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Literatur Literatur: «Ich schreibe nur aus Weltvertrauen»

Von Christian Eger 23.04.2007, 15:36

Leipzig/MZ. - So einen zieht man sich nicht leichtfertig auf das heimische Lesesofa: Einen Apostel der Negativität, der jede Weltsicht verlacht, die auf plattfüßigen Fortschritt zielt.

Äußerlich erscheint diese Lesart als einleuchtend: 1932 als Sohn eines jüdischen Händlers in Budapest geboren, wird der Knabe Kertész 1944 über Auschwitz nach Buchenwald und in dessen Außenlager Rehmsdorf bei Zeitz deportiert. Die Erfahrung der "Schicksallosigkeit" - die die Unmöglichkeit meint, Hoheit über die eigene Existenz zu erlangen - bildet das Material seiner Prosa, die Kertész 2002 den Literaturnobelpreis eintrug.

Allein, Kertész lässt sich auch ganz anders lesen. Als ein Autor, der einen Zugewinn an Lebendigkeit, Unabhängigkeit und begrifflicher Trennschärfe beschert. Und es ist genau dieser Kertész, der am Sonntagnachmittag im Leipziger Haus des Buches zu erleben war. Ein bestrickend freundlicher Herr von 76 Jahren, der von Berlin aus, wo er seit sieben Jahren lebt, nach Leipzig gereist war, um aus seinem dialogischen Selbstbericht "Dossier K." (Rowohlt, 238 S., 19,90 Seiten) zu lesen und darüber zu reden: mit heiserer Stimme im altösterreichisch tänzelnden Tonfall. Kleinkariertes, beigefarbenes Sakko, hochgeschlossenes schwarzes Hemd, das nach hinten gekämmte graue Haar wirft auf dem Kragen ein dunkles Schwänzchen. Herzliche Höflichkeit, das ist es, was Kertész ausstrahlt, der sich erhebt und verbeugt, wenn ihm applaudiert wird.

Nein, sagt der Autor im Gespräch mit dem Journalisten Lothar Müller, er selbst habe sich nie als ein "Leugner des Lebendigen" begriffen. Im Gegenteil. Schreiben könne man nicht aus einer Depression heraus. Und er könne es nur - und sei es noch gering - aus einem Weltvertrauen. Oder auf ein solches Vertrauen hin. Nach sechs Jahrzehnten gehe es ihm darum, dem Tod in den Lagern so etwas wie einen Wert abzugewinnen.

Also eine lebendige Kultur zu gründen, die das Individuum stärke. Dessen Medien, sagt Kertész, finde er in der Sprache und Musik. So habe er versucht, die Schönbergsche Atonalität ins Literarische zu übertragen. Atonalität meine ja in der Musik das Fehlen des Grundbass'. Und übertragen auf seine Prosa: das Fehlen einer Konsens-Kultur. "Jedes Wort hat nur seine situative Bedeutung", sagt Imre Kertész.

Dabei müsse sich das Übertragen des Atonalen nicht so humorlos wie in Thomas Manns "Doktor Faustus" ereignen. Was aber an dessen Berater, dem Philosophen und Musikwissenschaftler Theodor W. Adorno gelegen habe, den Kertész als völlig humorfrei abkanzelt. "Ein Freund vom mir sagte: Der sei der klügste blöde Autor." Adornos Diktum, dass nach Auschwitz kein Gedicht mehr möglich sei, nennt Kertész in "Dossier K." eine "moralische Stinkbombe". Denn alles Schreiben, sagt Kertész, sei ein Spiel. "Eines, das so ernst ist, dass ich mein Leben darauf setze."