Franz Kafka Franz Kafka: Fern der Gemeinschaft
Halle/MZ. - Sein Kopf: ein "langes, adliges, olivfarbenes, arabisches Prinzengesicht". Sein Auftreten: "immer etwas schüchtern lächelnd, voll preziöser, merkwürdiger, aphoristischer Äußerungen und nicht ohne den sichtbaren Wunsch interessant zu erscheinen". So beschreibt der aus Prag stammende Publizist Willy Haas (1891-1973) den acht Jahre älteren Franz Kafka, zu dessen näheren Bekannten er gehörte, ohne dem Autor in persönlicher und literarischer Hinsicht ein Freund zu sein.
Haas - wie Kafka ein Sohn der deutsch-jüdischen Prager Mittelschicht - zeichnet in seinen 1957 veröffentlichten Erinnerungen "Die literarische Welt" ein reizvolles Porträt des schon zu Lebzeiten geheimnisumwölkten Kaufmannssohnes, der als Beamter der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen" sein Geld verdiente. Ein Freizeitliterat, der im öffentlichen Raum schöne Soloszenen zu spielen wusste.
"Einmal traf ich ihn auf der Straße", schreibt Haas. "Wie geht's denn, fragte ich rein formell. ,Ach, ich könnte meinen Kopf auf ihre Schultern legen und weinen', erwiderte er seufzend." Franz Kafka: Er war nicht nur ein Künstler, er gab diese Rolle auch. An Urteilen und Bonmots, die Haas überliefert, sparte der Autor nicht, dessen große Romanfragmente "Der Prozess", "Das Schloss" und "Der Verschollene" erst nach seinem Tod 1924 - und gegen seinen Willen - erscheinen sollten. Kafka liebte das Kino, aber nicht das Theater, nicht die Oper. Das "realistische" Schreiben tat er als langatmig und unzutreffend generalisierend ab. Für spiritistische Vergnügungen - etwa das in Boheme-Kreisen angesagte Tischerücken in Kaffehauskellern - hatte er keine Nerven: "Dass die Sonne morgen früh aufgehen wird, ist ein Wunder, aber dass ein Tisch sich bewegt, wenn Sie ihn so lange malträtieren, das ist kein Wunder."
Man darf diesen Ausspruch abwandeln: Dass Kafka, der heute vor 125 Jahren in Prag geboren wurde, als ein Klassiker gefeiert wird, ist - vom Zeithistorischen abgesehen - gar kein Wunder. Aber dass er als ein ungeheuer lebendiger und anregender Autor immer mehr an Interesse auf sich zieht, das ist dann doch verblüffend. Das eher randständige Jubiläum eines 125. Geburtstages jedenfalls überhäuft den Dichter mit Geschenken: Rainer Staches unter dem Titel "Die Jahre der Erkenntnis" akribisch verfasster zweiter Teil der Kafka-Biografie (S. Fischer, 728 S., 29,90 Euro), Louis Begleys solider, aber etwas betulicher Kafka-Essay "Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe" (DVA, 335 S., 19,95 Euro) und Klaus Wagenbachs runderneuerte Bildbiografie "Kafka" (Wagenbach Verlag, 251 Seiten, 39 Euro).
Willy Haas, der in den 50er Jahren zu den führenden westdeutschen Feuilletonisten zählte, erklärte, dass niemand Kafka verstehen könne, der nicht in Prag und nicht um 1890 geboren ist. Kafka selbst hätte über dieses forsche Statement gelacht. So ist es dann wohl: Die Generalisierer landen bei der Presse, die Skrupulösen bei der Prosa. Kafka verortete sein Schreiben in einem "Grenzland zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft", frei von topografischen Attributen. Als "ätherisch wie ein Traum und exakt wie ein Logarithmus" konturierte Hermann Hesse die Kunst seines Kollegen. Anregend für jedermann, füllt er seinen eigenen Lebensstoff in die Szenerien.