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Monika Jetter Monika Jetter: «Mein Kriegsvater»

Von Thomas Strünkelnberg 26.08.2004, 09:09

Münster/dpa. - «Niemals hätte ich mir vorstellen können, ein Buch über meinen Vater zu schreiben», bekennt Monika Jetter im Vorwort ihres Buches «Mein Kriegsvater». Der Entschluss, ein derart persönliches Buch zu schreiben, rührt oft aus zu langem Zurückschrecken vor der eigenen Vergangenheit her.

Schließlich bleibt der 1940 geborenen Autorin und ehemaligen NDR-Moderatorin kein Ausweg: Kopfschmerzen und Angst-Attacken, die kein Arzt ihr nehmen kann, bringen die Erinnerung an ihre Erlebnisse als kleines Mädchen im Nachkriegs-Berlin zurück. In diesen Jahren war sie ihrem «Kriegsvater», dem Heimkehrer, ausgeliefert. Doch nun ist der Vater tot. Was bleibt, ist der Versuch einer Versöhnung.

Erst, als sie ihn beim Sterben begleitete, habe der 85-Jährige ihr das Gefühl von Nähe gegeben, das sie sich als Kind oft gewünscht hatte, schreibt die zu diesem Zeitpunkt 57-Jährige. 42 Jahre lang war eine Mauer zwischen ihr und ihrem Vater. Warum? «Er wollte mich "kleinkriegen", erinnert sich die Autorin. «Hatte er das aus dem Krieg nach Hause gebracht? Hatte er das bei den Nazis gelernt?»

Denn «der Vater» - nie sagt Jetter «mein Vater» - war nicht nur ein Kriegsheimkehrer mit allen inneren Verwundungen eines Frontsoldaten. Er war auch zutiefst erschüttert über den Niedergang des Nationalsozialismus, an dessen Werte er geglaubt hatte. Er war als Fallschirmjäger 1941 über Kreta abgesprungen, er gehörte 1943 zu den Truppen, die den internierten «Duce» Benito Mussolini befreiten. Er war außerdem NSDAP-Mitglied und wurde auf der NS-Ordensburg Crössinsee erzogen.

Und dort wurde «der Vater» für den Krieg abgerichtet. Erbarmen, mitmenschliche Gefühle müssen ihm ausgetrieben worden sein, schreibt Jetter. So versuchte er, nach Kriegsende seine kleine Tochter ebenso abzurichten, setzte den Drill fort, den er selbst erlebt hatte, um aus dem kleinen Mädchen ein «gutes folgsames, ordentliches deutsches Kind» zu machen. Zum «Appell» ließ er das Mädchen antreten, das sich eigentlich Schutz vom Vater erhoffte. Den Grund dieses Verhaltens fand er selbst: «Ich bin unterworfen», sagte er wie entschuldigend.

Eindringlich und lebendig beschreibt Jetter den Konflikt, der sie nach Jahren des Verdrängens einholt, als sie vor der Notwendigkeit steht, sich mit dem Sterben des Vaters auseinander zu setzen. Schonungslos gibt sie all die Sorgen, Ängste und Nöte preis, die sie als kleines Mädchen niemandem anvertrauen konnte.

Und in aufwendigen Recherchen findet sie Zugang zu der Zeit, die ihn prägte, die vielen andere Menschen ihren Stempel aufdrückte und Nachkriegskindern Beschädigungen für das ganze Leben bescherte: Nach einem Inserat, um mit Menschen mit ähnlichem Schicksal ins Gespräch zu kommen, erhält sie erschütternde Antworten. Geschichten früh verstummter Menschen, die sich ihren Eltern nicht anzuvertrauen wagten, sondern mit Schlafstörungen, Angst-Attacken, Bettnässen, Stottern, Herzrasen und Beziehungsschwierigkeiten reagierten. Geschichten über demütigende Rituale, die Kindern auferlegt wurden, die sich nur eines wünschten: Dass die Eltern sie «doch noch lieb haben».

Doch kurz vor dem Ende des alten Mannes wendet sich scheinbar das Blatt: «Hast du mich nicht doch ein bisschen lieb?», fragt nun der Vater kurz vor seinem Tod, fast bittend, seine Tochter. In einem Brief an den Vater - nach seinem Tod - versucht die Autorin schließlich diese Frage zu beantworten und kommt zu dem Schluss, sie hätte ihn gern «lieb gehabt». Doch das habe er selbst unmöglich gemacht. Immerhin: Nach der bewegenden Aufarbeitung ihrer Kinderzeit spricht Jetter ihn nach seinem Tod versöhnlich zum ersten Mal direkt an: «Du und ich, mein Vater.»

Monika Jetter

Mein Kriegsvater

Verlag Hoffmann und Campe

223 S., Euro 16,90

ISBN 3-455-09422-8