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Glockenmuseum Apolda Glockenmuseum Apolda: Gegensätzliche Geschwister

Von kai agthe 14.10.2014, 07:28
In Kriegszeiten wurden sie zerschlagen, eingeschmolzen und zu Kanonen gegossen: Glocken aller Formen und Größen.
In Kriegszeiten wurden sie zerschlagen, eingeschmolzen und zu Kanonen gegossen: Glocken aller Formen und Größen. Martin Schutt/dpa Lizenz

apolda - Glocken und Kanonen seien Geschwister, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten, so klingt es derzeit in Apolda. Die thüringische Stadt war ein wichtiges Zentrum der Glockengießerei in Deutschland, in dem die letzte Glocke aber bereits in den 80er Jahren gegossen worden ist.

Um nur ein berühmtes Beispiel für die Jahrhunderte alte Glockenguss-Tradition zu nennen: Die größte freischwingende Glocke der Welt, die 24 Tonnen schwere St.-Petrus-Glocke im Kölner Dom, die in kölscher Mundart „Decker Pitter“ genannt wird, wurde 1923 von der Firma Heinrich Ulrich in Apolda gegossen.

Der Glocken- als Stückgießer

„Sie läuten zum Frieden und donnern zum Krieg“, heißt es in Apolda. Glocken und Kanonen mögen zwar höchst unterschiedliche Geschwister sein, haben aber dieselben Väter, wie die Schau „Eherne Geschwister“ lehrt. Denn im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren Glocken- gewöhnlich auch Stückgießer. „Stück“, das ist die mittelalterliche Bezeichnung für ein bronzenes Geschütz. Wer Glocken goss, der verdiente sein Geld nicht nur in kriegerischen Zeiten auch mit dem Fertigen von Waffen.

Schon 1574 hieß es in einem Ständebuch diesbezüglich über den Beruf des Glockengießers: „Ich kann mancherley Glocken giessn / Auch Büchsen / daraus man thut schiessn.“

Über Jahrhunderte, so ist in Apolda zu erfahren, galt das sogenannte „Glockenrecht“. Das heißt, dass der Sieger eines Gefechts sich auch der Glocken des Unterlegenen bemächtigte, um aus diesen – was sonst –Kanonen zu fertigen.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Kriege immer größer und damit kostenintensiver. Also wurde versucht, auch die letzten Reserven zu mobilisieren. Im Befreiungskrieg 1813 hieß es etwa: „Gold gab ich für Eisen“ und „Gold gab ich zur Wehr / Eisen nahm ich zur Ehr.“ Um Krieg führen zu können, gaben Bürger Edelmetall in Form von Ringen und Ketten für die Kriegskasse des Vaterlands, in diesem Fall der Preußens, und erhielten im Gegenzug wertlose Schmuckstücke aus Eisen. Wo selbst so verschwindend geringe Edelmetallspenden von Bedeutung waren, da scheute man sich auch nicht, tausendfach Glocken einzuziehen.

Sogenannte „Stahlklangglocken“

In der hochinformativen Apoldaer Ausstellung muss man mit einem natürlich nicht geizen: Glocken aller Formen und Größen. So werden auch sogenannte „Stahlklangglocken“ gezeigt, die jene aus Bronze ersetzen konnten. Allerdings sind diese schwerer als jene aus Bronze, hallen wesentlich kürzer nach und korrodieren sehr schnell. Während die Glocken aus Bronze problemlos mehrere Jahrhunderte ihren Dienst verrichten können, ist die Lebenszeit von Stahlklangglocken, wie man heute weiß, auf 90 Jahre begrenzt.

Statistiken darüber, wie viele Glocken man für Kriegszwecke einschmolz, liegen erst – so ist zu lesen – für die Zeit ab 1914 vor. In der Glockenstadt und ihren damals neun eingemeindeten Orten wurden im Ersten Weltkrieg 18 von 32 Glocken von den Türmen geholt. Im Zweiten Weltkrieg mussten 14 Glocken abgeliefert werden. Die Apoldaer Stücke kamen zum Glockenlagerplatz nach Ilsenburg im Harz, wo sie in der dortigen Kupferhütte eingeschmolzen wurden.

Wie die Propaganda, aber auch die Selbstzensur im Ersten Weltkrieg gewirkt haben, zeigt das Beispiel des Malers Wilhelm Zimmer. Der fertigte 1918 sein Ölbild „Abtransport der Glocken der Kirche in Neuengönna“. Das Gemälde zeigt eine feierlich gekleidete Menschengruppe. Dem Wagen mit den beiden geschmückten Glocken gehen singende Schulkinder voraus, hinter dem Karren folgen der Pfarrer und die Honoratioren des im heutigen Saale-Holzland-Kreis gelegenen Ortes. Was das Kunstwerk verschweigt: Die Glocken in Neuengönna wurden nicht feierlich vom Turm genommen, sondern auf diesem zerschlagen und in Einzelteilen der Metallsammlung zugeführt. Nur ein einzelnes kleines und mit Ornament versehenes Stück hat die Zeitläufte überdauert und ist in der Schau zu sehen.

Franz Schillings Wirken

Für das ganze Deutsche Reich werden die Verluste im Ersten Weltkrieg auf 65 000 Glocken beziffert. Noch größer war die Zahl im Zweiten Weltkrieg: Zu den 47 000 Glocken, die in Deutschland eingezogen und eingeschmolzen wurden, kamen 33 000 aus den von Hitlers Truppen besetzten Gebieten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten wieder Glocken gegossen werden. Auch in Apolda. So fertigte die Glockengießerei von Franz Schilling Söhne etwa 1956 nach einem Entwurf von Waldemar Grzimek die Glocke für den Turm der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald.

Franz Schilling machte sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Teilung auch verdient als Mitarbeiter einer Kommission, die die Rückführung von Glocken aus dem Westen in den Osten regelte. Dank des Einsatzes des Apoldaer Glocken-Experten konnten viele von ihnen in die Kirchen der DDR zurückkehren. (mz)

Glockenmuseum, Bahnhofstraße 41, bis 30. Dezember, Di-So 10-18 Uhr.