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Heinrich von Kleist Heinrich von Kleist: Grandios gescheitertes Genie

Von Nada Weigelt 20.01.2011, 12:18

Berlin/dpa. - Es ist eine perfekte Inszenierung. Auf einem Hügelam Kleinen Wannsee in Berlin sitzen sich Heinrich von Kleist (34) undseine Gefährtin Henriette Vogel (31) auf den Knien gegenüber. Diekrebskranke Frau lehnt sich zurück, faltet die Hände - und lässt sichvon dem Dichter in die Brust schießen. Eine Minute vergeht. Dannrichtet er die Pistole gegen sich, drückt ab und sinkt zu ihr nieder.«Nun, o Unendlichkeit, bist du ganz mein», wird später auf demGrabstein stehen.

Der Freitod des geheimnisumwitterten Dramatikers jährt sich am 21.November zum 200. Mal. Mit einem bereits am 4. März offiziellbeginnenden Kleist-Jahr soll in Deutschland deshalb an einen derwichtigsten Klassiker der deutschen Literatur erinnert werden. ZuLebzeiten verkannt, gilt Kleist mit seinem radikalen Werk heute alsein Vorreiter der Moderne. «Der zerbrochne Krug» und «Das Käthchenvon Heilbronn» gehören zum festen Repertoire der Theater. Aber auchseine sperrigeren Stücke und Erzählungen wie «Die Marquise von O...»und «Michael Kohlhaas» zählen zur Weltliteratur.

«Kleists Protagonisten sind von deutscher Innerlichkeit undGrübelei frei, sie handeln und scheitern an der Realität, das machtseine Werke bis heute für Leser in aller Welt so attraktiv»,resümiert die Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft in Berlin, die sichseit 50 Jahren um die Erschließung des Werks bemüht. Und wie seineProtagonisten, so scheitert auch Kleist letztlich an denHerausforderungen der Realität. In der Umbruchzeit der NapoleonischenKriege jagt er vergebens Glück und Anerkennung nach - ein Gegenbildzum schon zu Lebzeiten so erfolgreichen Dichterfürsten Goethe.

Der Intendant des Maxim Gorki Theaters in Berlin, Armin Petras,der im Kleist-Jahr alle acht Dramen des Dichters auf die Bühnebringt, sieht den Autor als moderne gebrochene Figur. «Diese Art derzerstückelten Biografie, immer wieder etwas Neues anzufangen, daranzu scheitern und das Nächste zu probieren, das ist in der Tat etwas,das in unserer Zeit plötzlich wieder eine ganz neue Virulenzbekommt», sagt der Theatermacher in einem Gespräch mit derNachrichtenagentur dpa.

Als Sohn eines preußischen Offiziers vermutlich am 10. Oktober1777 in Frankfurt an der Oder geboren, steht Kleist eigentlich eineglänzende Karriere bevor. Mit 14 tritt er, der Familientraditionfolgend, in die Armee ein. Doch der Militärdienst und einKriegseinsatz am Rhein stürzen ihn in die erste existenzielle Krise.«Sieben unwiederbringlich verlorene Jahre», sagt er später und bittetum seinen Abschied aus dem Garderegiment - eine Ungeheuerlichkeit füreinen preußischen Offizier.

Auf der verzweifelten Suche nach einem Lebensplan, nach seiner«innigsten Innigkeit», wie er sagt, beginnen rastlose Jahre. Er fängtan zu studieren, reist in alle Welt, will einmal Forscher, einandermal Bauer werden, aber nichts hat Bestand. Die Verlobung mit derdrei Jahre jüngeren Generalstochter Wilhelmine von Zenge geht zweiJahre später in die Brüche, sein Verhältnis zu Frauen ist seitherschwierig. Die Lektüre von Kant mit dessen Zweifel an der objektivenWahrheit zieht ihm vollends den Boden unter den Füßen weg. «Meineinziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, ich habe nun keines mehr»,notiert er.

Die Ruhelosigkeit und Umtriebigkeit seines Lebens schlägt sichauch im Werk nieder, das von 1802 an entsteht. Kleist probiert vonder Komödie bis zum Ritterspiel jedes Genre, jedes Thema aus. Gemeinist den Stücken die innere Zerrissenheit ihrer Figuren und der Hangzu sinnloser Gewalt. So tötet im Trauerspiel «Penthesilea» dieKönigin der Amazonen nicht nur ihren Geliebten Achill, sie schlägtihm auch noch «den Zahn in seine weiße Brust», zu gut deutsch:verspeist ihn gemeinsam mit den Hunden.

Das antifranzösische Propagandastück «Die Hermannsschlacht» isteine bittere Parabel auf den von Kleist erhofften Partisanenkrieggegen Napoleon. Und der gutmütige Rosshändler «Michael Kohlhaas»verwandelt sich nur wegen des Streits um zwei Pferde in einenrücksichtslosen Mordbrenner. Selbst im Märchenspiel «Das Käthchen vonHeilbronn» bekommt die Titelheldin brutale Prügel von ihremGeliebten, und «Die Marquise von O...» wird von ihrem Bräutigamvergewaltigt.

«Er lebte in einem Zustand dauernder Radikalität», schreibt derFrankfurter Publizist Peter Michalzik, dessen Kleist-Biografie MitteFebruar im Propyläen Verlag erscheint. Und in der «Zeit» urteilteUlrich Greiner: «Das Besondere an Kleists Genie ist die zur Sprachegewordene Gewalt.» Tatsächlich sind seine Sätze vorwärtsdrängende,sich überschlagende Wortkaskaden, wie im Stakkato dahingehämmert.

An den Bühnen seiner Zeit kommt Kleist nicht an. Auch dieUraufführung des «Zerbrochnen Krugs» mit Goethes Hilfe am Hoftheaterin Weimar gerät 1808 zum Flop. Kleist sei von einer «unheilbarenKrankheit» ergriffen, stichelt der erfolgreiche Geheimrat im späterenStreit. Aber auch andere Projekte wie das Kunstjournal «Phöbus» unddie «Berliner Abendblätter», die erste Tageszeitung Berlins,scheitern grandios.

Nach einem ersten Zusammenbruch 1803 gerät Kleist später immermehr in die Krise. Er ist entnervt von persönlichen Enttäuschungen,Zensur und immer neuen Betteleien nach Geld. An seine Cousine undVertraute Marie von Kleist schreibt er 1811: «Meine Seele ist sowund, daß mir, ich mögte fast sagen, wen ich die Nase aus dem Fensterstecke, das Tageslicht wehe thut, das mir darauf schimmert.» Selbstseine Familie mit sechs Geschwistern und Halbgeschwistern, die immerein Halt war, nennt ihn ein «nichtsnütziges Glied der Gesellschaft».

In dieser Situation lernt Kleist die verheiratete BerlinerinHenriette Vogel kennen. An Gebärmutterkrebs erkrankt, ist sie trotzihrer kleinen Tochter bereit, das mit ihm zu tun, was andere befragteFrauen zuvor abgelehnt hatten: den Freitod zu suchen. Am 21. November1811 verbringt das Paar trotz bitterer Kälte noch einen heiterenNachmittag am Wannsee - bis irgendwann die beiden Schüsse fallen.

Seiner Lieblings(halb)schwester Ulrike hinterlässt Kleist einenBrief. «... du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräfteneiner Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zuretten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.»