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Keimzeit Keimzeit: Die Lehrersöhne gehen zum 30. Jubiläum auf Tour

Von Steffen Könau 25.04.2012, 18:13

Halle (Saale)/MZ. - Ein einziges Mal in all den Jahren ist Norbert Leisegang sauer geworden. Damals ging es um "Rentner im Rudel" und der stets gelassen vor sich hin raunende Kopf und Sänger der Gruppe Keimzeit zeigte Nerven. Altersdiskriminierung im Lied: "Rentner leben in der Erinnerung", schimpfte Norbert Leisegang, "sie profitieren von dem, was sie mal waren."

Ein Vorwurf, den der Band aus dem Brandenburger Örtchen Belzig auch nach 30 Jahren auf der Bühne niemand machen kann. In der DDR war das Anfang der 80er gegründete Quintett um Norbert Leisegang und seine Brüder Hartmut (bg) und Roland (dr) eine Weile verboten. Nach dem Mauerfall dann eine Weile berühmt.

Mit einer verschlurften Mischung aus Folk, Blues und Indierock eroberten die Lehrersöhne - anfangs noch gemeinsam mit ihrer Schwester Marion - zuerst die Konzerthallen, dann sogar die Hitparaden. Unwillig, wie es bald schien: Als das Lied "Kling Klang" ein richtig großer Radiohit wurde, nahm Norbert Leisegang es einfach aus dem Konzertprogramm, weil "mir das jetzt ein bisschen abspenstig gemacht wurde", wie er sagte. Ebenso konsequent wurde das Ruder herumgerissen, als sich die Bandmitglieder zunehmend unwohl fühlten im selbstgehäkelten Käfig aus Schrammelgitarren und zum Nachdenken anregenden Texten. Langjährige Mitglieder der Bandfamilie mussten gehen, dafür rumpelten nun elektrische Beats durch Alben wie "Im elektromagnetischen Feld" und "Smart und gelassen warten".

Sie sind auch auf "Kolumbus", dem inzwischen zehnten Keimzeit-Album zu hören. Allerdings ohne den Sound noch so heftig zu prägen, dass es die ganz alten Freunde von "Maggie" und "Kintopp" noch verschrecken könnte, wie das die elektronischen Spielereien und zuletzt dann der schmissige Bläserrock des Album "Stabile Währung Liebe" getan hatten.

Zum 30. Jubiläum ihrer ersten Auftritte haben sich die Keimzeit-Brüder, Gitarrist Rudi Feuerbach und Keyboarder Andreas Sperling mit dem Album "Kolumbus" das Beste aus allen Welten geschenkt: Ein bisschen elektrisch geht es zu, ein paar Bläser sind zu hören, es gibt verrätselte Texte wie seinerzeit in "Amerikanische Liebe" und einen Chanson im Charleston-Rhythmus, der "Das gute Beispiel" heißt und lauter traurige kleine Alltagsgeschichten aneinanderknibbert.

So geht das hier, so machen sie das immer noch, auch wenn mit Rudi Feuerbach nach dem Ende der Studioaufnahmen in Spanien auch der Nachfolger von Ur-Gitarrist Ulle Sende aus "persönlichen Gründen" seinen Ausstieg erklärte. Bei Norbert Leisegang, dem sanften, aber unumschränkten Herrscher im Keimzeit-Reich, findet "das ganze Leben Platz in einem Takt, in einem Satz", wie es gleich im Titelstück heißt.

Wer aber glaubt, der Satz erkläre sich dann auch noch selbst, der irrt. Leisegang, der mit der Zerbster Malerin Martha Irene Leps gerade ein zweites Kinderbuch nach einem Keimzeit-Lied fertiggestellt hat ("Mama, sag mir warum", Edel, 12.80 Euro) besteigt den "Nachtzug nach Sofia" und reist als "Simeon Podomkin" durch Europa, er schaut Wrestling an und schlüpft in die Rolle eines Kettenhundes mit einem "Scheusal als Herren". Farbige Texte sind das, wie aus "Bunten Scherben" (Liedtitel) zusammengesetzt. Die Konstante ist Leisegangs melancholisches Murren, sein um den Grundton oszillierender Sprechgesang, der ein leises akustisches Gitarrenstück wie "Einmalig" ebenso als Keimzeit-Song kenntlich macht wie den finalen Riff-Rock von "Aquarium".

Die Deutung aber überlässt der 51-Jährige seinem Publikum, das soll der "Kolumbus" sein, der entdeckt, was sich in den mal wie beim Titelstück auf Klavierakkorden tänzelnden, mal wie bei "Mitten im Fluss in einem schunkelnden Stück Countryrock versteckt.

"Ich will nicht alles mit Worten erklären", erklärt Leisegang selbst, worum es ihm geht. Keine Botschaft, sondern ein Angebot, bei dem vieles einfach ungeklärt bleiben müsse: "Du sollst das ja nicht verstehen, sondern empfinden."

Keimzeit live im Konzert: 18. Mai im Steintor Varieté Halle, Kartentelefon 0345-209 34 10, 11. August im Stadtpark Dessau