Monuments Men Monuments Men: Jäger der verlorenen Nazi-Schätze

Bernterode/MZ - Die Landschaft ist dieselbe wie an jenem 1. Mai 1945, als George Stout im thüringischen Bernterode ankommt. Flache Äcker, dünne Büsche und Straßen, die zu Pfaden schrumpfen. Aus dem Unterholz ragen Fördertürme, die Hügel daneben sind eigentlich Halden, in Jahrhunderten von Menschenhand aufgeschüttet.
Kein Mensch weit und breit, ganz wie damals, kurz vor Ende des Krieges. Eine Panzereinheit der 1. US-Army, die die als Munitionsfabrik genutzte Kaligrube besetzen soll, stößt nicht auf Widerstand. Der Ortsteil Bernterode-Schacht, ein wenig abgesetzt vom Hauptdorf, ist völlig menschenleer. Sechs Wochen zuvor sind alle Einwohner fortgeschafft worden, um zu verhindern, dass sie beobachten, was am Schacht Preußen und dem weiter oben gelegenen Schacht Sachsen geschieht: Ab Mitte März treffen mehrere Schwertransporte ein. Die im Munitionslager beschäftigten Zwangsarbeiter aus Frankreich müssen jetzt beim Transport von Kisten und Paketen nach unten helfen.
Ein Soldat, der nicht schießen, sondern schützen soll
Die GIs von Sergeant Louis C. Travers, die die in der Tiefe verwahrten 400.000 Tonnen Munition prüfen sollen, entdecken tief unten im Berg hinter einer offenbar frisch zugemauerten Wand den Grund für das Versteckspiel: Die 550 Meter tief gelegenen Bergwerksgänge sind für die Führung des schrumpfenden Dritten Reiches die letzte Hoffnung, Kunstschätze vor den anrückenden Truppen der Alliierten zu verstecken.
In deren Reihen kämpft der 47-jährige Oberleutnant George Stout seinen eigenen Krieg. Stout, im Zivilleben Direktor des Foog-Museums in Cambridge/Massachusetts, ist ein Monuments Men, ein Soldat, der nicht schießen, sondern schützen soll. Seit Kriegsausbruch hat der gelernte Restaurator bei der US-Regierung hartnäckig dafür geworben, ausgebildete Kunstschutz-Offiziere an einem Vormarsch nach Deutschland teilnehmen zu lassen. Eine Luxusforderung, denn die US-Streitkräfte sind froh über jeden Mann mit einer Waffe. Doch aus Stouts Sicht ringen diesmal Barbarei und Zivilisation miteinander. „Was ist, wenn wir den Krieg gewinnen, aber die letzten 500 Jahre unserer Kulturgeschichte verlieren?“, hat er immer wieder gefragt.
„Der Raum ist für das nächste Reich gedacht.“
Nun, nicht einmal ein Jahr nach der Landung in der Normandie, steht er hier in Mitteldeutschland, am Ende einer langen Reise, auf der seine kleine Einheit aus Kunstspezialisten in Uniform versucht hat, wenigstens die schlimmsten Folgen des von den Nazis betriebenen größten Kunstraubes der Weltgeschichte abzuwenden. Stout ist erschüttert von dem, was er und sein Kollege Walker Hancock in den 23 Kilometer langen unterirdischen Gängen bei Bernterode finden. Hunderte Gemälde unter anderem von den Cranachs, von Boucher und Lancret liegen hier, zahllose Bücher, Gobelins aus Monbijou, Kunstwerke aus Schloss Sanssouci und Akten des Auswärtigen Amtes. Eine Kammer verschlägt dann selbst den beiden Männern, die im nahegelegenen Schacht von Merkers gerade das Gold der Reichsbank im Wert von hunderten Millionen Dollar haben liegen sehen, die Sprache. Hier im Schacht Preußen hat Adolf Hitler vergraben lassen, was er für das Erbe des Reiches hält: Die Särge von Paul von Hindenburg und Friedrich dem Großen. Das Reichsschwert von Fürst Albrecht aus dem Jahr 1540. Zepter, Reichsapfel und Krone von 1713. Hakenkreuze an den Särgen führen die US-Offiziere zuerst auf eine falsche Spur. Doch nein, es ist nicht Hitler, dessen Leichnam hier in einem Stahlsarg in einer Nische liegt. „Der Raum ist für das nächste Reich gedacht“, begreift George Stout schnell, „das auf seinem Ruhm aufbauen sollte.“
Amerikaner lässt deutsche Geschichte wieder lebendig werden
Knapp 70 Jahre später weiß oben am Schacht niemand mehr etwas von diesen Tagen, als die Gebeine der deutschen Geschichte hier begraben liegen. Ältere Kollegen hätten „immer wilde Storys“ erzählt, sagt einer der Bergleute, die in Bernterode seit mehr als zwei Jahrzehnten damit beschäftigt sind, die nach der Wende stillgelegte Grube zu verfüllen. Gold soll es wohl gewesen sein, das unten lag, Gold und Kunstschätze, nickt ein anderer. „Aber das war hier nie Thema.“
Da muss nun erst ein Amerikaner kommen, um dieses Stück deutscher Geschichte lebendig werden zu lassen. Als der Kunstliebhaber Robert M. Edsel, ein ehemaliger Öl-Unternehmer, vor fünf Jahren ein aufwendig recherchiertes Buch zu den Monuments Men in den Reihen der US-Army vorlegte, griff George Clooney sofort zu. Der Hollywood-Star, dessen Ururur-Großvater Joseph Koch im November 1831 in die USA ausgewandert war, spielt im Film selbst den Chef-Kunstschützer George Stout, einen „eleganten Mann mit gewinnendem Auftreten“, wie Edsel ihn beschreibt. Um ihn herum agiert eine ganze Kompanie aus Superstars: Matt Damon ist Leutnant James Rorimer, Bill Murray und John Goodman geben die Captains Walter Garfield und Rich Campbell und Cate Blanchett spielt die französische Kunstexpertin Rose Valland, die das Treiben der Nazis beobachtet und den Kämpfern der Resistance Tipps gibt, damit sie den Abtransport von französischen Kunstwerken verzögern oder sogar verhindern können.
Alles muss weg, alles muss raus, ehe die Russen kommen.
Allerdings zeigen die Geschehnisse von Bernterode, dass auch Kunstschutz stets seinen Zwecken dient. Die Führung der 1. US-Armee weiß, dass Thüringen bald an sowjetische Einheiten übergeben werden muss. Was dann noch hier sein wird, wird für immer hier bleiben. Also müssen Stouts wenige US-Soldaten und die französischen Zwangsarbeiter noch einmal ran, letztere nun freiwillig: In Doppelschichten verpacken sie die Schätze in Gasschutzmäntel der Wehrmacht. Bücher, Gold, Gemälde und Teppiche werden heraufgebracht, Jeeps voller Juwelen fahren zum Hauptquartier. Auch die Särge werden durch die Grubenschächte zum Förderkorb geschleppt. „Durch den raschen Zusammenbruch der Deutschen haben wir so viel zu tun bekommen“, klagt Stouts Kollege Walker Hancock in einem Brief nach Hause.
Alles muss weg, alles muss raus, ehe die Russen kommen. Die Krönungsinsignien gehen erst nach Weimar, dann nach Frankfurt. Die Särge landen auf Schloss Marburg. Am 2. Juli 1945 übernehmen die Sowjettruppen einen leeren Schacht, über dem zwei Tage später ein Munitionszug explodiert. Gebäude und Fördereinrichtungen werden zu großen Teilen zerstört.
Gerechtfertigte Verbitterung
Nichts am Schacht sieht heute noch so aus wie damals, als George Stouts Monuments Men dachten, ihr Krieg um die Kunst sei gewonnen. Dabei fing er doch erst an: Als nach Kriegsende Stimmen in den USA fordern, das besiegte Deutschland müsse mit seinen Kunstschätzen für die Kriegsschäden zahlen, protestieren die Kunstschützer in Uniform. Es gebe „keine historische Kränkung“, die „soviel gerechtfertigte Verbitterung hervorruft, wie die Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation“, warnen sie. 1949 kehren die entführten Bilder schließlich nach Deutschland zurück. 1991 werden auch die Gebeine von Friedrich dem Großen und seinem Vater Friedrich Wilhelm I. wieder in Potsdam begraben.