Kurt-Weill-Fest Dessau Kurt-Weill-Fest Dessau: Aufgalopp mit Höhenflug
Dessau/MZ. - In seiner Inszenierung der Oper "Die Bürgschaft",mit der am Freitagabend das zehnte Kurt-Weill-Festim Anhaltischen Theater Dessau eröffnet wurde,zitiert der britische Regisseur Jonathan Eatondiese historische Ikone eher unbewusst. Obwohlman den Händedruck der Protagonisten Mattesund Orth durchaus als Reminiszenz jenes Einheitspartei-Abzeichensverstehen kann, das zum Ende der DDR an vielenJackett-Kragen seinen Abdruck hinterließ,gründelt er nie in den Untiefen der jüngerendeutschen Geschichte.
Sein schier unerschöpflicher Bildvorrat stiftetvielmehr vorsätzliche Unklarheit - und verrätseltdamit dieses merkwürdig vielschichtige Belehrstück.Das dramaturgische Luftschloss nämlich, dasKurt Weill und sein Librettist Caspar Neherim Abenddämmer-Licht der Weimarer Republikerbauten, wird mit allerlei bildungsbürgerlichemBallast zur Bodenhaftung gezwungen: Nebendem offensichtlichen Bezug zu Schillers gleichnamigerBallade gibt es Marx-Maximen und Seneca-Sentenzen,Wagner-Wallen und Bibel-Bilder. Nachdem diebeiden Vorarbeiter der Bühnen-Werkstatt Brechtlange für die musikalische und optische Tiefenschärfeder Schwarz-Weiß-Zeichnungen zuständig gewesenwaren, sehnten sie sich offenbar nach jenerVernebelungs-Taktik, die der Chor der "Bürgschaft"einmal sogar mit meteorologischer Präzisionerklärt.
Wie wollte man sich auch sonst jenen Grauschleiererklären, der die gewollte Warnung vor Systemenund Ideologien überzieht? In Ermangelung klarerKonturen verschmelzen die Figuren zur kritischenMasse: Die Idylle des Landes Urb trägt denKeim der Untergangs in sich, der Kommissarder großen Mächte hingegen ist nicht freivon Zweifeln. Da scheint es nur folgerichtig,dass Eatons Ausstatter Danila Korogodsky 70Jahre nach der Uraufführung zusätzliche Symbol-Katalogeplündert und der ahnungsvollen Denkschriftauch ihr östliches Profil abgewinnt.
Dass die Fülle der ausgestellten Ziffern undZeichen die Botschaft der "Avantgartenlaube"(Eisler) also zwischen den Extremen von kommunistischerAgitation und faschistischer Propaganda ansiedelt,ist am Ende aller Gewissheiten durchaus folgerichtig.Was nach dem Verlust der Tendenz auf der Haben-Seitesteht, ist die fatalistische Zustands-Beschreibungeiner globalen Gewinn-Gesellschaft - und einekluge Konflikt-Beschreibung, die sich derpräzisen Personen-Regie und der grandiosenEnsemble-Leistung verdankt.
Denn dies ist die eigentliche Sensation: NeunJahre nach der Wiederentdeckung in seinerHeimatstadt ist der Komponist Kurt Weill aufder Bühne des Anhaltischen Theaters angekommen.Mit maximalem Aufwand - und vor allem miteiner außerordentlich kompetenten musikalischenUmsetzung - findet er endlich jene ungetrübteAufmerksamkeit, die ihm gebührt. Und das liegtnicht allein an Gästen wie der großartig sentimentalenMargaret Thompson oder dem von vornhereingedrückten, auch vokal oft zurückgenommenenPhilip Lima. Vor allem eigene Ensemble-Mitgliederwie der kraftvoll sensible Ulf Paulsen, diejugendliche Christina Gerstberger, die unerbittlichseriöse Jana Frey sowie das mitreißende TrioMark Rosenthal, Taimo Toomast und JuhapekkaSainio haben großen Anteil am Gelingen einesAbends, der mit vollen Händen aus dem Überflussgeschöpft ist.
Was hier an Spiel- und Stimmkraft gebotenwird, setzt Maßstäbe für die Zukunft - undfindet seine Steigerung in der Leistung desbestens präparierten Chores und der AnhaltischenPhilharmonie. Und damit steht der eigentlicheHeld diesmal nicht auf der Bühne, sondernim Orchestergraben.
Generalmusikdirektor Golo Berg rechtfertigtmit seiner stets hörbaren Lust an feinen Nuancenwie an kraftvoller Forcierung, mit seinemSinn für Spannungsbögen und nicht nachlassenderKonzentration auf das Gesamt-Geschehen allehohen Erwartungen, die man seit seinem DessauerDienstantritt auch und vor allem in SachenWeill hegte.