MZ-Interview mit Andre Herzberg MZ-Interview mit Andre Herzberg: "Auf der Bühne habe ich die große Klappe"

Halle (Saale) - Herr Herzberg, als Musiker haben Sie sich einen Namen gemacht, zuletzt auch als Autor.
Herzberg: Das denkt man. Ich habe es aber auch erlebt, dass ich zum Andreas gemacht - oder unter dem Nachnamen Herzog angekündigt wurde. Ich habe in dieser Hinsicht schon Einiges mitgemacht in meiner Karriere. (lacht)
Vielleicht liegt es auch daran, das alles immer schneller gehen muss, seit Computer und Emails in unser Leben kamen. Schreiben Sie eigentlich noch Briefe – richtige Briefe, mit der Hand?
Herzberg: Nein, das tue ich nicht. Erstens habe ich eine furchtbare Handschrift, zweitens bin ich nicht so filigran mit meinen Händen, was mich beim Musizieren immer ärgert. Ich bin stärker mit dem Kopf, mit der Stimme.
Kann es sein, dass mit dem Schwinden des Handschriftlichen auch die Nähe des Urhebers zum Geschriebenen geringer wird, die Distanz also größer?
Herzberg: Der Zweifel hat jedenfalls seine Berechtigung. Meine ersten Texte habe ich noch mit der Hand geschrieben und sie bis heute aufbewahrt. Wenn ein Text fehlt oder anders ist als in meiner Erinnerung, kann ich regelrecht in Panik geraten. Meine richtige Schreibphase hat allerdings erst nach dem Fall der Mauer begonnen, 1996 habe ich mein erstes Buch veröffentlicht.
Die Entscheidung, autobiografisch geprägte Prosa zu schreiben, war für Sie womöglich eine Frage von Lebensnotwendigkeit?
Herzberg: Es war eine schwere Entscheidung, weil mir viele der Dinge, die ich zu sagen hatte, schwierig erschienen.
Zum Beispiel, weil es bei ihrer jüdischen Familie um ein Thema ging, über das man in der DDR überhaupt nicht geredet hat? Ein ganzes Themenfeld, das faktisch gar nicht existierte.
Herzberg: Ich habe die Situation damals, als ich zu schreiben begann, noch viel umfassender wahrgenommen. Es ging nicht nur um das Jüdisch-Sein in der DDR, es ging um das Aufbrechen meiner gesamten Persönlichkeit, um das Öffnen der inneren Welt. Ich hatte mich seinerzeit einer intensiven Psychoanalyse unterzogen. Wenn man so will, ist das Schreiben ein Abfallprodukt davon.
Das war eine Art Befreiung für Sie?
Herzberg: Ja. In der DDR konnte man seine innere Welt gar nicht öffnen. Aber das war den meisten Menschen wahrscheinlich nicht bewusst. Mir jedenfalls nicht. Wenn ich davon gewusst hätte, wäre ich in den Westen gegangen. Als ich diese Dinge endlich zu sehen begann, ist es auch sehr schmerzhaft gewesen.
Ein gläubiger Gefolgsmann der DDR-Oberen waren Sie nicht, sonst hätten Sie mit Pankow die falsche Musik gemacht. Sie wussten doch, in welchem Land Sie lebten – wenn auch noch mal in einer besonderen Welt?
Herzberg: Es war schon ein Privileg, Musik zu machen. Und wenn man nicht extrem ausscherte, konnte man als Musiker, wie in anderen Berufsgruppen allerdings auch, ein fröhliches Leben haben in der DDR. Und man hat gut verdient. Für mich war das Dasein als Musiker quasi die Fortsetzung der Kindheit, in der die Welt der Erwachsenen ja auch eine gewisse Drohkulisse dargestellt hatte. Auf der Bühne hatte ich aber das Gefühl, mich austoben zu können – obwohl man eben doch schnell an die Grenzen erinnert wurde.
Immerhin konnte man ein unglückliches junges Mädchen wie in der „wundersamen Geschichte von Gabi“ mal eben durch das vergitterte Klofenster der Disco in die Freiheit fliegen lassen.
Herzberg: Zum Beispiel! (lacht)
Ein Lied, das man heute noch lieben kann. Gerade, weil es solch ein Befreiungsakt war.
Herzberg: Die häufigste Frage, die man uns damals gestellt hat, lautete: Dürft Ihr das, hat man Euch das erlaubt? Mit diesem Kitzel durchs Leben zu laufen, hat für eine Weile richtig Spaß gemacht. Womit ich nicht sagen will, dass ich nicht manchmal auch Angst gehabt hätte. Es gab ja Konfrontationen mit der Staatsmacht.
Ging das so weit wie bei Renft, denen offen gedroht wurde?
Herzberg: Ja. Ich sollte raus aus der Band. Schon unsere erste Platte, die mit dem Rock-Theater-Stück „Paule Panke“, war verboten worden. „Das wird nicht gemacht“, hieß es: „Vielleicht in zehn Jahren, wenn sich die Kulturpolitik geändert hat“. Da war es wieder wie in der Schule. Und die Mauer war ja auch da. Ich wäre nie über die Mauer gesprungen. Gewisse Verbote habe ich eingehalten, auch wenn ich auf der Bühne die große Klappe hatte.
Sie sind 1955 in Ostberlin geboren worden und aufgewachsen. Können Sie sich an den 13. August 1961, den Tag des Mauerbaus, erinnern?
Herzberg: Überhaupt nicht. Ich nehme an, dass meine Mutter mit mir nicht darüber gesprochen hat. Woran ich mich erinnere: Wie ich vor dem Mauerbau an der Hand meiner Mutter durch Westberlin gelaufen bin. Da habe ich sie lauthals darauf hingewiesen: „Mutti, kuck mal, hier gibt’s Bananen!“ Die hat gegrinst und „Psst!“ gesagt. Später erzählte sie anderen Erwachsenen diese Geschichte mit dem Unterton: Was ist er doch für ein kleines, naives Kerlchen!
Eine andere Erinnerung habe ich an die Nord-S-Bahn, die damals noch zwischen der Schönhauser Allee und Pankow fuhr, scharf an Westberlin entlang: Der Zug wurde schneller, die Leute in der Bahn, vielleicht auch der Fahrer selber, wurde immer nervöser. Aber gesprochen haben wir über die Mauer zu Hause nicht. Darauf werden meine Eltern wohl geachtet haben.
Und in der Schule?
Herzberg: Ich bin im September 1961 eingeschult worden. Aber an Gespräche über die Mauer kann ich mich nicht erinnern. Wohl aber an Belehrungen, wie man den Knoten im Pionierhalstuch richtig bindet. Und wie man sich beim Fahnenappell verhält. Mir ist es immer schwer gefallen, mich dieser Disziplin zu unterwerfen. Meine Mutter wollte von solchen Schulgeschichten gar nichts hören. Später hat sie dazu gesagt, ich würde lügen.
Wie sich Herzberg nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR fühlte und wie wie er rückblicken die gemeinsame Erklärung von DDR-Musikern im Herbst 1989 beurteilt, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Wie war es nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in der CSSR im Jahr 1968? Ich erinnere mich an die Angst, die wir damals hatten, offen darüber zu sprechen.
Herzberg: Angst hatte ich weniger. Ich hatte das Glück, ältere Geschwister zu haben. Für die war der Einmarsch auch ostdeutscher Soldaten in die CSSR ein großes Thema.
Mein Bruder durfte damals schon in den Westen fahren und brachte von dort Bände von Biermann mit. Die Kinder von Emigranten wurden nach drüben geschickt, um für die DDR zu werben. Aber diese Kinder hatten eben zum Teil schon Haltungen, die sehr stark abwichen von denen ihrer Eltern. Und deshalb kam ich frühzeitig in Berührung mit linken Positionen, die in den Augen der DDR-Obrigkeit gefährlich waren. Ich habe anfangs nachgeplappert, was ich bei meinen Geschwistern aufgeschnappt hatte.
Ihre Mutter hat sich aus solchen Diskussionen herausgehalten?
Herzberg: Ja. Das ist ihr innerer Konflikt gewesen, den ich auch erst nach dem Mauerfall besser verstanden habe. Sie hat sich darauf zurückgezogen zu sagen: „Ihr seid frech!“ Nun war es aber so, dass 1968 eine Reihe von Freunden meiner Geschwister verhaftet worden waren – und das waren eben auch Emigrantenkinder, deren Eltern wir kannten. Da hatte meine Mutter natürlich Angst, dass auch ihre Kinder verhaftet werden könnten und bat uns, den Mund zu halten: Auch wir wären nicht gefeit davor, verfolgt zu werden.
Hat der Umstand, dass Ihre Eltern während der NS-Diktatur im „falschen“ Exil, also nicht in der Sowjetunion waren, zu Hause eine Rolle gespielt?
Herzberg: Ich erinnere mich an die ledergebundenen Bände mit Prozessakten. Anfangs hatten sie noch ganz oben im Bücherschrank gestanden, dann wanderten sie immer weiter nach unten. Und ich begann mich dafür zu interessieren. Es waren die Protokolle der stalinistischen Prozesse, in deren Verlauf die Angeklagten abschworen und unter Druck gestanden, sie hätten den Feinden gedient. Schließlich standen diese Bücher ganz hinten im Schrank, hatten also Porno-Charakter bekommen. Und die Eltern wollten nicht darüber reden.
Ist aus dieser angstbesetzten Haltung nicht aber doch Verständnis für die Rebellion der eigenen Kinder entstanden?
Herzberg: Das ist unterschiedlich gewesen. Bei meiner Mutter schon, obwohl sie ja Staatsanwältin war. Ich glaube, sie hat diesen Beruf beizeiten gehasst, weil sie wusste, worauf sie sich da eingelassen hatte. Sie ist auch früh in Rente gegangen und hat dann noch als Übersetzerin gearbeitet.
Von meinem Vater hingegen kam gar nichts zu diesem Thema. Ich bin ja nicht bei ihm aufgewachsen und habe ihn nur selten gesehen – aber wenn, dann hat er mit uns geredet wie ein Parteisekretär zu seinen Genossen. Horst Brasch hat 1968 seinen Sohn Thomas angezeigt – ich denke, mein Vater hätte es mit mir genauso gemacht. Mir ist damals ja nur deshalb nichts passiert, weil ich noch so jung war.
Aber dann hat der junge Rebell ganz schnell ganz viel Erfolg gehabt...
Herzberg: Es fühlte sich wie eine kleine Revolution an. Und Pankow war eine großartige Band: Tolle Musik war das, die da vor mir wie auf einem goldenen Tisch ausgebreitet wurde. Konzerte haben uns für die verbotene „Paule Panke“-Platte entschädigt. In der Musik selbst lag damals noch eine Rebellion. Und es fühlte sich gut an, in richtigen Jeans aus dem Westen, Parka und Kletterschuhen zu zeigen: „Ich bin anders als Ihr, Ihr könnt mich mal!“ Das war alles sehr schön. Bis zu einem gewissen Punkt.
Und der wäre gewesen?
Herzberg: Mitte der 80-er Jahre ließen die Verbote nach, aber die Leute sind nach wie vor geflüchtet. Viele, die ich kannte. Viele Freunde von mir. Ich habe unterdessen Revolution machen wollen und begriff dann, dass das, was wir taten, keine Revolution war. Es passierte gar nichts mehr, nur noch Stagnation herrschte.
Als unser letztes DDR-Album erscheinen sollte, gab es noch eine müde Anfangsdiskussion seitens der Plattenfirma, ob es statt „Aufruhr in den Augen“ nicht „Power in den Augen“ heißen sollte – plötzlich war das zuvor so verpönte Englisch erlaubt. Ich habe „Nein“ gesagt und setzte mich durch. Das Album erschien, aber es hat nichts mehr geändert. Auch die Erklärung, die ich im Herbst 1989 gemeinsam mit Toni Krahl, Tamara Danz und anderen Musikern veröffentlicht habe, kam viel zu spät und war viel zu zahm. Damals war ich aber froh, mich endlich mal selber als Person politisch zu rühren. Nicht nur als Künstler.
Dann war alles vorbei, schlagartig mit dem Fall der Mauer.
Herzberg: Plötzlich war man im Wasser, alles war abgesoffen. Ich musste schwimmen um zu überleben. Dabei waren mir die Themen nicht ausgegangen, ich konnte arbeiten. Ich hatte also wieder Glück. Privat aber gab es einen Bruch, ich trennte mich von meiner Familie, lebte allein.
Sie haben sich dann ein paar Jahre lang ziemlich rar gemacht.
Herzberg: Aus meiner Sicht war das gar nicht so. Ich habe ja Konzerte gespielt. Aber ich wurde plötzlich nicht mehr so wahrgenommen.
Wie haben Sie das empfunden? Mehr trotzig – oder gekränkt?
Herzberg: Es war tatsächlich wie im Bild von den Ratten, die das sinkende Schiff verlassen. Und ich war auch eine davon. Musste zusehen, wieder Land zu bekommen. Das war erst mal kein schöner Zustand: Allein zu sein, auf sich selber gestellt.
Und daraus haben Sie dann aber auch Kraft bezogen?
Herzberg: Diese Reduktion, das auf sich selbst Zurückziehen ist es doch, was jeder Künstler eigentlich machen sollte. Das Schreiben war dabei immer auch ein Trost. Es bedeutete: Du bist noch da, du lebst!
Dann kamen die Bücher, und sie kamen an?
Herzberg: (lacht) Gerade im Osten hat es eine Weile gedauert. Ich hatte ja ein gewisses Image. Und dann heißt es: Jetzt schreibt der auch noch! Aber ich hatte in all den Jahren auch immer wieder Helfer, die mir beigestanden haben. Und der zuletzt erschienene Roman bedeutet noch eine besondere Zäsur für mich.
„Alle Nähe fern“ umspannt auf nicht einmal 300 Seiten ein ganzes Jahrhundert.
Herzberg: Das Thema des Buches ist ja das, was wir hier die ganze Zeit verhandelt haben: Die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Sie muss gerade im Osten Deutschlands immens sein. Diese Sprünge von der Zeit vor 1945 in die Zeit danach. Und von der DDR in das Deutschland nach dem Mauerfall.
Und die Sprachlosigkeit in den Familien trifft die der Opfer wie der Täter?
Herzberg: Das macht es ja so schwer, aus diesem Zustand herauszukommen. Schließlich gehört man ja auch selber dazu – als Mitglied der Menschengemeinschaft. Man kommt gar nicht umhin, dem Einen oder Anderen einen guten Tag zu wünschen – selbst, wenn man ihn für ein Arschloch hält.
Nun steht Ihr 60. bevor – ist das auch noch mal eine Zäsur?
Herzberg: Nein, das Datum spielt keine Rolle. Ich fühle mich im Moment besser denn je. Durch meine Familie, der ich angehöre. Und wegen meines beruflichen Erfolges auch.
Den Geburtstag am 28. Dezember feiern Sie mit einem Benefizkonzert in der Berliner Kulturbrauerei.
Herzberg: Darauf freue ich mich riesig. Vor allem, weil ein paar Leute dabei sein werden, die sehr wichtig für mich waren. Die sind nicht nur Kollegen, sondern haben auch in meinem Leben eine Rolle gespielt. Toni Krahl zum Beispiel – den kannte ich schon, bevor ich anfing Musik zu machen, weil seine wie meine Eltern in England im Exil waren. Und Stefan Stoppok war der erst Musiker aus dem Westen, mit dem ich nach dem Mauerfall zusammengearbeitet habe.
Wenn man älter wird, möchte man gern Dinge und Personen wieder zusammenbringen, die zusammengehören – geht es Ihnen auch so?
Herzberg: Ja, genau darauf bin ich aus. Ich weiß, dass ich im Laufe meines Lebens ein paar Menschen sehr wehgetan habe und ungerecht war. Da will man dann auch Dinge wieder gutmachen.
Und das zum Heiligen Fest!
Herzberg: (lacht) Nun, das spielt bei mir ja keine so große Rolle. Der Dezember ist für mich und meine Familie allerdings voll mit Festen. Chanukka, das jüdische Lichterfest, war gerade. Und nun auch noch Weihnachten. Die Kinder werden mit Geschenken und Schokolade derart überhäuft, dass sie Monate brauchen dürften, sich davon zu erholen.
Weihnachten kann man in Deutschland auch kaum entrinnen.
Herzberg: Nein. Aber es ist auch okay. Ich versuche, beidem gerecht zu werden: „Weihnukka“ sozusagen.
Sie sind ein religiöser Mensch – sind Sie gläubiger geworden mit der Zeit?
Herzberg: Ja. Ich habe das Gefühl, durch Logik zur Religion zu kommen. Anders kann ich es mir nicht erklären: Dass es einen großen Plan gibt zum Glück. Und dass Unglück daher kommt, wenn man diesem Plan nicht folgt.
Viele Menschen, Juden wie Christen, hadern mit Gott, weil so furchtbares Unheil ist in der Welt. Und sie wollen Gott dabei doch eigentlich nicht böse sein.
Herzberg: Ich habe mit ihm auch jahrzehntelang im Clinch gelegen. Das hatte auch mit meinen Eltern zu tun. Meine Mutter konnte Gott den Holocaust nicht verzeihen. Deswegen ist sie Kommunistin geworden. Das habe ich übernommen. Zudem war ich auch lange mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt. Heute empfinde ich es als ungeheuer tröstlich und heilend, mich an Gott zu wenden, wenn es mir schlecht geht. Und es ist auch schön, ihm die guten Dinge, die mir passieren, aufs Konto zu schreiben und zu sagen: „Das hast Du großartig gemacht!“
Wie man es aus Kindertagen erinnert.
Herzberg: Genau. Nur: Ich hatte es damals noch nicht. Damals habe ich noch vom „Väterchen Stalin“ geträumt. Doch der erwies sich als Teufel. Umso tröstlicher ist mir mein Glauben jetzt.