Gruppe 47 Gruppe 47: Erinnerungen an die Sturm- und Drangzeit

Berlin/dpa. - Am Ende verbeugten sich die drei Autoren wie Schauspieler vor ihrem Publikum. Günter Grass, Martin Walser und Joachim Kaiser hatten gerade im Berliner Ensemble das Stück «Gruppe 47 - Sechzig Jahre danach» gegeben - 90 Minuten Erinnerungen an dieSturm- und Drangzeit der Nachkriegsliteratur und an jenen«Verrückten-Verein», der die bisher wohl wichtigste Schriftsteller-Generation der Bundesrepublik versammelt hatte.
Gewürzt wurde der Abend von den Sticheleien zwischen Grass undWalser, die sich immer wieder die Bälle zuwarfen. Auf der Bühne desBrecht-Theaters stritten sie über Tagungsorte und Termine, über dieAuslandsreisen der Gruppe und über Franz Josef Strauß. Joachim Kaiserfiel dabei am Freitag die Rolle des Gemäßigten zu. Um Genauigkeitbemüht, erinnerte der Kritiker an die Debatten und Zerwürfnisse vondamals. Für die späteren Generationen dürften all die Geschichtenaber heute so fern klingen «wie der Punische Krieg, wie Hannibal».
«Es war ein deutsches Wunder: Eine Gruppe, die nur aus Postkarten-Einladungen zusammengehalten wurde», berichtete Grass von derInitiative des Gründers und «Diktators» Hans Werner Richter für dieAutoren-Treffen. Zwanzig Jahre lang nahmen die Schriftsteller Platzauf dem «elektrischen Stuhl», um aus neuen Texten vorzulesen und sichanschließend gnadenlos von ihren Kollegen kritisieren zu lassen -oder auch Lob entgegen zu nehmen.
Die Treffen, zu denen unter anderem Heinrich Böll, AlfredAndersch, Marcel Reich-Ranicki, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann, HansMagnus Enzensberger und Peter Rühmkorf kamen, seien «Theaterstückemit einem unbekannten Text» gewesen, sagte Walser. Auch «Szenenäußerster Peinlichkeit» habe es in den knapp 30 Tagungen gegeben. DieErfahrungen der Kriegsjahre prägten die Gruppe, der Wunsch, nach derKatastrophe des Nationalsozialismus eine neue Sprache zu finden. Indem von den Kriegen zerrütteten Land sei die Gruppe 47 ein«Hauptstadt-Ersatz» gewesen.
So reagierte Grass gleichgültig auf die Kritik Nicolaus Sombarts,die Gruppe 47 habe «das Kleinbürgertum in die deutsche Literatur»getragen. «Als ob es davor alles Großbürger gewesen seien», höhnteder Nobelpreisträger. Und als Grass von der medialen «Verfolgung»Heinrich Bölls durch die «Springer-Presse» sprach, bekam das Publikumeine Ahnung von der Heftigkeit der einstigen Debatten.
Auch bei Walser ist noch der alte Furor da. Der Autor las auseinem Text 1964, in dem er auf die Vorwürfe des Exil-SchriftstellersHans Habe reagierte, die Gruppe übe «Meinungsterror» aus. Und dieeinst aus der CDU stammende Bezeichnung der Gruppe als «linkeReichsschriftumskammer» löst bei den Veteranen nach mehr als einemhalben Jahrhundert noch immer empörte Reflexe aus.
Die letzte Tagung fand 1967 statt. Ein geplantes Treffen in derTschechoslowakei im darauf folgenden Jahr wurde wegen des Einmarschesder Truppen des Warschauer Pakts abgesagt. Auch wenn Elfriede Jelinekdie Gruppe «eine Sadisten-Vereinigung» nannte - für Joachim Kaiserwar alles «ein enormer Spaß». Und «dass wir im biblischen Alter nochheute relativ kregel sind», sagte Grass, gehöre auch zum Erbe derGruppe 47.