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Mode Mode: New York ist auch in Polleben

Von MARGIT BOECKH 27.05.2011, 19:32

Halle (Saale)/MZ. - New York ist da, wo wir sind! Solch einen Satz muss man sich erst mal trauen. Da braucht es schon eine Mega-Dosis Selbstbewusstsein. Und Haltung. Zumal, weiß man um Zeit und Ort des markigen Statements: Gegeben anno 1984, Ost-Berlin! Realsozialismus, bleierne Zeit diesseits der Mauer.

Doch unter der einheitsgrauen Decke regte sich's. Eine schrill-bunte junge Szene war da heftig unterwegs und wollte "einfach leben, schön sein, sorglos". So jedenfalls heißt es in dem Film "Comrade Couture - Ein Traum aus Erdbeerfolie". 2009 entstanden, hat dieser grandiose Doku-Streifen von Marco Wilms es wohl auf Festivals rund um die Welt, aber viel zu selten in die Kinos geschafft. Dabei zeigt er mehr vom Hinter- und - jawohl - auch Untergrund jener Zeiten als die meisten DDR-Erinnerungs-Schmonzetten. Ein Stück Freisein, das es eben auch gab. In dem sich junge Leute jenseits von Zwängen und peinlichem FDJ-Frohsinn eine eigene Welt schufen. Ein Lebensstil zwischen Melancholie und Ekstase, der gerne auch mal ins Öffentliche ging. Wie bei jenen spektakulären Mode-Performances, die in den 80er Jahren nicht nur den Prenzlauer Berg aufmischten.

Hinter diesen Events, die natürlich auch die Stasi anzogen, stand eine tolle Modetruppe, die sich kurz CCD nannte. "Chic, charmant und dauerhaft hieß das", lacht Sabine von Oettingen, "genau so, wie wir ja auch waren." Die Mitbegründerin von CCD galt schon damals als eine der kreativsten Designerinnen und hat seither zunehmend internationale Anerkennung errungen. Mit ihrer Mode ebenso wie mit den Kostümen für die Bühne, bevorzugt Opern wie jetzt dem "Ottone" zum Händelfest in Halle.

Was gut passt, denn "meine Mode ist theatralisch, so wie ich", bekennt sie bei unserem Gespräch. Da sitzen wir auf der Holzbank vor ihrem Haus in Polleben. Hier im Mansfeldischen hat sich Sabine von Oettingen vor zehn Jahren mit ihrer Familie niedergelassen. Das alte Mühlengehöft, eingebettet in sanfthügelige Fluren, liefert ein Bild purer Idylle. Von Theatralik keine Spur. Wäre da nicht der grasgrüne Wohnwagen, ein Gefährt wie aus Pippi Langstrumpfs Takka-Tukka-Land. Der trägt seine Besitzerin sommers über Land zu edlen Kunsthandwerkermärkten.

Doch das kommt später in der Lebensgeschichte der Frau im schwarzen Träger-Shirt, die fünf Kinder geboren hat. Ungeschminkt und mit einer dunkelwuscheligen Irgendwie-Frisur, zu der ihre hellen Augen den aparten Kontrast bilden, sitzt sie da so jugendlich wie zu CCD-Zeiten. Schon mehr als 25 Jahre her? Kaum zu glauben!

Ein Lebensweg liegt dazwischen, der in seinem Auf und Ab samt etlicher Turbulenzen allemal gut ist für einen Roman oder die Bühne. Dabei schien alles zunächst seinen sozialistischen Gang zu gehen, wie das Schlagwort meint. 1962 in Berlin geboren, behütete Kindheit, Schulabschluss mit der 10. Klasse POS. So weit, so üblich. Doch schon in der Schule war klar, dass danach irgendwas mit Kunst werden sollte. Wohl auch vom Vater her. Hans-Georg von Oettingen, Spross uralten Adels, verdiente ganz bürgerlich sein Geld als Regisseur und Autor. So war es dann ein doch folgerichtiger Zufall, dass die Tochter sich schon bald da einfand, wo sie bis heute am liebsten tätig ist - im Bühnenmilieu. Unter anderem am Berliner Ensemble sammelte sie wichtige Erfahrungen und war schon bald fit und mutig genug, sich auf eigene Füße zu stellen. Dabei mit ihren phantasievollen Schöpfungen so anerkannt, dass ihr das Kulturministerium einen Berufsausweis zugestand.

"War damals wichtig, denn freischaffend galt ja fast als asozial. Da konnt' ick dann richtig offiziell mit Honorarvertrag arbeiten." Der Tonfall ihrer Geburtsstadt klingt unüberhörbar durch, wenn sie so erzählt. Dieser so unbekümmerte wie durchsetzungsfähige Duktus - er passt zu dieser Frau und zu diesem Leben. Das ließ sich erst mal gut an. Die hoch begabte Designerin arbeitete für Film, Fernsehen und Theater. "Schwierigkeiten hatte ick da nie und es ging ja auch nicht ums Geld." Viel mehr ums Kreative, die echte Herausforderung im Mangelland. Der volkseigen nicht stillbare Hunger nach Mode schrie nach Privatinitiative. Die Leute von CCD waren da gerade richtig. "Für Klamotten haben wir alles vernäht, ob Mutters Bettlaken oder Mullwindeln." Omas Nähmaschine ratterte dem drögen Jugendmode-Angebot allemal voraus. Die Leute rissen sich darum. Auch so mancher DDR-Rockstar trat in Lederkluft Marke "von Oettingen" auf.

Folge: Die Ostmark floss genauso wie der Krimsekt und das Benzin für aufgemotzte Tatra-Nobelkarossen oder schwere Motorräder, mit denen die Clique durch den Berliner Osten knatterte. "Dekadente Jungerwachsene" notierte die Stasi - und ließ sie, wohl als Ventil, doch gewähren. Auch mit den Shows. Bei denen gab die Oettingen ihrem Erfindungsreichtum vollends Zucker mit Kreationen aus Duschvorhängen oder eben jener Erdbeerfolie aus dem Filmtitel.

An alles traute sie sich ran. Auch an jene "Orfeo und Euridice"-Produktion mit Regie-Star Peter Konwitschny, zu der sie von dem international renommierten Bühnenbildner und Grafiker Helmut Brade 1986 ans hallesche Opernhaus geholt wurde. "Erst sollten es nur drei Darsteller sein. Auf einmal war der ganze Chor einzukleiden, 250 Kostüme!" In ihrem mädchenhaften Lächeln liegt all die Chuzpe, die es brauchte, um auch das zu stemmen. Mit Bravour. Doch nach dieser Riesen-Opernsache war erst mal Schluss, sie wollte weg, "reisen können vor allem". Um rauszukommen, heiratete sie einen Amerikaner. So galt sie als "DDR-Bürger im Ausland", was weiterhin Besuche bei der Familie und sogar Mitarbeit am CCD-Nachfolgeprojekt "Allerleirauh" ermöglichte.

Damals kam sie auch erstmals nach New York, hatte einen zweiten Wohnsitz in Westberlin, zwei Kinder inzwischen, löste die Scheinehe auf, zog nach Hessen. Immer wieder kamen Theaterangebote, nach dem Mauerfall auch in Jena und Leipzig. So zog sie 1990 nach Halle, versuchte zeitweilig mit Läden unter ihrem Label "Takelage" ihr Glück. "Halle ist wie eine Mama für mich", schwärmt sie, "meine Kinder waren bei Freunden immer gut aufgehoben, so konnte ich in der Welt arbeiten".

Auch in Frankreich, wo sie ihren jetzigen Mann kennen gelernt hat. Mit ihm, freiberuflicher Autor, hat sie dann dies Mühlen-Idyll in Polleben gefunden. Hier ist im Obergeschoss ihr Atelier. Die Mode bleibt neben dem Theater ihr zweites Standbein. Die ist bei aller Extravaganz ("edelste Materialien, astrein genäht") immer auch funktionell. "Die selbstbewusste Frau ab 40, die sich was traut", so sieht sie ihre Zielgruppe. Viele Stammkunden sind darunter, auch auf den Märkten zwischen Hamburg und Basel, die sie im Sommer mit dem grünen Wagen abfährt. Alles läuft gut.

Doch inzwischen gibt es Pläne, wieder zurück nach Halle zu ziehen. "Wir sind hier nie mehr so richtig glücklich geworden", sagt Sabine von Oettingen leise, "seit damals." In jenem heißen Sommer 2003 zerstörte eine Katastrophe jäh das Polleber Refugium. Die Mühle brannte! Und in den Flammen starb ihr kleiner Lucien. "Unglaublich viel Hilfe von den Leuten im Ort haben wir bekommen." Die Versicherung hat gezahlt und sie haben das Haus wieder aufgebaut. "Das war für uns und unsere Trauer wichtig." Doch das Trauma bleibt: "Unsere Zeit hier ist vorbei."

In diesen Tagen allerdings bestimmt Händels "Ottone" ihr Leben und Schaffen, die "riesengroße Freude, wieder mit Brade am Opernhaus Halle zu arbeiten, erstmals nach 25 Jahren." Ihr Konzept: Das schillernde Byzanz trifft auf die Germanen, Seide trifft Blech. "Meine Farben sollen dem entsprechen. Gold, Grün, Orange für den Orient, Grau und Silber fürs Germanische." Am 3. Juni ist Premiere.

Ach, so: In New York war die Oettingen mit ihrer Mode inzwischen natürlich auch. Vergangenes Jahr mit dem Erdbeerfilm im MoMa. "Beim Shooting auf der 5th Avenue waren wir der Hammer", strahlt die Ausnahme-Gestalterin, deren Werke aus der CCD-Zeit inzwischen im Deutschen Historischen Museum aufbewahrt werden. Damit nicht genug: Im Herbst wird sie mit Unterstützung der Kunststiftung Sachsen-Anhalt in der Mega-Metropole ihre Kreationen in einer Ausstellung zeigen, zusammen mit Fotos von Jürgen Hohmuth. Zur Eröffnung gibt es eine Modenschau. Das Motto? Ist doch klar: "New York ist da, wo wir sind!"

Händelfestspiele vom 2. bis 12. Juni

"Ottone Re di Germania" am 3. Juni (Premiere), 5. Juni und 10. Juni

jeweils 19 Uhr Oper Halle