Louis Fürnberg Louis Fürnberg: «Im Innersten in Böhmen daheim»
Halle/MZ. - Auch die Erbepflege der DDR hat hier ganze Arbeit geleistet. Wer droht da zu verschwinden? Ein politisch so nervöser wie traumverlorener Lyriker, ein Feingeist im Parteirock, der von der Musik herkam. Von der Kabarettbühne. Vom Volkslied. Vom "Echo von links".
Ein Pragerdeutscher Autor, der mit Kisch befreundet war, der die Landschaften kannte, die "das Gesicht der Menschen prägten". Ein Musiker mit absolutem Gehör. Ein Verehrer Rilkes, den er als 17-Jähriger in der Schweiz besuchte. Ein Verehrer der Dichterin Else Lasker-Schüler, die er 1945 in Jerusalem zu Grabe trug. Einer, der Karl Kraus liebte und Maxim Gorki. Der den Dichter Kurt Bartel entdeckte, der sich Kuba nennen sollte, der ja am Anfang ein interessanter Anarch war aus den schwarzen sächsischen Wäldern. Fürnberg hatte ihn gefördert, wie viele junge Autoren, die von der DDR aus Literaturgeschichte schreiben sollten.
Fürnberg, ein Dichter des Jahrgangs 1909, was hieß: die entscheidenden geistigen und sittlichen Prägungen in einem kalten Bürgerkrieg zu erfahren. Ein Unternehmersohn, Jude und Deutschböhme mit tschechischem Pass, Kommunist seit 1928. Louis Fürnberg ist 23, als in Berlin Hitler die Macht ergreift. Er ist 29, als er in Prag von der Gestapo ergriffen wird: 13 NS-Gefängnisse überlebt er. Es folgen: eine Flucht nach Jugoslawien, von 1941 an das Exil in Jerusalem.
Rückkehr nach Prag 1946, die keine Heimkehr ist. Auch als Kommunisten sind Deutsche unerwünscht, als Juden noch zusätzlich verletzbar. Die DDR erlaubt 1954 die Einreise. Fürnberg siedelt sich in Weimar an, ausgerechnet dort. Klassik-Firma und Konzentrationslager, in dem Fürnbergs Bruder ermordet wurde. Der Dichter wird Vize-Direktor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten. Drei Jahre soll er in Weimar leben. Fürnberg stirbt 1957 auch an den politischen Welttatsachen, 48 Jahre alt. Eine Witwe hinterlässt er, die 2004 in Weimar starb, zwei Kinder. Ein Werk: mehr verloren als verkannt.
Niemals hatte dieser Dichter Zeit, der von sich schrieb, dass er alt wie ein Baum werden wolle. Keine Zeit, sich frei bilden, reifen, irren zu können. Immer herrschte Ausnahmezustand. Waren Terror, Exil, Sehnsucht. Um so erstaunlicher, dass es die Gesammelten Werke ab 1964 auf sechs Bände bringen. Poesie, Prosa, Publizistik, reizvolle Stücke wie "Bruder Namenlos", "Mozart-Novelle", "Das Jahr des vierblättrigen Klees".
Allein da ist das Lied "Die Partei", 1950 von Fürnberg verfasst und vertont. Ein dunkler, auch schriller Schlager. Ein Gedicht, das eine eigene kulturgeschichtliche Monografie wert wäre. "Die Partei / die Partei / die hat immer recht". Denn: "wer / für das Recht kämpft, / hat immer recht, / gegen Lüge und Heuchelei!" Welches Recht? Wessen Recht? Wessen Lüge? Für Fürnberg gab es da 1950 keine Fragen, sonst gäbe es nicht dieses Lied. Fürnberg notierte, was unter seinesgleichen Konsens war. Das heißt, allein unter den Kommunisten seiner Generation, den um 1900 Geborenen. Jene, die sich mit ihrer Biografie vollständig ausgeliefert, vollständig verschrieben hatten. Aber das war eben schon nicht mehr der Konsens der ab 1920 geborenen SED-Kommunisten. Dass man in der DDR mit diesem Lied behelligt wurde bis zum Schluss, lag nicht an Fürnberg.
Eine andere Frage ist die: Hat Fürnberg mit diesem Lied seine Kunst verraten? Nein, denn es geht hier um Politkunst. Hat er den Künstler verraten, der er ja auch war? Diese Frage ist schon interessanter, aber sie darf nicht von heute aus gegen Fürnberg beantwortet werden. Immer habe er Angst vor dem Tod gehabt, hatte der an Tbc leidende Dichter Mitte der 30er Jahre gesagt. "Alles, was ich tue, ist eine Flucht vor ihm. Vielleicht auch mein Kommunismus." Auch hier: Fürnberg hatte keine Zeit. Keine Zeit, Jahre später einen Text folgen zu lassen. Wie Johannes R. Becher zum Beispiel. Oder Fühmann. Oder Jene, die ihm etwas verdankten, unter anderen Christa Wolf.
Man muss sich vor dem Parteilied nicht fürchten, aber man muss es auch nicht ausstellen. In der von Gerhard Wolf und Fürnbergs Tochter Alena unter dem Titel "Lebenslied" besorgten Gedichtauswahl taucht der Text nicht auf. Im Nachwort wird er zwischen den Zeilen erwähnt. Ein Buch der Verehrung und der Freundschaft liegt hier vor, und der Rückholung des Poeten.
Gerhard Wolf, 80, war der Mitherausgeber der Werkausgabe von 1964, was man in dieser Gedicht-Auswahl nicht erfährt. Auch hätte man gerne die Entstehungsjahre von allen, nicht nur einigen Gedichten gewusst. Aber vor allem gilt doch das: Dieses Buch ist eine Tat. Es macht einen kulturellen Herkunftsraum wieder wahrnehmbar. Und einen Dichter sichtbar.
Noch wo Fürnbergs Zeilen mit einer liedhaften Leichtigkeit einherkommen, strömt etwas Schweres mit. Das Wissen um den frühen Tod ("Mein früher Tod geht neben mir / mein brüderlicher Schatten"), das Wissen, dass immer etwas ungesagt bleiben wird. "Der Mensch ist geheimnisvoll", das ist ein Satz, den Fürnberg oft gesagt haben soll, schreibt Gerhard Wolf. "Ein Satz von ihm, den Eingeweihte bis heute zitieren." Fürnberg, das ist Musik, das ist Böhmen, ist Rilke, das ist Kunstwollen in mörderischer Zeit.
Volksliednahe Verse wie eben der Wunsch: "Alt möcht ich werden wie ein alter Baum... / Aus sagenhaften Zeiten möcht ich ragen". Hohe Musikalität also, und immer wieder die Anrufung der Heimat. Gerhard Wolf zitiert Fürnbergs Tagebuch von 1952: "Unbedingt im Innersten in Böhmen daheim".
So kennt Fürnbergs Werk viele Stimmen, viele Lebensrollen. Fürnberg war Böhme, ein buchstäblicher Bohemien, war Künstler und Parteisoldat. Vielleicht hätte er eine der Rollen aufgegeben, vielleicht eine andere hinzugefügt. Dass er diese Zeit nicht haben sollte, ist von früh an ein Grundton in seinem "Lebenslied". Das begann vor 100 Jahren, und es ist für den, der lesen kann, nicht verklungen.
Louis Fürnberg: Lebenslied. Faber und Faber, Leipzig 2009, 120 Seiten, 18 Euro. 50 Exemplare als Vorzugsausgabe mit einer Grafik von Claudia Berg für 60 Euro.
Weimar, Stadtschloss: Sonntag, 11 Uhr, Festveranstaltung für Fürnberg, mit Alena Fürnberg, Wulf Kirsten, Henri Poschmann