Harald Schmidt Harald Schmidt: «Das ist nicht mein Genre»

Halle (Saale)/MZ. - Er ist der Mann, der einst Politik und Hochkultur ins "Unterschichtenfernsehen" brachte, wie Harald Schmidt seinen Arbeitgeber Sat.1 fast liebevoll nannte, und der so zum Liebling der deutschen Feuilletons wurde. 2004 kehrte er zur ARD zurück, wo er Anfang der 90er vom Politkabarettisten zum TV-Star geworden war. Seit diesem Herbst läuft Schmidts Latenight-Show wieder auf Sat.1 - nun "auf Lebenszeit", wie er selbst sagt. Er klingt nicht mal ironisch bei derlei Sätzen. Das schafft kritische Distanz zum Ernst der Welt, sagt Schmidt in seinen wenigen ernsthaften Momenten, und entsprechend fröhlich erklärt er sich zu einem Galopp durch die Themen des Jahres 2011 bereit.
Das Gespräch führte Steven Geyer.
Herr Schmidt, die Saison der Jahresrückblicke neigt sich wieder einmal dem Ende zu. Welchen Erkenntnisgewinn ziehen Sie aus diesen Rückschauen?
Schmidt: Vor allem den, dass man auf diese Weise kostengünstig Sendezeit und Blätter voll kriegt.
Sie meinen, die Zuschauer und Leser haben gar kein Bedürfnis nach einer Bilanz?
Schmidt: Doch, man sagt ja gern mal: Ach guck, das war auch in diesem Jahr, hatte ich schon vergessen - oder gedacht, das sei viel länger her.
Sie selbst haben so einen Rückblick noch nie moderiert. Warum eigentlich nicht?
Schmidt: Das wäre mir zu langweilig. In den Sendern beginnt ja schon ab April das Buchen der Entrechteten und Geschändeten, um die dann im Dezember bei sich sitzen zu haben. Damit die Zuschauer denken können: "Ach guck mal, DIESE Bilder!" und "Ach je, der ist auch tot." oder "Huch, der lebt noch?" Das ist nicht mein Genre.
Versuchen wir einen kommentierenden Rückblick: Immerhin war 2011 ein Jahr der Großereignisse - so viele so schnell, dass man kaum mitbekam, wie alles ausging.
Schmidt: Dafür sind Großthemen ja auch nicht angelegt. Ich sehe das eher wie ein Surfer: Man versucht, gleich am Jahresanfang die erste schöne Welle zu erwischen, und dann muss man einfach die Welle absurfen und dann die nächste erwischen.
2011 waren es sehr hohe Wellen: Zu Beginn der "arabische Frühling" in Ägypten ...
Schmidt: Ja, inzwischen aber schon fast ein Fall für "Was macht eigentlich ... Hosni Mubarak?" Ich glaube, er ist inzwischen in der Reha in Sharm el Sheikh, wo immer alle zum Tauchen hinfahren. Aber zuletzt gesehen habe ich ihn, als er im Krankenbett in den Gerichtssaal geschoben wurde.
Anfang März dann Guttenbergs Rücktritt ...
Schmidt: Ein Schock. Für mich bleibt er trotzdem der Doktor der Herzen.
… und Ende März dann schon die Atomkatastrophe von Fukushima.
Schmidt: Ja, da hat das Interesse fast 14 Tage gehalten. Bis wir Deutschen aus der Atomenergie ausgestiegen sind, dann hatten alle den Kanal voll von dem Thema.
Sind da wieder die Medien schuld?
Schmidt: Nein, wir leben ja davon. Ich bin sehr dafür, dass wir permanent Aufgeregtheit produzieren - so wie die großen Internetseiten: jede Viertelstunde dieselbe Nachricht mit einem anderen Bild woanders auf der Seite platzieren. Das ist unsere geliebte Selbstreferenzialität, wie wir das am Stammtisch nennen.
Was waren Ihre liebsten Stammtisch-Themen 2011? Sicher doch die Euro-Krise, die das ganze Jahr dominierte ...
Schmidt: Nein. Das wird eingedampft auf: "Die anderen machen pleite, und wir dürfen’s zahlen, ich nehm noch’n Pils."
Aber stellt das Ausmaß dieser Krise nicht alle anderen Skandale des Jahres in den Schatten?
Schmidt: Da ist was dran. Ich erinnere mich zwar noch dunkel an einen Dioxin-Skandal im Januar, habe aber inzwischen schon nicht mehr parat, wo das Dioxin überhaupt drin war. Giftskandale haben es ganz, ganz schwer, noch wahrgenommen zu werden. Denn nicht nur wir haben uns dran gewöhnt, sondern auch unser Körper.
Neu war 2011 aber die Ehec-Epidemie. Die muss einen bekennenden Hypochonder wie Sie bis in die Knochen verunsichert haben.
Schmidt: Hatte ich schon komplett vergessen. Ehec ist für mich so wie 2009 Schweinegrippe oder 2003 SARS - wenn nach der Panik die nüchternen Zahlen herauskommen, dass jedes Jahr viel mehr Menschen an Grippe sterben. Das Besondere an Ehec war nur, dass es ganz neue Verdächtige gab: Denken Sie an die arme spanische Salatgurke, die völlig unschuldig war. Ein Skandal im Skandal.
Sie drücken sich ein bisschen um einen Kommentar zur Schuldenkrise. Ist das Thema zu sperrig für einen Satiriker?
Schmidt: Nein, es ist ein dankbares Thema, weil ich zu jedem Lösungsansatz eine andere fundierte Expertenmeinung finde. Die sind alle sehr schlüssig und je nachdem, wie man morgens drauf ist, kann man sich für die eine oder andere Theorie entscheiden. Nach Merkels jüngster Regierungserklärung mit ihrem klaren Nein zu Eurobonds habe ich mich sofort gefragt: Wann können wir die Eurobonds endlich kaufen? Die interessanteste Neuigkeit ist, dass das Ausland von uns Führung wünscht - aber auf die liebe Art. Eine erfreuliche Entwicklung der Geschichte: Nette Führung durch Deutschland.
Nur die Liberalen verzweifeln. War die FDP der Untergang des Jahres?
Schmidt: Die Frage ist: Wer braucht sie und wenn ja, wofür? Ich persönlich mag die neue Führung der FDP, weil sie immer so nett grüßt auf dem Flughafen. Rainer Brüderle gehört für mich auf jeden Fall zu den Auferstandenen des Jahres.
War das Westerwelles Fehler als Parteichef?
Schmidt: Mir leuchtet die These ein, dass er sich fürs falsche Ministerium entschieden hat. Vielleicht wäre er als Innenminister glücklicher gefahren. Und er hätte wissen müssen, dass man unseren alliierten Freunden uneingeschränkte, ich betone das: uneingeschränkte Solidarität zu gewähren hat. Vor allem , was Libyen betrifft.
Sie kennen ihn noch persönlich, aus seiner Spaßpartei-Zeit.
Schmidt: Gaddafi?
Nein, Westerwelle. Wäre es Ihnen unangenehm, ihm auf dem Flughafen zu begegnen?
Schmidt: Nein, ich würde ihm beide Daumen hochgereckt entgegenstrecken: Durchhalten! Seine Nachfolger werden auch nicht mit Ruhm überschüttet. Wer weiß, wie sich das Blatt noch wendet. Jetzt ist schon mal Generalsekretär Lindner zurückgetreten. Vielleicht wird Westerwelle ja das Comeback des Jahres 2012. Für mich klar die Rubrik: Nur vorerst gescheitert.
Im März gab es einen weiteren Umsturz: Dank des Aufstandes gegen "Stuttgart 21" folgte die Machtübernahme durch die Grünen in Baden-Württemberg. Sind Sie als Schwabe da noch mitgekommen?
Schmidt: Ach, man hat die Grünen einfach nur gewählt, weil sie die neue CDU sind. Konservativ mit Grün. Und Stuttgart 21 war das perfekte Beispiel für eine Win-Win-Situation, denn ich habe gelernt: A) Die Demokratie hat gesiegt. Und B) Der Bahnhof wird gebaut. Mehr kann man nicht verlangen.
Im November stimmte die Mehrheit im Land für "Bauen". Ahnten Sie, dass nur eine lautstarke Minderheit dagegen war?
Schmidt: Nein, das hat mich doch überrascht. Da zeigt sich: Existenzielle Verzweiflung klingt nirgends so anrührend wie mit Stuttgarter Dialekt.
Wird der neue Ministerpräsident Kretschmann nun vom Gewinner des Jahres zur Eintagsfliege?
Schmidt: Nein, er kann jetzt zum Superlandesvater werden. Denn wenn der Protest weitergeht, reicht es nicht, die Wasserwerfer mit Solarantrieb auszurüsten. Dann muss er die Polizeieinsätze verfassungskonform hinkriegen. Daran wächst ein Politiker. So wie Otto Schily: Den lernte ich in meiner Schulzeit als RAF-Verteidiger kennen, und wenige Jahre später posierte er auf meinem Lieblingsfoto mit Polizeihelm und Knüppel. Diesen Weg kann ich mir für Kretschmann auch vorstellen: Räumung mit menschlichem Antlitz.
Ist Kretschmann ein Anwärter auf den Titel "Person des Jahres"?
Schmidt: Da ist starke Konkurrenz: Kachelmann! Berlusconi! Strauss-Kahn!
Sind die nicht alle zu schlüpfrig?
Schmidt: Nun, Strauss-Kahn ist von Hause aus nicht unsympathisch. Ich habe gelesen, dass er ein brillanter Kopf ist, der in seinem Appartment gern schwere Matheaufgaben löst. Und mich fasziniert der Prozess, der in Frankreich noch läuft und in dem ein Zuhälter mit dem Spitznamen "Dodo, der Salzhering" eine Rolle spielt, der die Frauen in Lille und Paris organisiert haben soll. Das ist eine Welt… ich würde sie nicht schlüpfrig nennen. Das ist menschlich. Allzu-menschlich.
Andere Personen waren noch unsympathischer: Mubarak, Bin Laden, Gaddafi …
Schmidt: Ja, gerade bei Gaddafi ging dann alles sehr schnell. Er hat sicher bis zuletzt geglaubt, dass er die Sache noch mal gedreht kriegt. Fairerweise muss man sagen, dass er bis kurz vor seinem Sturz gerngesehener Gast an Europas Regierungshäusern und Fürstenhöfen war. Ich erinnere mich, wie er im Garten des Elysée-Palastes in Paris gezeltet hat. Oder wie er Berlusconi Pferde mitgebracht hat.
Meinen Sie Westerwelle ging es ähnlich, kurz vor seiner Entmachtung? Zehn Jahre lang wurde er von seinen Leuten bejubelt, dann quasi über Nacht gestürzt ...
Schmidt: Sie wollen mir doch jetzt nicht einen Vergleich Gaddafi-Westerwelle unterschieben?! Da sieht man mal, wie vorsichtig man in Deutschland sein muss. Obwohl, es ist bei uns schon lange kein Provinzpolitiker mehr über einen Nazivergleich gestolpert. Aber gut: Nazis haben wir auch kaum noch, sondern seit Neuestem Neonazis. Was man bis November auch noch nicht wusste. Der beliebte Rücktrittsgrund des Hitler-Vergleichs ist aber dahin. Liegt wohl daran, dass es kaum noch Leute gibt, die Hitler persönlich kannten. Oder noch wissen, wer das war. Die Jugend ist auf Facebook unterwegs - ich glaub, da kann man Hitler gar nicht mehr als Freund adden.
Reden wir über Schöneres: Welcher Moment war für Sie der romantische Höhepunkt des Jahres 2011?
Schmidt: Die Hochzeit von Kate und Willy war schon fantastisch. Habe ich live geguckt. Gucke ich aber - bei aller Verehrung für Rolf Seelmann-Eggebert im Ersten - auf der BBC. Unerreicht! Da habe ich als Royalist böse gelitten, dass wir nur die Wulffs haben. Trotzdem gibt es für William und Kate in der Traumpaar-Rubrik 2011 harte Konkurrenz.
Nämlich?
Schmidt: Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Für mich das heißeste Paar seit Margot und Erich Honecker. Weil sie alles mitbringen, was ich von einem modernen Politikerpaar erwarte. Endlich ziehen wir mit Nicolas Sarkozy und Carla Bruni gleich in der Kategorie "Die Schöne und der Zwerg". Bei meinen Freunden in der Hochfinanz herrscht große Faszination für Frau Wagenknecht - nur leider sei sie in der falschen Partei. Dabei hat sich die Linke weiterentwickelt: Zum Tod von Kim Jong Il haben sie sich das Beileids-Telegramm verkniffen. Und so ein Paar wie Oskar und Sahra würde auch der SPD gut tun.
Die SPD hatte 2011 doch ihr eigenes Traumpaar: Helmut Schmidt ruft Peer Steinbrück beim Schach zum Kanzlerkandidaten aus.
Schmidt: Aber dass auf dem Foto das Schachbrett falschrum stand, hat bei mir viel kaputtgehauen. Da bin ich nun mal Romantiker. Wenn ich schon belehrt werde, muss das Schachbrett richtig stehen.
Ein romantischer Höhepunkt 2011 war auch der Auftritt von Stefanie und KT zu Guttenberg in Afghanistan. Oder ist das für Sie entwertet, durch seinen Rücktritt?
Schmidt: Vor allem finde ich Thomas de Maizière glaubhafter als Verteidigungsminister. Die Fotos von Guttenberg in Afghanistan sahen mir zu sehr nach Soap aus. Ich bevorzuge dann doch so einen kühlen Technokraten wie de Maizière.
Hatte Guttenberg also das falsche Amt?
Schmidt: Vielleicht hatte er das richtige Amt. Er hatte bloß einen falschen Titel.
Schon nach acht Monaten politischen Exils war er zurück. Sie kennen sich aus mit Comebacks: Ein Fehler, weil zu früh?
Schmidt: Sagen wir so: Ad 1) Ein zu Guttenberg macht keinen Fehler. Ad 2) So wie ich es spüre, ist er bereit, dem deutschen Volk zu verzeihen.
Womit müssen wir 2012 rechnen?
Schmidt: Die Euro-Krise wird uns zwar bleiben. Aber im Grunde kann man jetzt schon entspannen, denn ab Mitte Mai interessiert uns "Euro" nur noch als Fußball-EM in Ukraine und Polen. Unsere Jungs werden Europameister, ganz klar. Dann erholen wir uns kurz - und weiter geht’s mit Olympia in London: Triathlon im Hyde-Park! Reiten auf dem Trainingsgelände der Horseguard des Buckingham-Palastes! Da zeigen die Engländer noch mal, was ’ne Harke ist, ehe sich Olympia aus der alten Welt verabschiedet und nur noch in Südamerika und Asien spielt.