Vater und Sohn Neo Rauch zeigt erstmal Gemälde des verunglückten Hanno Rauch
Aschersleben - Hier, in Aschersleben, kommen sich Vater und Sohn so nahe, wie sie es im Leben nicht konnten, weil es das Schicksal oder der Zufall anders wollten. In der aktuellen Ausstellung der Grafikstiftung Neo Rauch sind Werke des Leipziger Künstlers zusammen mit Arbeiten seines Vaters Hanno Rauch zu sehen. Wie später auch sein Sohn, studierte Hanno Rauch in Leipzig Kunst, als er zusammen mit seiner Frau am 15. Mai 1960 bei einem Zugunglück vor den Toren der Messestadt, das 54 Opfer forderte, zu Tode kam. Hanno Rauch wurde 20 Jahre alt, Helga Rauch, in Leipzig Studentin der Buchkunst, 19. Das Unglück geschah keine vier Wochen nach der Geburt von Neo Rauch, der am 18. April 1960 das Licht der Welt erblickte und fortan bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Aschersleben aufwuchs.
Als Zeichen seiner Dankbarkeit gegenüber der Stadt rief Neo Rauch 2012 seine Grafikstiftung ins Leben. Die zeigt seither nicht nur jährlich eine Ausstellung, sondern sammelt auch alle grafischen Arbeiten des Künstlers. Dank seiner Kreativität wächst die Sammlung in Aschersleben rasant. Stand in den ersten drei Ausstellungen ausschließlich Rauchs eigenes Werk im Mittelpunkt, war die Schau im vergangenen Jahr eine Begegnung zwischen dem Leipziger Maler und dem Fotografen Karl Blossfeldt (1865-1932), der, aus dem Harz gebürtig, mit streng-formalen Pflanzenfotografien bekannt wurde.
Spannend und berührend
In der aktuellen Schau tritt Neo Rauch (56) nun mit seinem Vater in einen Dialog. Das ist nicht nur künstlerisch spannend, sondern auch emotional berührend. Im Gegensatz zu seinem Sohn hatte Hanno Rauch – der 1939 in Gera geboren wurde, die Arbeiter- und Bauernfakultät in Dresden besuchte und ab 1959 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte – keine Gelegenheit, einen eigenen Stil zu entwickeln.
Die 39 in Aschersleben gezeigten Zeichnungen und Grafiken, die Hanno Rauch vor allem während seiner Dresdner Schul- und Leipziger Studienzeit anfertigte, belegen aber nachdrücklich, dass hier ein talentierter junger Mensch im Begriff war, seinen künstlerischen Weg zu finden. Insgesamt umfasst Hanno Rauchs Nachlass rund 200 Arbeiten, die seine Kommilitonen verwahrt und später an den Sohn übergeben haben.
Als Neo Rauchs Sohn 21 Jahre alt wurde und damit älter war als Hanno Rauch geworden ist, habe der Künstler begonnen – sagt Grafikstiftungsleiterin Christiane Wisniewski –, intensiv über seinen Vater Hanno nachzudenken. „Für Neo Rauch waren seine Eltern bis dahin eher ältere Geschwister, deren er nicht habhaft werden konnte“, so Wisniewski. Ein Ergebnis des Nachdenkens ist das Bild „Stellwerk 2“ von 2015, eines von drei großformatigen Ölgemälden. Auf diesem hält ein Mann einen kleinen Mann, eher: ein altes Kind, auf seinen behandschuhten Händen. Eine Frau betrachtet die Szene, in die sich ein dritter Mann – in seiner verschwommenen Gestalt einem Flaschengeist nicht unähnlich – drängt, dessen überlange Arme eine Vase halten. Ein Stellwerk ist nirgends zu sehen, wohl aber ein für Neo Rauchs Werk charakteristisches Tor, das ins Nichts zu führen scheint, und ein Vorhang mit einem Muster, wie er, so Wisniewski, in Rauchs Kinderzimmer hing. Dort befand sich seinerzeit auch eine Kohlezeichnung von einem Affen, die Rauchs Vater ebenso als Studie angefertigt hatte wie die Variationen auf die Tagebau- und Industrielandschaft um Leipzig, die Bahnhofsszenen sowie die Porträts von Menschen aus dem proletarischen Milieu. Zu letzteren zählt eine Lithografie von 1958, auf der zwei beleibte Herren und eine dicke Dame vor einem „HO Imbiss“ stehen und plaudern. Die Arbeit trägt den beredten Titel „Sag’s mir nicht zu laut“.
Hanno Rauch selbst begegnet uns in der Zeichnung „Selbstbildnis“. Hier blickt der Student, der älter als 19 Jahre wirkt, den Betrachter ebenso selbstbewusst wie fragend an. Eine eigene Wand gebührt jenen Halb-, Ganz- und Aktporträts, die Hanno Rauch, mal als Zeichnung, mal als Grafik, von seiner Frau anfertigte und die, so deutet es Christiane Wisniewski, „von einer großen Liebe zeugen“.
Unheimlich und doch tröstlich
Neo Rauchs jüngste Arbeiten korrespondieren mit denen von Hanno und dürften wohl mit Blick auf das Vater-Sohn-Treffen entstanden sein. Auf Tuschezeichnungen, die allesamt aus diesem Jahr datieren, wählt Neo Rauch nicht selten ähnliche Motive und Genres wie sein Vater auf den Studienblättern.
Ebenfalls als Reflexion des (Nicht-)Verhältnisses zu seinen Eltern darf Neo Rauchs Gemälde „Hüter der Nacht“ von 2014 verstanden werden. Ein aus dem Schlaf hochgeschreckter junger Mann blickt ein Paar an, das an seinem Bett steht. Die Frau hat Hummerscheren anstelle von Händen, der Mann hält einen Besen. Die Physiognomie beider erinnert, wie auch die des „Stellwerk 2“-Paars, an die von Helga und Hanno Rauch. Zu der Innenszene – die von einem Trommler, der mit seinem Spiel vielleicht einen Alptraum lautstark austreibt, komplettiert wird – gehört eine Außenszene auf der rechten Seite, auf der besagtes Paar von hinten und aus einiger Entfernung zu sehen ist, wie es sich, Hand in Hand, in Richtung Stadt entfernt.
Bei allem Unheimlichen, das Neo Rauchs surreal-magischen Bildwelten eigen ist, haben „Hüter der Nacht“ und „Stellwerk 2“ etwas ungemein Tröstliches. (mz)
„Hanno & Neo Rauch – Vater und Sohn“, bis 30. April 2017, Grafikstiftung Neo Rauch Aschersleben, Wilhelmstraße 21, Mi bis So 11 bis 17 Uhr