Vor 150 Jahren geboren Edgar Wallace: In Deutschland Kult, in England vergessen
Vor hundert Jahren war er einer der erfolgreichsten Autoren Großbritanniens. Inzwischen kennen viele nicht einmal mehr seinen Namen. Eine Spurensuche zu Edgar Wallace.

London - Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Edgar Wallace - diese drei großen britischen Krimi-Autoren werden in Deutschland oft in einem Atemzug genannt. Doch zu Hause kennt Wallace 150 Jahre nach seiner Geburt kaum noch jemand.
Wer sich in seiner Heimatstadt London auf die Spurensuche nach dem einstigen Erfolgsautor begibt, wird mit einer mysteriösen Frage konfrontiert: Wie konnte Edgar Wallace in Vergessenheit geraten?
Immerhin schreibt der am 1. April 1875 in Greenwich als unehelicher Sohn einer Schauspielerin geborene Autor mehr als 170 Romane, 23 Theaterstücke und Hunderte Kurzgeschichten.
Erfinder des modernen Thrillers
Der Anaconda Verlag, der zum Jahrestag einen Sammelband der „spannendsten Fälle“ auf Deutsch herausgibt, preist ihn zudem als Erfinder des modernen Thrillers, „weil er den Thriller als eigenständiges Genre neben dem Krimi mit etabliert und populär gemacht hat“.
In Wallace' Büchern lauert stets Gefahr, dramatische Entwicklungen überschlagen sich, und tiefe menschliche Abgründe tun sich auf - der Schriftsteller hat ein Gespür dafür, wie er maximale Spannung bei seinen Lesern erzeugen kann.
Reporter in der hektischen Fleet Street
Doch ein Museum, das ihm gewidmet wäre, sucht man in der britischen Hauptstadt vergebens. Von einer Edgar Wallace Society, die einst seine 1997 gestorbene Tochter Penelope führte, gibt es nur noch eine gespenstische Website, deren Links ins Nichts führen.
Geblieben sind nur ein Pub, das nach ihm benannt ist, und eine bronzene Erinnerungstafel in der einen Steinwurf vom Pub entfernten Fleet Street, wo einst die hektische britische Zeitungsbranche angesiedelt war und Wallace als Reporter der „Daily Mail“ viele seiner Inspirationen gefunden haben dürfte.
Vor der Pandemie kamen die Touristen in Scharen
Das Pub hat einen gewissen Charme des Verfalls. Die Wände sind über und über beklebt mit Werbeplakaten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: Dauerwellen, Tweed-Mäntel, Schuhe, Zigaretten werden da beworben. Es ist eine Hommage an die vermeintlich guten alten Zeiten.
Im ersten Stock thront eine Gipsbüste des Autors. Ein Einbauregal in der Ecke ist mit Werken des Meisters gespickt, es ist mit einem Hinweis versehen: „Bücher bitte nicht anfassen!“ Es werde ja sonst alles geklaut, beklagt sich Wirt John Girling, der das Edgar Wallace Pub seit 15 Jahren betreibt.
Er denkt mit Wehmut an die Zeit zurück, als deutsche und spanische Touristen in Scharen in sein Pub gekommen seien. Doch die bleiben seit der Pandemie weitgehend aus und für das heimische Publikum ist das „Edgar Wallace“ ein Laden wie jeder andere. „Die meisten Briten haben noch nie von ihm gehört“, sagt der 70-Jährige.
Selbst Science-Fiction gehört zu seinem Repertoire
Dabei ist der Schriftsteller zu seinen Lebzeiten so erfolgreich wie kaum ein anderer. Die Werke handeln nicht nur von Verbrechen in Großbritannien, sondern auch von Abenteuern in Afrika, das Wallace erst als Soldat der Kolonialmacht, später als Korrespondent bereist. Vieles davon erscheint heute unerträglich rassistisch.
Selbst Science-Fiction gehört zu seinem Repertoire. Doch es sind die Kriminalgeschichten, die ihm zu internationalem Ruhm verhelfen. Sie werden in unzähligen Adaptionen für Bühne, Fernsehen und Radio verarbeitet.
Boom der Wallace-Filme in Deutschland
Gerade in Deutschland inspiriert Wallace schon früh die Filmemacher. Ein wahrer Boom setzt in den späten 50er Jahren ein, der über ein Jahrzehnt andauert. Beinahe 40 Filme mit Starbesetzung entstehen in der Bundesrepublik, die ein Millionenpublikum in die Kinos locken.
„Der Hexer“, „Der Frosch mit der Maske“, „Die toten Augen von London“ - in den Hauptrollen sind Joachim Fuchsberger, Klaus Kinski, Eddi Arent und noch viele andere Größen des damaligen Kinos zu sehen.
Es sei unbestritten, dass Edgar Wallace' Geschichten zur deutschen Kultur gehörten, heißt es vom Anaconda Verlag. In der Komödie „Der Wixxer“ aus dem Jahr 2004 werden die Wallace-Filme auf die Schippe genommen. Der Hamburger Nikol Verlag, der einige schön gebundene Ausgaben zum Jubiläum aufgelegt hat, sieht in den Filmen den Hauptgrund, dass Wallace in Deutschland noch immer ein Star ist.
Auch Wallace selbst erkennt die Macht des Kinos. In den 30er Jahren zieht es ihn nach Hollywood, wo er am Drehbuch für den Klassiker „King Kong“ mitarbeitet, aber noch vor dessen Vollendung 1932 unerwartet mit 56 stirbt.
Doch was ist es, das ihn in Großbritannien dem Vergessen anheimfallen lässt? Dieser Fall bleibt vorerst ungelöst, doch einen Hinweis könnte es geben: Anders als Doyle und Christie erschafft Wallace nie eine überragende Figur wie Doyles Sherlock Holmes und Christies Hercule Poirot.