Opernhaus Opernhaus: Leben als Freak
Halle (Saale)/MZ. - Mit 13 Jahren hat man noch Pläne: Ich will einen Schnurrbart. Ich bringe Mutter um. Ich will raus. Mit 13 wird man als ein Junge mit jüdischem Glauben zum Mann. Die Bar Mitzwa steht bevor.
Ein großer Tag und den muss der New Yorker Evan Goldman, Protagonist aus dem Musical "13", ausgerechnet in Appleton, Indiana, verbringen. Dort, "wo die Ufos zum Auftanken halten", wie er sagt. Denn seine Eltern wollen sich scheiden lassen und seine Mutter entschied, mit dem Sohn "in das schlimmste Kaff auf der Welt" zu ziehen. Doch viel schlimmer als die Stadt - die außer einem Eiscafé, einem Walmart und einem Geschäft für Sanitär nichts zu bieten hat - sind die neuen Mitschüler. Denen will Evan um jeden Preis gefallen.
Dass das auf Kosten wahrer Freundschaft gehen muss, ahnt der geschulte Highschool-Komödien-Gucker schnell. Und, dass es besser ist, ein Freak mit Freunden zu sein, statt eine beliebte Marionette, auch. Doch, dass das in "13- Das Musical" ohne Schmalz und moralische Riesenkeule funktioniert, ist eine wohltuende Entdeckung. Das liegt vor allem an den lebendigen, talentierten Laiendarstellern und an der spritzigen, herrlich politisch unkorrekten Vorlage, die schon am Broadway Erfolge feierte.
"13" ist ein echter Glücksfall. 2007 wurde das Musical in Los Angeles uraufgeführt, seit dem Wochenende läuft die deutschsprachige Erstaufführung in der Oper Halle. Wolfgang Adenberg übersetzte das Musical von Jason Robert Brown nach dem Buch von Dan Elish und Robert Horn, ohne ihm die Würze zu nehmen.
Eine Seltenheit im professionellen Theaterbetrieb ist es, dass eine Geschichte über Jugendliche ausschließlich von Jugendlichen dargestellt wird. Im Text und auf der Bühne also Teenager-Sorgen live. Wie schwer es ist, angesichts der Wünsche der Eltern, den Ansprüchen der Mitschüler und nicht zuletzt den eigenen, seinen Weg zu gehen, wissen die Darsteller zwischen 13 und 18 Jahren nur allzu gut. Sie wissen, wovon sie reden und singen. Und das stets auf hohem Niveau.
Bei der Premiere des A-Ensembles am Wochenende hatten die Darsteller kaum mit Texthängern oder Problemen mit der Choreografie zu kämpfen. Wurde ein Bein mal etwas höher in die Luft geworfen als die anderen, wirkte das charmant und nicht stümperhaft. Ohne Atemnot und extrem souverän mit teilweise wunderbar klaren Stimmen sangen sich die Hauptdarsteller Richard Bartels als Evan, Victoria Elisabeth Schwenzfeier als Patrice und Vincent Florian Seidel als Archie durch ihre Rollen. Manche Nebenrollen wie Regina Heinz, die die intrigante Lucy spielte, hatten den Soul ebenfalls schon raus.
Auch das humoristische Talent der Akteure überzeugte. Die Vorlage bot allerlei Seitenhiebe beispielsweise auf das Thema Religion. Als die katholische Patrice aus Appleton dem neuen Freund Evan die Stadt zeigt, deutet sie auf ein nettes, grünes Fleckchen: "Das ist der Hügel, auf dem wir auf die Auferstehung warten." Als Evan ihr erklären will, was die Bar Mitzwa für die Juden bedeutet, dass es ein Tag ist, an dem alles perfekt sein soll, lacht Patrice nur: "So was gibt es bei uns nicht, das würde allem widersprechen, was unsere Religion ausmacht." Die von einer vierköpfigen Band hinter der Bühne gespielte Musik bot aber auch einiges an Ausdrucksmöglichkeiten an. Astreine Popnummern gespickt mit Reggae-, Soul- und Swingelementen sorgten dafür, dass sich so mancher Zuschauerkopf während der Inszenierung im Takt wiegte.
Auch die schwungvollen, einfallsreichen Tanzeinlagen des spielfreudigen, aufgeweckten Ensembles trafen den Nerv des Publikums. Flott erzählt und gut geschnitten ist dieses Musical, bei dem die Darsteller selber 22 Mal das knallbunte Bühnenbild verändern. Nach fast jeder Nummer ernteten sie bei der Premiere Szenenapplaus, am Ende gab es minutenlang stehende Ovationen.
"Sie" das sind 35 Jugendliche aus Halle und Umgebung, die neun Monate in einem professionellen Arbeitsumfeld probten. Es muss an dieser Stelle konstatiert werden: Das Konzept des Regisseurs Hansjörg Zäther ist gnadenlos aufgegangen. Die Jugendlichen wurden in Gesang, Tanz und Schauspiel unterrichtet. Die Gruppe wurde in zwei eigenständige Ensembles aufgeteilt, die abwechselnd auftreten sollen. Jeden Freitag und ein ganzes Wochenende im Monat wurde geprobt. In den letzten vier Wochen vor der Premiere übten sie fast durchgängig von montags bis samstags. Nicht nur die Erarbeitung einer Produktion, sondern auch die Ausbildung selbst, habe eine große Rolle gespielt, sagte Hansjörg Zäther der MZ. Der Tiroler Schauspieler und Sänger sagte, er habe nicht vorgehabt, eine Art "Halle sucht den Superstar"- Projekt zu starten. Doch dank der Castings, bei denen 110 Bewerber vorsangen, wurden doch einige junge, unverbrauchte Talente an die Oberfläche gespült.
Man mag vielleicht unken, dass der pädagogische Anspruch des Projekts teilweise in den Hintergrund getreten seien mag: Bei den Proben soll auch mal ein rauer Ton geherrscht haben, wie aus Darstellerkreisen zu hören war. Schließlich stand im Mittelpunkt die Arbeit an einer professionellen Produktion, keine Freizeit-AG. Eines haben die Jugendlichen bei diesem Projekt aber auf jeden Fall gelernt: Dranbleiben lohnt sich. Und wie. Also: Hingehen und Spaß haben.
Nächste Vorstellungen: Dienstag um 11 Uhr, Mittwoch um 19.30 Uhr.