / Und für Ihresgleichen unvermeidlich / Nach wie vor ,negativ-feindlich’. // Das ist es, was ich war und bin.“
Wie die MZ von der Familie erfuhr, ist Dieter Mucke am vergangenen Sonnabend, wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag, in Halle zu Hause im Kreis seiner Angehörigen gestorben. (mz)