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«Heimliche DDR-Literaturgeschichten» «Heimliche DDR-Literaturgeschichten»: Schnittmeister im Leseland

Von Christian Eger 31.03.2008, 17:27

Halle/MZ. - Sämtlich Originalautoren also, wie man heute genauer sagen muss, denn erstmals rücken die Schnittmeister hinter den Schriftstellern in den Blick: die Zensoren in der von 1963 an als "Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel" geführten Behörde, Nachfolger des "Kulturellen Beirats" von 1946 und des "Amtes für Literatur und Verlagswesen" von 1951. Im Blick auf die zu veröffentlichende Literatur zuständig für die "Begutachtung" und "Druckgenehmigungsverfahren". Also im Klartext: für die Zensur, die es laut DDR-Verfassung nicht gab.

Bloß keine "Wirrnis"

Wer da zum Rotstift griff, war öffentlich unbekannt. Zu Unrecht, denn die Zensoren waren ja recht eigentlich Ko-Autoren, sozusagen Schriftsteller zweiten Grades, die eine genaue Vorstellung von dem hatten, wohin ein Werk zu laufen hatte. Diese Leerstelle wird nun durch das Buch "Zensurspiele" geschlossen. In Gestalt eingängiger Feuilletons liefert es über 90 Fallbeispiele aus der Zensurpraxis, aus den Akten gehoben und erzählt von der 2007 gestorbenen Literaturwissenschaftlerin Simone Barck und von Siegfried Lokatis, Professor für Buchwissenschaft in Leipzig. Entstanden ist solcherart eines der erhellendsten und anregendsten Bücher über das innere Betriebssystem der DDR-Literatur nach Joachim Walthers Stasi-Recherche "Sicherungsbereich Literatur".

Bis von Anfang der 60er Jahre an immer häufiger Universitäts-Germanisten die "Gutachten" verfassten, wurde die Schere von meinungsstarken Männern und Frauen geführt, die Namen und Biografien hatten. Sie hießen Christfried Coler, Paul Friedländer, Arno Hausmann, Erich Schreier und Carola Gärtner-Scholle - die "geheimen Fürsten" der frühen DDR-Literatur, wie Lokatis schreibt. Ein Zensor wie Paul Friedländer erledigte pro Monat allein 14 Bücher. Im Frühjahr 1958 scheiterten so unterschiedliche Autoren wie Rolf Schneider, der Nobelpreisträger Rabindranath Tagore, Victor Klemperer und Robert von Ranke Graves Roman "Ich, Claudius Kaiser und Gott" ("falsche Verallgemeinerungen") an seinem Einspruch. Friedländers Motto: "Der Autor kann vom Leser nicht verlangen, ihm in seine Gedankenwirrnis zu folgen."

Während sich Friedländer auf bis zu drei Seiten Gutachten erklärte, fielen Arno Hausmanns Urteile knapp aus: Erzgebirgsromane verspottete er als "Nullpunktliteratur", strich zwei Erzählungen von Böll und verhinderte, dass für Koeppen Valuta ausgegeben wurden. Großartig der dienstälteste Zensor der Partei, Erich Schreier: 1959 empörte er sich, dass in Weinerts "Nachgelassener Lyrik" eine Versstrophe auftauchte, die er bereits 1923 (!) verboten hatte.

Die Zensoren erfassten das gesamte Spektrum des Veröffentlichten von der Hoch- über die Kinder- bis hin zur Angler-, Garten-, Tier- und FKK-Führer-Literatur, jeder Bereich wird von Barck und Lokatis vorgestellt. Dabei änderten sich die Maßgaben des Streichens wie die kulturpolitische Linie im Zickzack-Kurs: So wurde vom Ende der 50er Jahre an auch die Literatur der Ostblock-"Bruderländer" zensiert. Gegen Ende der DDR aber entdeckten immer mehr Gutachter ihren Ehrgeiz darin, die Grenzen des Erlaubten Zug um Zug zu erweitern. Bis dahin geschah das Gegenteil: das fortgesetzte Mäkeln an Tucholskys Pazifismus, der "den Erziehungsgrundsätzen der NVA" widersprach. Der Stress mit Brecht, dessen "Arbeits-Journal" erst 1977 erscheinen durfte. Der tiefe Schrecken, als 1951 eine Tiererzählung erschien, die unter dem Titel "Tito" den Kopf einer Präriewölfin zeigte: ausgerechnet "Tito", der Name des von Moskau abtrünnigen Staatschefs von Jugoslawien. Kurt Hager befürchtete, dass die Leser das Buch "mit dem Banditen Tito in Verbindung bringen" würden, und ließ die Auslieferung stoppen.

Taka-Tuka ohne "Neger"

Dabei zeigte sich die DDR auch als ein Vorreiter der "Political Correctness". Als mit 27 Jahren Verspätung "Pippi Langstrumpf" die Ostleser erreichte, war im Buch nicht mehr von "Negern", sondern "Taka-Tukanern" die Rede. Pippis Wunsch, sich einen "eigenen Neger" zu halten, der sie jeden Tag mit Schuhcreme schwarz einschmiert, wurde gestrichen. Als 1969 "Dr. Dolittle" in der DDR erschien, wurde jenes Kapitel gestrichen, in dem von einem "Negerprinz" berichtet wird, der gerne weiß werden würde. Den in der Schweiz lebenden Erben des Autors gefiel die Kürzung so gut, dass sie diese weltweit vollzogen.

Es war keinesfalls der Sozialismus, sondern die Frechheit, die in der Regel siegte. Prächtig, wie es 1958 Ulbrichts Sekretär, Otto Gotsche, schaffte, die als Aktivistenprämie gefürchtete "Gotsche-Kassette" seiner Romane gegen allen Leserbedarf durchzusetzen. 1965 ergänzt um den "Kleinen Trompeter", bei dem Christa Wolf 1960 als Lektorin "ein merkliches Nachlassen der Intensität in der Gestaltung etwa zwischen den Seiten 200 und 430" bemerkte. Die Zensur blieb hier machtlos, der Markt nicht: Die Gotsche-Kassette wird einem heute bereits für 15 Euro nachgeworfen.