Hallesche Hochschule für Kunst und Design Hallesche Hochschule für Kunst und Design: Zwei Seiten der Burg

Halle (Saale) - „Alles so schön bunt hier“, wie die Mode-Studenten ihre diesjährige Werkschau (vulgo „Modenschau“) betitelten, darf als Motto gern über jeder Jahresausstellung der „Burg“ stehen, die, komme Mitte Juli, unfehlbar die Massen in die hallesche Kunst- und Designhochschule zieht. Unbeeindruckt von Gluthitze und Hagelsturm ließ man sich auch diesmal ein auf jene jugendfrisch blühenden Lust am Gestalten, die die Hochschule in die Bahnen ihrer fachlichen Ausbildung lenkt.
Die Vielfalt hat natürlich auch ihre alljährlich wiederkehrende Ähnlichkeit. Die Burg ist keine Kulisse, sondern bestimmender Faktor in dieser Ausbildung. Manchmal braucht es neue Köpfe, um alte Erkenntnisse neu auszusprechen. Zur Verleihung des Preises der Saale- Sparkassenstiftung an das beste Diplom sprach der 2014 berufene Grundlagen-Professor Rolf Wicker als Juryvorsitzender, und der fand neben aufmunternden und mit Erfahrung getränkten Worten auch zu bemerkenswerter Einsicht über das geheiligte Dilemma der Burg als Akademie.
„Die Diplome“, sagte er im Volkspark-Garten der erwartungsfroh gespannten Zuhörerschaft von Absolventen samt Anhang, „zeugen von Ihnen, aber auch von der Burg.“ Sie seien für beide Seiten „ein Leistungsnachweis“, mit dem man sich schmücke, Absolvent wie Hochschule.
Das alljährliche, „Kult“-Status genießende Ritual der Modenschau lieferte im Anschluss wieder einmal den Beweis für diese Zweiseitigkeit. Mit Blick auf die Reservierungspraxis der Stuhlreihen muss man eigentlich von einer geschlossenen Veranstaltung sprechen, bei der die versammelte Burg- und VIP-Prominenz die an den Rändern schwitzenden Besuchermassen als atmosphärische Dreingabe der eigenen Jubelfeier gelten lässt. Die auf dem Laufsteg mitreißend inszenierte Materialschlacht war die letzte in den kompetenten Händen von Mode-Professor Thomas Greis vor dem Abschied in den Ruhestand.
Wo im Dauerfeuer durchkomponierter Stoff- und Farbkombinationen Paraden brillanter Virtuosität aufblitzen, kann der Applaus frenetisch werden, doch das Staunen gilt eher dem Umgang mit nicht endender Materialvielfalt bedingt von jeweiliger Aufgabenstellung - die entgegen Burg-eigener Selbstbehauptung tatsächlich nie der alltagstauglichen Tragbarkeit gilt, von Anflügen regelbestätigender Ausnahmen (Sofia Lösers „Sport Couture“) abgesehen. Die Modenschau ist das Extrem des kollektivistischen Burg-Anspruchs über die Individualität des Einzelnen.
Was sagt der Sparkassen-Preis über die Diplome? Jedenfalls mehr als die mageren 15 Zeilen, die die Burg-Jubiläumseditition der „Enzyklopädie“ über das letztendliche Ziel der Ausbildung verliert. Wissenschaftlich verbrämter Befähigungsnachweis für selbstständig-praxisorientiertes Arbeiten „oder nur letzte Lehrveranstaltung“ (von Interesse hauptsächlich für die Dozenten)? „Die einen sagen so, die andern so“, der Autor weiß es auch nicht. Die Jury immerhin hat in diesem Jahr „Grundbedingungen menschlicher Existenz“ gesucht und in den verhüllten menschlichen Skulpturen Lucy Kings gefunden, zudem „beunruhigend Triebhaftes“ in Marie-Lynn Speckerts schmelzendem Wachsklumpen und ein „Gefühl des Gefangenseins im Fluss der Zeit“ in einer Videoarbeit von Karl Pompe. Bezeugen erstere ein Wiederaufleben Beuysscher Metaphysik mit eingängigeren Mitteln, so alle drei die Vorliebe von Jurys für medial spektakuläre Arbeiten.
Es gibt aber auch eine Verweigerungshaltung, mit neo-minimalistischer Linien- und Zeichengeflechten zum Beispiel. Oder Selbstanklage: „Wissen wir Künstler vom Wert von Arbeit und Kunst in unserer Gesellschaft? Entwickeln wir Stolz aufgrund unseres eigenen Schaffens?“, stand in einem Brief zu lesen, den Juliane Maria Hoffmann ihrer Diplomarbeit beigab. Die Metallklasse inszenierte statt Kunst Foren zur Flüchtlingspolitik.
Im Design - mit verlässlichem Erfindergeist - hält sich wacker der Burg-Anspruch, die Welt zu retten, etwa mit reycelten Textilien oder, leicht ekelerregend, 3D-gedrucktem Protein aus Mehlwürmern. Da freut man sich über angehende Kunsterzieher, die Kinderseelen beflügelnden Unterricht erproben. Oder über eine Meisterschülerin der Klasse Malerei wie Simone Distler. Sie verlässt sich allein auf Farbe, Pinsel und Gedankentiefe, die frei von Posen aus ihren naturmystischen Bildern spricht. (mz)