Kunst Kunst: Glaubenskrieg entzündet sich an Strichmännchen
LEIPZIG/MZ. - Nun wird zwar in Leipzig derzeit kein Scheiterhaufen aufgerichtet, aber der Streit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) über den einzig wahren Weg zur "Leipziger Schule" nimmt doch Züge eines Glaubenskrieges an.
Neo Rauch, als zuletzt bedeutendster Fahnenträger dieser Stilrichtung, hat, wie bekannt, sein Amt als Hochschullehrer niedergelegt und kritisiert jetzt in ungewohnter Schärfe die Wahl des Kölner Malers Heribert Ottersbach zu seinem Nachfolger. Rauch hätte lieber einen eigenen Favoriten installiert, den Belgier Michael Borremans. Wer Arbeiten beider Künstler mit Gleichmut betrachtet, kratzt sich am Kopf: Wo liegt eigentlich das Problem?
Beide arbeiten gegenständlich-figurativ, auch wenn Borremans der Sphäre Neo Rauchs sichtlich näher liegt, vom antiquiert wirkenden Personal bis hin zu den surrealen Raumkonstruktionen, dem Zug ins Phantastische und Unheimliche. Ottersbach erregt die Leipziger Skepsis, indem er sich aus medialen Vorlagen bedient. In der Umsetzung geht er aber kaum weniger malerisch vor als Borremans. "Solides Handwerk", sagt er kategorisch in Anspielung auf die Kritik an seiner Berufung, "ist auch bei mir die Grundlage."
Doch wer will das hören? Ein namhafter Galerist, der die örtliche Malerschule seit Jahren vertritt, sagt von Ottersbach: "Der pinselt nur bunte Strichmännchen." Für solche Beobachter ist ausgemacht, dass mit dieser Berufung eine Tradition kaputtgemacht wird, umso schlimmer, wenn man, wie Hartwig Ebersbach, diese mitgegründet haben will: "Das war 1960, und seitdem gibt es hier Malerei." Er sagt das in einem eigenen Anhang zum Offenen Brief, den Scharen von Studenten und etliche Professoren unterschrieben haben. Und wenn Ebersbach den Ottersbach in Schutz nimmt, dann um ihn endgültig zu erledigen: Befreundet seien sie zwar, aber "aus einem anderen Kontext kommend, wirkt er hier fremd, er wirkt wie benutzt". Abgesehen davon, dass der als unreif hingestellte Kollege fast 50 Jahre alt ist, in Los Angeles, Lissabon und kurzzeitig sogar in Leipzig gelehrt hat, deuten Äußerungen wie diese auf ein Aufbrechen angestauter Ost-West Verstimmungen. Ähnliches gilt für die Gleichmacherei, die Neo Rauch dem Rektor der HGB, Joachim Brohm, unterstellt.
Alle in dessen Amtszeit berufenen Malereiprofessoren, sagt er, arbeiten konzeptuell und kommen aus dem Rheinland, das habe Methode: "Man kommt dann nicht eher zur Ruhe, bis man die Verhältnisse vor Ort so zugerichtet hat, dass sie einem entsprechen."
Die Gemengelage ist freilich vertrackter. Rektor Brohm ist zweifellos ein politisch denkender Geist. Im Offenen Brief seiner Widersacher erscheint die Frage der Leipziger Schule fast wie der letzte willkommene Anlass, strategische Veränderungen in den hochschulpolitischen Gremien ebenso anzugreifen wie solche in der Lehre.
Dass diese auf einen umfassenden Wandel zusteuert, scheint auch außenstehenden Beobachtern klar zu sein. Prinzipien des Grundlagenstudiums, das auf Naturstudium, Zeichnen und Techniken des grafischen Handwerks setzt, werden offenbar ausgedünnt. Es geht um die Mittelverteilung in den Fachbereichen, um ein Zurückdrängen der Malerei zugunsten der neuen Medien und der Fotografie.
Das aber wird nicht offen diskutiert. Die Atmosphäre ist durch den medial ausgetragenen Glaubenskrieg vergiftet, die Beteiligten sind beschädigt. Dass daran Neo Rauch nicht unschuldig ist, bescheinigen ihm sogar seine Parteigänger. Man ist von seinem plötzlichen Rückzug aus dem Amt befremdet, andere empfinden sein Verhalten als Nachtreten.
Die Direktorin der Galerie für zeitgenössische Kunst, Barbara Steiner, legt Wert auf gute Nachbarschaft und äußert sich nicht zu den Interna des Streits. Eine Beobachtung aber steuert sie bei: Die Österreicherin kennt sich aus mit den Richtungsstreitigkeiten, die die Wiener Akademie erschütterten. Dort wurden einst die tonangebenden "Phantastischen Realisten" entmachtet. "Warum eine Hochschule es nicht zulassen kann, zum Nutzen der Studenten mehrere Richtungen anzubieten, will mir einfach nicht in den Kopf."