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Neues Buch Doris Dörrie schreibt über das Wohnen der Anderen

Eigentlich lebt Doris Dörrie am liebsten als eine Art Nomadin. Dafür hat sie allerdings ein erstaunlich gutes Buch über das Wohnen geschrieben.

Von Sibylle Peine, dpa 15.04.2025, 09:30
Die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie („Bin ich schön?“, „Dieses schöne Scheißleben!“) hat sich lange Zeit kaum fürs eigene Wohnen interessiert, sondern immer eher für das Wohnen anderer Leute. (Archivbild)
Die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie („Bin ich schön?“, „Dieses schöne Scheißleben!“) hat sich lange Zeit kaum fürs eigene Wohnen interessiert, sondern immer eher für das Wohnen anderer Leute. (Archivbild) Sven Hoppe/dpa

Berlin - Gerade weil die Regisseurin Doris Dörrie in teilweise extremen Wohnsituationen gelebt hat, ist ihr neues Buch „Wohnen“ nicht nur eine unterhaltsame, sondern auch eine aufschlussreiche und hintergründige Lektüre.

Einmal hat die Filmemacherin („Männer“, „Keiner liebt mich“, „Kirschblüten - Hanami“, „Freibad“) in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen Wohntest gemacht. Das Ergebnis war ernüchternd, denn Dörrie wurde als „Wohnverweigerin“ eingeordnet. „Sie haben keinerlei Sinn fürs Einrichten“, hieß es lapidar. 

„Sie verstehen nicht, wie man sich so viele Gedanken um Raumgestaltung und Farbauswahl machen kann“, lautete die „Zeit“-Analyse von Dörries Antworten. „Selten sind Sie kreativ, dann aber aus pragmatischen Gründen: Das Bett wackelt? Packen wir doch einfach ein paar alte DVDs drunter. Als Couchtisch kann auch ein alter Koffer herhalten. Die meisten Ihrer Möbel haben Sie entweder geerbt oder aus der Studentenbude mitgeschleppt.“

„Wohnverweigerin“ Dörrie lebte längere Zeit überall und nirgends

Tatsächlich hat sich die Autorin („Bin ich schön?“, „Das blaue Kleid“, „Alles inklusive“) kaum fürs eigene Wohnen interessiert, sondern immer eher für das Wohnen der Anderen. 

Über Jahrzehnte führte sie ein nomadisches Leben, hielt es nie lange an einem Ort aus. Es zog sie in die USA, nach Japan, nach Mexiko, und obwohl sie keine Wurzeln schlug, beeinflussten diese unterschiedlichen Kulturen ihre Sicht aufs Wohnen. 

Dörrie wuchs in bürgerlichen Verhältnissen in Hannover auf. Die Wohnsituation war allerdings noch stark von Kriegstraumata geprägt, beide Eltern wurden ausgebombt. Aus Schutt und Trümmern brachten diese die Erkenntnis mit, dass man sich im Leben nicht zu sehr an Dinge binden sollte, sowie einen klaren, nüchternen Einrichtungsstil ohne jede Nostalgie. 

Märchentapete im „Mädchenzimmer“

Als einziges Kind bekam die kleine Doris ein eigenes Zimmer mit Märchentapete und Klappbett, später zog sie ins ausgebaute Dachgeschoss. Das dortige „Mädchenzimmer“ in einer grün-rosa-violetten Farbmischung wurde zu ihrem geliebten Rückzugsort, an dem sie als Teenager prächtig schmollen konnte. 

Wie privilegiert sie wohnte, verstand sie erst bei einem Schüleraustausch in England als Gast in einem Arbeiterhaushalt. Dort wurde an allen Ecken gespart, Fernseher und Wasserboiler wurden per Münzeinwurf betrieben.

Es folgten Studien- und Arbeitsjahre in Wohngemeinschaften mit der typischen Möblierung aus Matratze am Boden, Bücherregalen aus Obstkisten und ausgehängten Türen. Diese revolutionäre Idee vom Aufheben der Privatsphäre scheiterte jedoch ebenso wie die Vorstellung, als Paar mit Kind einfach so das liebgewonnene WG-Leben fortführen zu können. Zu dritt waren sie weit weniger begehrt.

Von New Yorker Obdachlosenunterkunft bis zu Villen in Los Angeles

Wohnen als soziale Dimension ist heute ein großes Thema. Kaum erstaunlich erlebte die Filmemacherin die Extreme nirgendwo so krass wie in den USA. Diese Passagen ihres Buchs sind schon fast filmreif. 

Die Spannweite reicht von einem der Wohnungsnot geschuldeten Aufenthalt in einer kakerlakengeplagten New Yorker Obdachlosenunterkunft bis zu Besichtigungen monströser Luxusvillen in Los Angeles, die sie aus reiner Neugier anschaute. Hinter vorgehaltener Hand verraten ihr dort Maklerinnen, was sie eh schon ahnte: Diese Hochsicherheitspaläste sind oft Horte immenser Einsamkeit und Schauplätze von Ehedramen, Suiziden und anderen Tragödien.

Bauernhaus in Oberbayern

Dörries vergnüglicher Parforceritt durch die Welt des Wohnens endet fast schon spießig in einem alten Bauernhaus im oberbayerischen Bernbeuren, in dem sie dann doch noch ein Nest mit ihrer Familie baute.

Das Haus verfüge zwar über „keine gescheite Heizung außer dem Kamin“, der Holzbock bohre sich genüsslich durch den alten Küchentisch und das Badezimmer bleibe unrenoviert. Doch es gebe einen wunderbar verwilderten Garten und viele geliebte Erinnerungsstücke aus Mexiko, Bhutan oder Japan: „Die Welt ist bei mir, ich wohne hier und in ihr.“