Literatur Literatur: Gedichte aus dem Gasthaus

Tholey-Hasborn/dpa. - Mit einer Tasse Kaffee vor sich und einemZigarillo im Mund schreibt Johannes Kühn fast Tag für Tag Gedichte imDorfgasthaus seines saarländischen Heimatortes Tholey-Hasborn. Der70 Jahre alte literarische Außenseiter, der schon in einem im Januar2000 verfassten Gedicht «Hochhaus» die Bedrohung von Wolkenkratzerndurch Flugzeuge und Krieg zum Thema machte, zählt heute zu denbekanntesten Lyrikern in Deutschland. Am Montag (7. Juni) erhält erden renommierten Friedrich-Hölderlin-Literaturpreis der Stadt BadHomburg und reiht sich damit ein in so prominente frühere Preisträgerwie Peter Härtling, Wolf Biermann oder Marcel Reich-Ranicki.
«Ich bin ein Anhänger Hölderlins, habe mich schon in jungen Jahrenmit ihm beschäftigt, und fühle mich so geehrt», sagt Kühn. Die 12 500Euro Preisgeld will er für eine Reise nach Österreich oder in dieSchweiz nutzen und «für seine alten Tagen sparen». Da es inDeutschland zum Leidwesen vieler Poeten fast mehr Gedichtschreiberals Leser von Gedichten gibt, war auch Kühn finanziell meist nichtauf Rosen gebettet.
Der 1934 als Sohn einer Saar-Bergarbeiterfamilie mit neun Kinderngeborene Literat hatte sich als junger Mann jahrelang alsHilfsarbeiter mit Schippe in der Hand seinen Lebensunterhalt in einerTiefbaufirma verdienen müssen, ehe er am Staatlichen KonservatoriumSaarbrücken studierte und 1974 als freier Schriftsteller anfing.Zeitweise war er schwer lungenkrank, lebt seit vielen Jahren im Hausseiner Schwester in Tholey.
1984 gelang ihm der literarische Durchbruch mit dem von seinenMentoren Irmgard und Benno Rech herausgegebenen Sammelband«Salzgeschmack» und 1989 mit der von Kritikern viel gelobtenGedichtsammlung «Ich Winkelgast».
«Die dörfliche Welt und die Welt in Gasthäusern, schlichtdargestellt, liegt mir besonders am Herzen», beschreibt Kühn seinWerk: «Ich brauche nicht über mein Leben zu sprechen, weil ja allesin den Gedichten steht». Vom Omnibus bis zur Großmutter und vom Betenbis zum Bier reicht die Thematik seiner inzwischen mehr als 10 000Gedichte, die oft ohne gängige Reime auskommen. Kühn hat auch mehrereErzählungen und Märchen, Dramen und Einakter verfasst.
«Gestimmt auf den Grundton melancholischer Lebensfreude und aufwissende Ironie sind die Gedichte dieses sanften Außenseiters...demLeser zugewandt», lobt die Hölderlin-Jury. Im Jahr 2000 war Kühn mitdem Hermann Lenz-Preis ausgezeichnet worden und im März 2004 bekam ervon der saarländischen Landesregierung den Professorentitelehrenhalber verliehen.
Zuletzt erschienen von Kühn 2002 im Gollenstein Verlag derGedichtband «Nie verließ ich den Hügelring» und 2004 im Hanser Verlagdie Erzählung «Ein Ende zur rechten Zeit» über einen Studenten, derin einem Holzwerk arbeitet, das als Rohfertiger moderner Wohnwelteneinen Einblick in Fluch und Segen der Arbeit erlaubt. Auf die Fragenach seinen Plänen für die Zukunft stellt Kühn lakonisch fest: «Nochmehr Gedichte schreiben - und bessere.»