Meisterhäuser in Dessau Meisterhäuser in Dessau: Ganz schön abstrakte Architektur

dessau-rosslau/MZ - Die Meisterhaussiedlung ist wieder komplett, die auferstandenen Häuser Gropius und Moholy-Nagy sind staatstragend vom Bundespräsidenten eingeweiht worden. Wie er haben die Besucher des Weltkulturerbes einen neuen Begriff gelernt: Die Häuser, mit denen die Berliner Architekten Bruno, Fioretti, Marquez die Fehlstellen des Krieges wieder gefüllt haben, sind nicht Neubau, nicht Nachbau, nicht Wiederaufbau, sondern „Unscharfe Rekonstruktion“.
Das R-Wort ist dank qualifizierendem Adjektiv in Dessau wieder hoffähig geworden, nachdem es die Stiftung Bauhaus so lange für anstößig erklärt hatte. Als Dessau 2002 „Haus Emmer“ übernahm, wurde es möglich, über eine Arrondierung der Meisterhaussiedlung nachzudenken. Die Situation verlangte danach, weil die im Krieg unbeschädigten, aber zu NS-Zeiten entstellten und danach jahrzehntelang verschlissenen Häuser mittlerweile mustergültig restauriert worden waren, aber kein Ganzes mehr bildeten.
Graue Fenster, kahle Wände
Nun tun sie es wieder, aber doch in einer verfremdeten Art. Was man sieht, sind die kubischen Bauformen, die dem Original genau entsprechen, jedoch auf die Grundformen reduziert und aller Details entkleidet, von den Balkonbrüstungen zu den Fenstersprossen. Die Fenster sind dunkelgrau getönt und bündig in die Wände eingelassen, „Senkgläser“ genannt. Innen blickt man in kahle Räume, wo die ursprüngliche Raumaufteilung nur in Teilen vorhanden ist und die Decken durchbrochen sind. Man schaut auf das, was die Architekten die „Interpretation des ursprünglichen Hauses“ nennen. Die Kahlheit und Fremdheit macht Eindruck und lässt doch die Frage offen: Was ist hier gewollt?
Als der Abriss von Haus Emmer beschlossen war, dem Satteldachhäuschen der 50er-Jahre auf dem Souterrain des Gropiushauses, war der originalgetreue Wiederaufbau beider fehlender Häuser eine nahe liegende Option. Es gibt dokumentarische Quellen, selbst Gropius’ Dessauer Möbel überleben in seinem Haus in Lincoln, Massachusetts. Im Bauhaus wird sein Direktorenzimmer unter anderem mit dem Nachbau seines Schreibtisches wieder eingerichtet.
Bei den Meisterhäusern nahm die Stiftung eine andere Haltung ein, sozusagen aus höherer Warte: Nicht Kulissenarchitektur für Touristen dürfe das Ziel sein, vielmehr müsse der Ort auf immer die Brüche des 20. Jahrhunderts bezeugen. Die Rekonstruktionskritik aus den Debatten vor allem um das Berliner Schloss und die Frauenkirche wurde unterschiedslos auf Dessau angewendet. Doch bei der Siedlung ging es um eine Teil-Rekonstruktion. Sie war der (umfangreiche) Torso von Gropius’ Urentwurf. Die Frage war daher, ob der Rückgriff auf diesen Entwurf, der für die Moderne eine Wegmarke bedeutete, dem Geschichtsbewusstsein nicht mindestens genauso dienen würde.
Auf der nächsten Seite lesen Sie unter anderem Beton und Balkone.
Beton mit Lasur
Aus dieser Frage konstruierte das Bauhaus, noch unter Omar Akbar, aber in modifizierter Form auch unter Philipp Oswalt, die These von der „Aktualisierung der Moderne“, will sagen eine neue Architektur im Geiste des Vorbilds. Aber es brauchte zwei Wettbewerbe, bis ein Architekt „mit Haltung“ gefunden war, wie es der Juryvorsitzende David Chipperfield ausdrückte, bekannt von seiner Neu-Schöpfung des Berliner Neuen Museums.
Dem entsprach Jose Marquez, der mit Büropartnerin Donatella Fioretti das Konzept der „Unschärfe“ zur Diskussion stellte. Hergeleitet haben sie es denn auch aus Konzeptkunst und Literatur – Hiroshi Sugimotos verschwommene Fotos architektonischer Ikonen, Thomas Demands atmosphärisch fotografierte Modelle bedeutsamer Stätten, die surreale Wirklichkeit in Jorge Luis Borges’ Erzählungen. Rekonstruktion sei wie „wissenschaftliche Pflicht“, die Erinnerung aber erzeuge immer nur „ungenaue“ Bilder.
Ihre heutige „Interpretation“ von Gropius’ Architektur würde also von Konzeptkunst angeregt werden. Das aber stößt nun an Grenzen: Man baut Häuser nicht aus Ideen, sondern mit Mauern. Dessen bewusst, prägten die Architekten den paradoxen Begriff von der „präzisen Unschärfe“. Ihre Bauten seien die „Abstraktion“ des Gewesenen, zu ergänzen im Kopf des Betrachters, und in ihrer Erscheinung verfremdet. Dazu dienen einige Effekte. Der Beton der Außenmauern ist mit einer Lasur überzogen. Dessen „Schleier“ sowie das schemenhafte Passieren von Licht durch die getönten Gläser soll für die „Unschärfe“ stehen, die Glätte des Baukörpers für „Abstraktion“. Innen schafft die neue Raumschöpfung die „freie Interpretation“, während die Lichtgeometrie der opaken Fenster auf dem kahlen Beton wiederum „Abstraktion“ sein will.
Balkone, auf die keine Tür öffnet
Doch letztlich offenbart der Entwurf seinen Kompromisscharakter. Glasflächen anstelle von Fenstern, und Balkone, auf die keine Tür öffnet, sind „abstrakt“, aber eine Eingangstür mit Stufen davor gibt es dann doch. Die Grundrisse werden aufgelöst, aber das Treppenhaus steht am originalen Ort, dort wo der hohe Fensterschlitz ist. Und die Umfassungsmauer ist alles andere als „unscharf“, sondern hält sich exakt an Gropius„ Urentwurf, und rekonstruiert (!) Mies van der Rohes Trinkhalle. Und wo an der Straßenfront die Atelierfenster des Moholy-Nagy-Hauses und des Feininger-Hauses aufeinandertreffen, steht die opake „Lichtöffnung“ gegen transparente Scheiben mit Stahlsprossen. Es offenbart sich weniger der Bruch des 20. Jahrhunderts als der des denkmalpflegerischen Konzepts, der rechts auf akribische Restaurierung und links auf minimalistische Reduktion setzt.
Und im Haus Moholy-Nagy wird die Nutzbarkeit des drei Stockwerke tiefen Schlunds bei Veranstaltungen zu testen sein. Der Besucher der neuen Häuser ist allein gelassen mit dem Enträtseln des ganzen theoretischen Überbaus, umso mehr als das Geld für die geplante Ausstellung im Haus Gropius fehlt. Das theoretische Konstrukt stellt sich vor den Genius des Urentwurfs, in all seiner Genialität und Begrenztheit: bürgerliche Kleinteiligkeit im Gewand revolutionärer Formensprache.
Bezeichnend auch, dass die verspiegelten Stützen fehlen, die den Querriegel über der Veranda trugen. So hätte Gropius dank Stahlbeton heute gebaut, heißt es, aber interessanter ist doch, wie er sich damals behalf. Unter dem Mantel einer Architektur moralisierender Belehrung wird die Architektur unsichtbar, mit der eine neue Epoche begann.
Meisterhäuser in Dessau: Ebertallee 59-71, geöffnet Di-So 10-17 Uhr (letzter Einlass halbe Stunde vor Schließzeit). Führungen: Di-So jeweils 12.30 Uhr und 15.30 Uhr, Sa und So auch 13.30 Uhr.

