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Verfilmung von "Kruso" Film "Kruso": Hiddensee als Insel für DDR-Aussteiger aus Halle

Von Magdalena Kammler 17.10.2017, 08:00
Edgar Bendler - hier mit Cavallo (links) und Smutje (Mitte) -  landet als Saisonfachkraft auf Hiddensee. Die Verfilmung des Romans „Kruso“ soll im Herbst 2018 ins Fernsehen kommen.
Edgar Bendler - hier mit Cavallo (links) und Smutje (Mitte) -  landet als Saisonfachkraft auf Hiddensee. Die Verfilmung des Romans „Kruso“ soll im Herbst 2018 ins Fernsehen kommen. MDR/Lukas Šalna

Halle (Saale) - Im Aushang der Gastwirtschaft steht auf einem weißen Papier in Druckbuchstaben: „Bockwurst mit Brot“. Gezahlt wird hier mit Ost-Geld, unweit eines anderen Restaurants, in dem es Wlan gibt. Ein Stück DDR im Jahr 2017. Allerdings nicht in der ehemaligen DDR, sondern in Litauen. Vielleicht weil hier noch der Ruß der Ostblock-Glühbirnen im Lack der Fensterrahmen klebt.

Hiddensee im Sommer ’89. Eine abgeschiedene Welt innerhalb eines abgeschotteten Systems. Wie eine Seifenblase aus Glas, fragil und surreal. Ein Zufluchtsort für Gestrandete des gescheiterten Sozialismus. Lutz Seilers Erfolgsroman „Kruso“ (2014) ist eine Wende-Geschichte, die in der halleschen Wolfstraße Nummer 18 beginnt und auf Hiddensee, irgendwo zwischen den Weiten des Meeres und den Engen der DDR, endet.

Eine Geschichte, die bis vor wenigen Jahren im Gedankenkarussell des Autors, der in den 1980er Jahren selbst auf Hiddensee lebte, versteckt blieb. Nun werden diese Gedanken zu Bildern. Der MDR, zusammen mit ARD Degeto und UFA, hat sich die Filmrechte gesichert und dreht zurzeit in Klaipeda an der litauischen Küste die Geschichte von Protagonist Edgar Bendler an einem Ort, an dem die Atmosphäre der Sowjetzeit noch spürbar ist. Ein ehemaliges Restaurant dient als Kulisse für die im Roman und auf Hiddensee bis heute existierende Gastwirtschaft „Zum Klausner“.

Dreharbeiten zu „Kruso“: Der unveränderte Zeitgeist von Hiddensee in Litauen

Die Sanddünen entlang der baltischen Küste an der Kurischen Nehrung sehen idyllisch aus, genauso idyllisch wie auf der mittlerweile herausgeputzten Ostsee-Insel weiter südwestlich. Sandkörner kennen keine Gentrifizierung.

Sie kreisen unaufgeregt im Rhythmus des Windes. Was sich auf Hiddensee verändert hat, ist der Zeitgeist, der sich an den Häuserfassaden und am Geruch des Toilettenpapiers mit den Jahrzehnten wandelte. In Litauen nicht. Zumindest nicht in diesem Haus in Smiltyne (dt.: Sandkrug), ein Hafenstadtteil Klaipedas. Deswegen wird hier gedreht.

Die Romanfigur Edgar Bendler alias „Ed“ (im Film gespielt von Jonathan Berlin) versucht nach dem Tod seiner Freundin und dem Verschwinden der gemeinsamen Katze, seinem bisherigen Leben zu entkommen. Der 24-jährige Germanistikstudent landet auf Hiddensee als Saisonkraft im Küstengasthaus „Zum Klausner“.

Die Belegschaft, ein Sammelsurium aus Intellektuellen, Oppositionellen und vom Leben gezeichneten Aussteigern. Zwischen Deutschlandfunk-Fetzen aus dem Radio, verträumten Zukunftsvisionen und einem Schmerz in den Tiefen einer jeden Seele im Roman, versucht die Belegschaft das Wirtshaus irgendwie auf Kurs zu halten und den freien Geist der Insel in einem unfreien System zu leben.

Albrecht Schuch spielt Kruso in der Romanverfilmung

Ed entwickelt eine tiefe Freundschaft zu Kruso, einem russischen Sozialisten, der den wahren Sozialismus noch kommen sieht und eigentlich Alexander Krusowitsch heißt (gespielt von Albrecht Schuch). Im Roman verabschiedet er sich mit den Worten: „Der Keim der wahren Freiheit, Ed, gedeiht in Unfreiheit.“ Schuch - unter anderem bekannt aus dem NSU-Dreiteiler - hat anders als in Seilers Buch keine schwarzen langen Haare, sondern feine, halblange, blonde.

„Kruso“: Vom Buch zum Film

Wie wandelbar seine Rolle als Kruso auch außerhalb der ästhetischen Sphäre ist, zeigt das Bühnenstück des Romans. Dort spielt Anja Schneider (unter anderem bekannt aus „Tschick“) den Krusowitsch. Im Film verkörpert sie die Rolle der Karola. An dieser Stelle scheint das Theater ein Stück weiter zu sein als das Medium Film. Eine Frau hinter der Rolle des Kruso. „Die Figur steht für sich, sie ist weder weiblich noch männlich“, so Schneider. Schuch selbst sieht das Potenzial seiner Rolle in der Vielschichtigkeit des Plots. „Es ist eine besondere Ostgeschichte, eine Ensemble-Geschichte.“

Die Hauptfigur Ed bewegt sich während des Romans zwischen Wahn und Wirklichkeit, seine Gedankenwelt - eine Symbiose aus Beobachtungen der Realität und Reisen in eine surreale Welt in seinem Innern. Er entwickelt eine besondere Beziehung zu Menschen, Tieren und - Zwiebeln. In der Gasthausküche ist er für das Zwiebelschälen zuständig. Irgendwann fängt Ed an, ganze Zwiebeln zu essen. Seine erste eigene Angewohnheit - „wie eine Art zweites Frühstück“ - schreibt Seiler.

Auch wenn der Roman politisch historisch klar einzuordnen ist, steht er für Hauptdarsteller Jonathan Berlin (letzter Film: „Club der roten Bänder“) für eine zeitlose Geschichte, die auch heute spielen kann. Die Sprachwelt des Autors im Kontext der Flucht und der Schiffbrüchigen habe ihn oft an die jetzige Situation vieler Geflüchteter erinnert.

Mitteldeutsche Medienförderung unterstützt Film mit 400.000 Euro

Bei herbstlichen Windböen und sommerlichen Sonnenstrahlen arbeitet das Film-Team sich Szene für Szene vor. In der Hoffnung, das Wetter hält an. Die Sandkörner bewegen sich brav in kleinen Kreisen synchron zum Wind. Alles läuft nach Plan an diesem milden Septembertag. Am nächsten Morgen beginnt es zu regnen. Wenige Stunden später hört es auf, die Arbeit am Set geht weiter.

Vor dem litauischen „Klausner“ parken weiße Transporter und Wohnwagen, sie stehen in Reih und Glied parallel zur Küste, als ob eine Gruppe Wohnwagen verliebter Rentner aus Mühlheim an der Ruhr an diesem abgewrackten Küstenhaus in Litauen urlauben, weil das Bier am Tresen hier noch billig ist und in der Gaststube geraucht werden darf.

Lutz Seilers Roman wurde gelesen, gelobt und gefeiert. Der Erfolgsdruck hinter der Filmproduktion muss hoch sein. Wie hoch die Produktionskosten sind, legt der MDR jedoch trotz Transparenzoffensive von MDR-Intendantin Karola Wille aus Wettbewerbsgründen nicht offen.

Laut Sender wird der Film durch die Mitteldeutsche Medienförderung mit 400.000 Euro unterstützt. Es steht ein Ruf auf dem Spiel. Ein Ruf, der nach einer erfolgreichen Romanvorlage und anderen erfolgreich produzierten DDR-Geschichten wie „Bornholmer Straße“ oder „Weißensee“ in einer Reihe ausgezeichneter Werke steht. „Lutz Seilers sprachgewaltigen Roman einem großen Filmpublikum zugänglich zu machen, ist eine Herausforderung“, so MDR-Fernsehfilmchefin Jana Brandt.

DDR-Erzählung im Kleinen

Ausgestrahlt wird der Film voraussichtlich im Herbst 2018. Für Regisseur Thomas Stuber ist der Film vor allem eine Freundschaftsgeschichte. Und eine DDR-Erzählung im Kleinen: „Es geht nicht um den großen Parteibonzen oder die große Liebe an der Grenze.“ Wie bei jeder Roman-Adaption wurde auch „Kruso“ für das Format Film komprimiert.

Szenen aus der Wolfstraße Nummer 18 in Halle gibt es im Film nicht. Auch keine Fabelwesen wie den Fuchs. Gespannt sein darf man auf die filmische Umsetzung des Lurchs, eine Ansammlung von Speiseresten im Abwasserrohr, die von der Belegschaft wie ein liebgewonnenes Haustier feierlich im Garten begraben wird. (mz)

Koch Mike (Thomas Lawinky) arbeitet in der Küche des Gasthauses „Zum Klausner“.
Koch Mike (Thomas Lawinky) arbeitet in der Küche des Gasthauses „Zum Klausner“.
MDR/Lukas Šalna
Kruso (Albrecht Schuch) und Ed (Jonathan Berlin) bei den Dreharbeiten in Litauen.
Kruso (Albrecht Schuch) und Ed (Jonathan Berlin) bei den Dreharbeiten in Litauen.
MDR/Lukas Šalna