Kriegsreporterin im 2. Weltkrieg Kriegsreporterin im 2. Weltkrieg: Die Frau in Hitlers Badewanne

Berlin - Der Krieg sollte vergessen sein. Verdrängt und buchstäblich weggeschlossen. Ihr einjähriger Einsatz als Bildreporterin im Tross der Alliierten war für Lee Miller nach 1945 tabu. Sämtliche Fotos, erklärte die Amerikanerin ihrem 1947 geborenen Sohn Antony Penrose, seien vernichtet. Was noch vorhanden sei, unwichtig.
Der Junge nahm das hin. In seinem Elternhaus im englischen East Sussex, wo Lee Miller mit ihrem Ehemann - dem Surrealisten Roland Penrose - nach Kriegsende lebte, wies nichts auf das Vorleben der Mutter hin, die neben Martha Gellhorn und Margaret Bourke-White zu den wenigen weiblichen Kriegsberichterstattern gehörte. Zwischen all den Picassos und Mirós, die in den Zimmern des Landhauses hingen, waren nur zwei Fotos aus Millers Hand zu finden. Eines zeigte eine tote Kuh. Ein Bild, vor dem sich der Knabe fürchtete.
Als Siebenjährige missbraucht
Lee Miller, die mit einem 1945 inszenierten Foto in Hitlers Münchner Badewanne weltberühmt wurde, trennte die Frontjahre von sich ab. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die 1907 im Bundesstaat New York geborene Fotografin den Wechsel aus dem Kriegs- in den Alltagsmodus nicht verkraftet hätte, sozusagen die Stille nach dem Schuss. Tatsächlich musste Lee Miller, nachdem sie am 6. Juni 1944 mit den US-Truppen in der Normandie gelandet war, nur jeweils auf den Auflöser drücken: Was ihr vor die Linse kam, war in jedem Augenblick Weltgeschichte.
Andere vermuten, dass sie die Kriegsgräuel nicht verkraftet hätte. Aber Lee Miller hatte bereits einiges überlebt. Als Siebenjährige war sie von einem Freund der Familie vergewaltigt worden. Ein Jahr darauf hatte der Vater begonnen, das Mädchen als Aktmodell für seine Hobbyfotos zu missbrauchen.
Sie sei „beschädigte Ware“, notierte Lee Miller im Tagebuch. Beschädigt, aber nicht wehrlos. Mit Härte und Rastlosigkeit ging sie ihren Weg als Model und Fotografin. Sie war der Welt nichts mehr schuldig. „Ich sah aus wie ein Engel, aber innerlich war ich ein Teufel.“
Kriegsfotografien auf dem Dachboden versteckt
Dass seine Mutter mehr war als eine von Depressionen hingestreckte Alkoholikerin, wurde Antony Penrose nach deren Tod 1977 klar. Auf dem Dachboden des Hauses in East Sussex fand seine Ehefrau Kisten mit 60.000 Negativen, dazu etwa 20.000 Papierfotos. Der komplette Krieg der Lee Miller.
Warum es die Künstlerin in den Krieg zog, lesen Sie auf Seite 2.
Aus diesem Fund zeigt der Martin Gropius Bau in Berlin eine Auswahl von 100 Fotografien. Eine Schau, die vorführt, dass Millers Werk nicht in dem einer Kriegsfotografin aufgeht. Sie war eine Meisterin vieler Klassen - und der günstigen Augenblicke.
Als Lee Miller 1927 in New York beinahe von einem Auto überrollt worden wäre, riss sie ein älterer Herr von der Fahrbahn. Es war Condé Nast, der Verleger der großen Zeitschriften „Vogue“ und „Vanity Fair“. Auf deren Titelblättern war nun die Gerettete zu sehen. Aber die zog es nicht vor, sondern hinter die Kamera. 1929 reiste sie nach Paris zu dem surrealistischen Fotografen Man Ray. „Mein Name ist Lee Miller, und ich bin ihre neue Studentin“, stellte sie sich vor. Sie wurde schnell mehr als das: Geliebte und eigenständige Kollegin.
So beginnt die Schau nicht mit einer Kriegsbild-Ikone, sondern einem von Man Ray gefertigten Foto, das Millers Kopf im Profil mit zurückgebogenem Hals zeigt. Man Ray hatte das Bild in den Papierkorb geworfen, aus dem Miller es zurückholte. Sie legte den Bildausschnitt neu fest - und plötzlich stimmte das Ganze. Sie entdeckte die Solarisation neu, die Überbelichtung eines Bildes. Sie lieferte artifiziell arrangierte Mode- und Menschenbilder aus Paris, London und Kairo. Bis sie genug hatte. „Ich mache keine Kunst mehr“, meldete sie ihrer Redaktion und ließ sich 1944 als Kriegskorrespondentin für die US-„Vogue“ akkreditieren.
„Kaum flogen wir über Frankreich, kamen mir fast die Tränen“, heißt es in Millers erster Reportage. Immer lieferte sie beides: Text und Bild. In der Ausstellung sind die Zeitschriftenseiten zu sehen, die ihren Aufenthalt in Hitlers Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz 16 beschreiben. Hier lässt sie sich Anfang April 1945 von dem Time-Life-Fotografen David E. Sherman beim Baden ablichten. Eine für die „Vogue“ arrangierte Szene: Hitler-Foto auf dem Wannenrand, eine Skulptur des NS-Künstlers Rudolf Kaesbach auf dem Tisch, Millers Armee-Boots auf dem Vorleger vor der Wanne.
Welche Gräuel Lee Miller vor die Linse bekamen, lesen Sie auf Seite 3.
Leichenberge in Buchenwald
Lee Miller folgte der Spur des deutschen Terrors. Sie zeigt die Häftlinge in Dachau, die Leichenberge in Buchenwald, die Lazarette der Alliierten. Und den Vize-Bürgermeister von Leipzig, der sich gemeinsam mit seiner Familie in seinem Amtszimmer erschossen hatte. „Ich verkrampfte mich jedes Mal, wenn ich einen Deutschen sah, und verachtete mich dafür, wenn mein Herz beim Anblick deutscher Verwundeter unfreiwillig weich wurde“, notierte Miller.
Nicht allein ihren Mode-, auch ihren Kriegsfotos eignet etwas Künstlerisches; sie kommen nicht allein vom Motiv, sondern immer auch vom Arrangement her: der Komposition, dem Bildausschnitt. Für den Betrachter ist das eine Qualität, die vor emotionaler Überwältigung schützt. So schaut man auf die doch bekannten Sujets wie Buchenwald oder Dachau als seien sie etwas gänzlich Neues. Lee Miller kumpelt nicht: Weder mit ihren Objekten noch dem Betrachter.
Geholfen hat es Miller nicht. „Ich flehe dich an, bitte Lee nicht mehr, etwas zu schreiben“, forderte ihr Ehemann 1953 von der „Vogue“-Herausgeberin. Doch die Kriegsbilder blieben, auch wenn sie auf den Dachboden verschwanden.
Martin Gropius Bau, Berlin, Niederkirchner Straße 7: bis 12. Juni. Mi-Mo 10-19 Uhr, Katalog, 159 Seiten, 25 Euro. (mz)

