Literatur Literatur: Vor zehn Jahren starb Astrid Lindgren

Berlin/dapd. - Ohne sie wäre die Kindheit nur halb so schön: Vor allem mit Pippi Langstrumpf, Kalle Blomquist, Michel aus Lönnebergaund den Kindern aus Bullerbü schuf Astrid Lindgren Gestalten voller Fantasie und Kraft. Dabei hatte sich die Bauerstochter aus demsüdschwedischen Dorf Näs eigentlich geschworen, niemalsSchriftstellerin zu werden. Heute gilt Astrid Lindgren, die vor zehnJahren starb, als bekannteste Kinderbuchautorin aller Zeiten.
Ihre Karriere begann mit einem Zufall: Tochter Karin erkrankte imHerbst 1941 an einer Lungenentzündung und genas nur langsam. Siebettelte: «Mama, erzähl mir bitte was!» Und die Mutter erzählte vonihrer Kindheit auf einem Bauernhof, ihrem Vater Samuel August, denzwei Schwestern und dem heiß geliebten Bruder Gunnar. Sie erzähltevon ihren Schulfreundinnen aus der nahe gelegenen KleinstadtVimmerby, der Pfarrersenkelin Anna-Marie und der BankierstochterMadicken, Vorbild für die spätere Romanfigur «Madita».
Eines Abends bat Karin: «Erzähl mir von Pippi Langstrumpf.» Soersann die Mutter die Geschichte jenes eigenwilligen Mädchens mitden feuerroten Haaren, das mit unglaublicher Körperkraft und Schläuegegen die Erwachsenenwelt und deren Einrichtungen rebelliert.
Zwtl.: 1945 begann die Erfolgsgeschichte
Erst drei Jahre später - Astrid Lindgren hatte sich den Fußverstaucht und musste für einige Wochen das Bett hüten - schrieb siedie Geschichte auf. Der erste Verlag, dem sie das Buch anbot, lehntees ab. «Ich hatte selbst kleine Kinder und stellte mir vollerEntsetzen vor, was passieren würde, wenn sie sich dieses Mädchen zumVorbild nähmen», erklärte der Verleger Gerhard Bonnier später.
1945 gewann «Pippi Langstrumpf» schließlich den Hauptpreis ineinem Kinderbuchwettbewerb. Damit begann die Erfolgsgeschichte derdamals 37-jährigen Astrid Lindgren, die schon in der Schule wegenihrer guten Aufsätze die «Selma Lagerlöf von Vimmerby» genanntworden war.
Zwtl.: Disziplinierter Tagesablauf
Lindgren lehrte ihre Leser, dass eine Gruppe nur so gut sein kannwie ihr schwächstes Glied und dass Frieden untereinander nur dannmöglich ist, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Ihre HeldenPippi, Kalle, Annika, Eva-Lotte, Michel, Ole und wie sie alleheißen, sind keine Musterkinder, sondern Kinder aus Fleisch undBlut. Sie sparte auch Trauer, Grausamkeit, Einsamkeit und Aggressionin ihren Werken nicht aus. Auf die Kritik, ihr Buch «Mio, mein Mio»(1954) sei zu brutal, sagte sie: «Seitdem es Märchen gibt, sindTrauer und Schrecken und Gewalt der gemeinsame Besitz von Kindernund Erwachsenen... Erst vor kurzem ist es den Leuten in den Sinngekommen, dass man Kinder höchstens Geschichten von Eichhörnchenaussetzen kann.»
Lindgren selbst hatte in ihrem Leben zahlreiche Krisen zubewältigen. Mit 18 Jahren wurde sie schwanger, der Vater des Kindeswar verheiratet. Sie musste Näs verlassen und schlug sich alsSekretärin in Stockholm durch. Der 1926 geborene Sohn Lars lebtejahrelang in einer Pflegefamilie. 1931 heiratete sie Sture Lindgren,die gemeinsame Tochter Karin kam 1934 auf die Welt.
Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin übernahm Lindgrenin dem Verlag Rabén& Sjögren die Aufgabe, eine Kinderbuchabteilungaufzubauen. Ihr Tag war streng eingeteilt: Morgens, wenn Lars undKarin in der Schule waren, schrieb sie ihre eigenen Bücher, mittagsging sie in den Verlag, den Abend verbrachte sie zu Hause. Im Laufeder Jahre entstanden so mehr als 100 Bücher, die in 26 Ländern und76 Sprachen erschienen. Alle Exemplare zusammen würden - aneinandergelegt - drei Mal um den Erdball reichen. In deutscher Spracheerscheinen ihre Bücher - längst Klassiker - im Hamburger OetingerVerlag.
Anfang 1992 zog sich die fast erblindete Schriftstellerin aus derÖffentlichkeit zurück. Das Schreiben gab sie auf. «Es geht nichtmehr. Ich bin zu alt. Ich finde, dass ich mich jetzt ausruhen kann»,erklärte sie. Auch an der offiziellen Feier ihres 90. Geburtstags imHerbst 1997 nahm Lindgren, die seit dem Tod ihres Mannes 1952 alleinin einer kleinen Wohnung in Stockholm lebte, nicht teil. Am 28.Januar 2002 starb sie im Alter von 94 Jahren an den Folgen einerVirusinfektion. Ihr Grab befindet sich in ihrem Heimatdorf Vimmerby.