Revolution in der Musik Der Mann der fremden Töne
Vor 150 Jahren wurde der österreichische Komponist Arnold Schönberg geboren, der mit nur zwölf Tönen die musikalische Welt zu revolutionieren versuchte.
HALLE/MZ - An Sendungsbewusstsein fehlte es dem Mann nicht: In einer nicht zu fernen Zukunft, vermerkte Arnold Schönberg, würden die Menschen auf den Straßen seine Melodien pfeifen. Und die von ihm erfundene Zwölftontechnik, da war der Komponist sicher, werde der deutschen Musik auf 100 Jahre die Vorherrschaft in der Welt sichern.
Schönberg ist eine der zentralen Gestalten der musikalischen Moderne. Im Gegensatz zu den Zeitgenossen Bartók und Strawinsky muss man seine Werke im heutigen Konzertleben jedoch mit Mühe suchen. Sie sind nicht leicht verständlich, doch es lohnt sich, ihre glutvolle Fremdartigkeit zu entdecken. Am 13. September vor 150 Jahren wurde Arnold Schönberg als Sohn eines jüdischen Schuhmachers in Wien geboren.
Auch als Maler anerkannt
Der musikalische Autodidakt vollzog eine bemerkenswerte kompositorische Entwicklung: Nach jugendlichen Versuchen setzte Schönberg bei der ausdrucksstarken, fein instrumentierten Spätromantik im Stile Wagners an und führte das Komponieren auf Basis des traditionellen Dur-Moll-Systems bis an seine Grenzen. Das hochenergetisch aufgeladene Streichsextett „Verklärte Nacht“ (1899) ist ein bis heute gerne gespieltes Schlüsselwerk dieser Zeit.
Im Gegensatz etwa zu Richard Strauss machte Schönberg an dieser magischen Grenze jedoch nicht halt, sondern stieß ins Reich einer neuen Tonalität vor. Konsonanz und Dissonanz waren einander nun faktisch gleichgestellt, die Hierarchie der Harmonien aufgehoben. Prophetisch lässt Schönberg im 2. Streichquartett (1907/08) eine Gesangstimme hinzutreten, die Worte von Richard Dehmel singt: „Ich fühle Luft von anderem Planeten“.
Diese ungeheure Revolution wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auch als solche wahrgenommen und war ein Politikum. Kaum ein Konzert des Schönberg-Kreises, in dem es nicht zu lautstarken Meinungsverschiedenheiten gekommen wäre. Im „Watschenkonzert“ erklommen 1913 empörte Konservative im Wiener Musikverein das Podium, um den dirigierenden Komponisten zu ohrfeigen.
Doch die neue Freiheit brachte Probleme mit sich: Ohne das System der Tonarten fiel gleichsam die Gravitationskraft weg; längere Werke zu gestalten, wurde zunehmend schwer. Dieses Dilemma stürzte den Komponisten in eine Schaffenskrise, aus der er sich erst in den 1920er Jahren mit der Erfindung seiner Methode zur „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ rettete. Zwölftonmusik, das bedeutet vereinfacht gesagt: Ein Stück basiert auf einer Reihe, in der alle zwölf Halbtöne einer Tonleiter vorkommen. Und kein Ton darf ein zweites Mal vorkommen, bevor nicht alle anderen erklungen sind.
Vorbilder Bach und Brahms
Viel ist über dieses Prinzip, das erstmals in den Klavierstücken op. 23 (1920/23) Verwendung fand, gestritten worden. Dem Vorwurf, er sei ein musikalischer Technizist, setzte Schönberg entgegen, die Technik sei nur Mittel zum Zweck. Das Ergebnis müsse „leicht verständlich sein“. Er selbst hat an der Zwölftontechnik festgehalten, jedoch auch Kompromisse gesucht, etwa in historischen Satzformen und Techniken. Vorbilder: Bach und Brahms.
Und was hat er für ein bewegtes Leben geführt: Als Dirigent, Organisator und Pädagoge war er ein Motor der Moderne, begründete die „Zweite Wiener Schule“ und wurde von seinen Schülern, allen voran Alban Berg und Anton von Webern, verehrt. Immer wieder in Geldnöten, zog er mit der Familie zwischen Wien und Berlin hin und her. Er verkehrte mit Künstlern aller Disziplinen und war selbst ein anerkannter Maler.
Doch Schönberg war auch Jude, wenngleich früh zum Protestantismus konvertiert, und fand im Angesicht des zunehmenden Antisemitismus zurück zur Religion seiner Familie – gemeinsam mit Marc Chagall in Paris übrigens. Kurz nach dem Machtantritt der Nazis 1933, die ihn als Professor an der Preußischen Akademie der Künste entließen, floh er über Frankreich in die Vereinigten Staaten. Er war mittlerweile auch in Amerika ein berühmter Mann, der dort geachtet, aber – anders als etwa Kurt Weill – nie geliebt wurde.
„Mit Liebe hören“
Mit hartem Akzent gab er auf Englisch Kompositionskurse, blieb künstlerischer Überzeugungstäter mit scharfem Profil und stechenden Augen. Doch er war auch fürsorglicher Familienvater an der Seite seiner zweiten Frau Gertrud, Erfinder und Tennisspieler. Es ist wohl der richtige Ansatz, wenn eine aktuelle Ausstellung im Wiener Schönberg-Center, Bewahrungsort seines Nachlasses, den Titel „Mit Schönberg Liebe hören“ trägt. Seine Werke sind Vulkane voll tiefster Gefühle und sprechen direkt zum Herzen. Es gilt freilich auch, was der Meister über sich sagte: „Ich bin wohl unverdächtig, populäre Gedanken zu haben.“