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Lukas Langhoff Lukas Langhoff: Die Schnittmenge der Kreise

Von Andreas Hillger 22.01.2012, 17:39

Dessau-Rosslau/MZ. - Es gibt einen Satz im "Faust", den Lukas Langhoff über die Erinnerungen an seine Jugend schreiben könnte: "Weh Dir, dass Du ein Enkel bist", lässt Goethe seinen Mephisto dort sagen. Und so muss sich der Junge Lukas auch gefühlt haben, als ein Lehrer die vergessenen Hausaufgaben einst mit dem Satz kommentierte: "Dafür hat Dein Großvater nicht im Konzentrationslager gesessen." Der Großvater war Wolfgang Langhoff, Kommunist, Autor des Liedes "Die Moorsoldaten", ostdeutsche Theaterlegende und bis zum politisch motivierten Rücktritt 1963 Intendant des Deutschen Theaters Berlin. Lukas Langhoffs Vater Thomas leitete das gleiche Haus nach der Wende für zehn Jahre, sein Onkel Matthias ist ebenfalls ein gefeierter Regisseur, seine Cousine Anna Autorin, sein Bruder Tobias Schauspieler. Eine Dynastie, der man kaum entkommt ...

Dass Lukas Langhoff nun in der Kantine des Anhaltischen Theaters sitzt und über seine Inszenierung von Uwe Tellkamps "Der Turm" spricht, ist dennoch alles Andere als selbstverständlich. Lange hat er sich gegen die Erbfolge gewehrt, hat als Tischler gearbeitet und in Rockbands gespielt - und als der Drang zum Theater dann doch übermächtig wurde, ist er immer auf Distanz zu den Wirkungskreisen der Familie geblieben. Bei Frank Castorf, Christoph Schlingensief und Johann Kresnik hat er assistiert, für drei Jahre den "Prater" der Berliner Volksbühne geleitet und dann seine künstlerische Heimat für lange Zeit vor allem bei Tobias Wellemeyer gefunden - zunächst in Magdeburg, dann in Potsdam. Zuletzt arbeitete Lukas Langhoff in Bonn und Bremen, nun also stellt er sich dem "Turm" - und damit auch eigener Geschichte.

Denn natürlich hat das Panoramagemälde aus dem bildungsbürgerlichen Dresdner Milieu der späten DDR auch mit Lukas Langhoffs Biografie zu tun - so wie mit der von Armin Petras, der einst in die Parallelklasse von Langhoff ging und nun den Roman für die Bühne bearbeitet hat. Uraufgeführt wurde diese Fassung in Dresden übrigens von Wolfgang Engel, der ein künstlerischer Ziehvater von Tobias Wellemeyer war. Der wiederum hat Lukas Langhoff gefördert und den "Turm" inzwischen selbst in Potsdam inszeniert ... Weh Dir, dass Du ein Enkel bist? Davon hat sich Langhoff längst befreit. Einmal, vor Jahren, sei er mit seiner Leipziger Inszenierung der "Simple Stories" von Ingo Schulze in die Ostalgie-Falle getappt. Weil ihm das nicht wieder passieren soll, nähert er sich dem neuen Text nun "nicht wissend, sondern naiv fragend". Dass dies durchaus wörtlich gemeint ist, haben die Dessauer Schauspieler in den ersten Probenwochen erfahren: Lange saß man beisammen und sprach über Lebensläufe und Erfahrungen. "Bei mir", sagt Lukas Langhoff, "muss man sich sichtbar machen."

Um das Prinzip zu erklären, hat er im Regiebuch zwei Kreise gezeichnet, die sich überschneiden. Der eine steht für den Schauspieler, der andere für die Rolle - und die Schnittmenge für das, was am Ende auf der Bühne sichtbar ist. Es geht also weder um reine Identifikation noch um komplette Distanzierung. Die Wahrheit liegt in der Mitte - und bevor die nicht gefunden ist, fängt dieser Regisseur nicht an zu inszenieren. Das ist für ein Stadttheater-Ensemble ungewöhnlich und fordert hohes Maß an Vertrauen. Das aber, sagt Langhoff, habe er in Dessau gefunden.

Am "Turm" interessiert ihn zudem nicht nur die abgeschlossene Geschichte eines untergegangenen Landes - sondern dessen verborgene Wurzeln, die in der Gegenwart neue Triebe hervorbringen. Die Gästewohnung von Lukas Langhoff liegt direkt neben der Dessauer Mc-Donald’s-Filiale, an der vor einer Woche ein junger Mann niedergestochen wurde. Dass nun auch Rechtsextreme durch die Straßen marschieren, lässt Langhoff nach der Salonfähigkeit von Ausländerhass im bürgerlichen Lager fragen. "Wie viele von Tellkamps einstigen ,Turm’-Bewohnern würden heute die Thesen von Thilo Sarrazin unterschreiben?"

Auch diese Frage hat viel mit dem eigenen Dasein des Mannes zu tun, dessen Lebensmittelpunkt in Berlin-Kreuzberg liegt. Hier wohnt er mit seiner Tochter und seiner Frau, der in der Türkei geborenen Sermin Langhoff. Die Theatermacherin, die das Ballhaus Naunynstraße seit 2008 so erfolgreich leitet, dass sie unlängst zur Co-Direktorin der Wiener Festwochen berufen wurde, hat ihren Mann für die Situation von Migranten in Deutschland sensibilisiert. Dass ihre Inszenierung "Böses Blut" nun sogar zum Theatertreffen eingeladen ist, freut ihren Mann. "Ich bin unheimlich stolz auf sie", sagt er lächelnd. Und er wird wohl auch beim Dessauer Premierenapplaus wieder jene Geste in Richtung Parkett machen, die er sich bei jubelnden Fußballern abgeschaut hat und die seiner Frau gilt.

Seinen Platz in der Dynastie hat er also gefunden. Gerade hat Lukas Langhoff die neue Biografie gelesen, die Esther Slevogt über seinen Großvater veröffentlicht hat. Und bei seinen Eltern wird an jedem Wochenende gemeinsam gekocht. "Ich bin", hat der Sohn bei einem dieser rituellen Treffen zu seinem Vater gesagt, "nicht stolz auf unsere Vergangenheit. Aber ich bin stolz auf unsere Gegenwart."

Und wenn Ort und Zeit es erlauben, dann sehen sich die Langhoffs natürlich wechselseitig auch ihre Theaterarbeiten an. Einen "Turm" hat übrigens auch Thomas Langhoff schon einmal inszeniert - den von Hugo von Hofmannsthal vor zwei Jahrzehnten bei den Wiener Festwochen, die demnächst von seiner Schwiegertochter geleitet werden ... So schließen sich Kreise.

Premiere für "Der Turm" am 4. Februar, 19.30 Uhr, Großes Haus Dessau.