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"Experiment Sozialismus - Rückkehr nach Kuba" "Experiment Sozialismus - Rückkehr nach Kuba": Weder Paradies noch Hölle

Von Mathias Schulze 15.02.2020, 11:00
Die Zeit scheint auch in der Hauptstadt der Karibik-Insel still zu stehen - hier ein Wohnblock in Havanna.
Die Zeit scheint auch in der Hauptstadt der Karibik-Insel still zu stehen - hier ein Wohnblock in Havanna. dpa

Halle (Saale) - „Wir sind nicht das Paradies, aber auch nicht die Hölle.“ Bringt man einen Film über Kuba mit dem Titel „Experiment Sozialismus“ in das heutige deutsche Kino, kann es sein, dass sich erste Reflexe an einem Systemabgleich abarbeiten wollen: Sozialismus oder Kapitalismus? Was ist das bessere Wirtschaftssystem, wo liegt das Pro und Contra? Dass diese Überlegungen zu irreführenden Abstraktionen führen können, zeigt der 80-minütige Dokumentarfilm von Jana Kaesdorf, Jahrgang 1983 und geboren in Sachsen-Anhalt.

In Kuba gibt es ein spezielles Modell einer sozialistischen Planwirtschaft, nicht „den“ Sozialismus. Kaesdorf zeigt ein Land mit einer besonderen Geschichte und mit einer prägenden geografischen Lage, Vergleiche mit osteuropäischen „Experimenten“ sind schwer bis unmöglich. Kaesdorf fokussiert sich in ihren über Crowdfunding finanzierten Film auf die „Lineamientos“. Das sind Reformen, die die Kommunistische Partei Kubas (PCC) im Jahr 2011 verabschiedete. Diese brachten zwar Freiheiten, aber das Land steht weiterhin, auch wegen der Krise des Öl-Lieferanten Venezuela, am ökonomischen Abgrund.

Alte Motoren laufen heiß

So sieht man ein marodes Land im Vorhof des übermächtigen Amerikas: da die aktuelle Strangulierungspolitik der USA, dort die internen Reformblockaden. So sieht man Menschen, die noch heute unter dem Zusammenbruch der Sowjetunion, einst der wichtigste Handelspartner, leiden. Das Wirtschaftschaos ist seit den 1990er Jahren ein Dauerzustand. Man erfährt etwas vom gegenwärtigen Versuch der Dezentralisierung.

Da gibt es kleine private Unternehmer, denen es, ähnlich wie den Menschen in der Touristikbranche oder den Genossenschaftsbauern, materiell wesentlich besser geht als beispielsweise den Fischern, die den Großteil ihrea Fangs an den Staat abführen müssen. Willkommen in einer Mangelwirtschaft, willkommen in einem wartenden Land, in dem sich uralte Motoren heiß laufen und - um im Bild zu bleiben - in dem sich das Leben nur mühsam bergauf schiebt.

Und doch scheint den gezeigten Kubanern ein großer Stolz innezuwohnen, jeder scheint mit den Brandzeichen der früheren Kolonialmächte gezeichnet zu sein. „Wir wollen keinen Systemwechsel, sondern materielle Bedürfnisbefriedigung und Meinungsfreiheit“, so lassen sich selbst junge Kubaner zitieren. „Bei dem Konflikt der USA mit der kubanischen Nation glaubt man manchmal, es sei ein Konflikt mit Fidel Castro oder dem kubanischen Sozialismus. Nein, es ist ein Konflikt mit der kubanischen Nation seit fast 200 Jahren“, so Dr. Felipe De Jesús Pérez Cruz, Präsident der Nationalen Union der kubanischen Historiker. Erst kamen die Spanier, dann die Amerikaner, die mit Zuckerrohr-Monokulturen reich wurden und die Einheimischen ausbeuteten. An die korrupten 1950er Jahre der Batista-Regierung erinnert sich ein 82-Jähriger: „Die Arbeiter lebten in den ärmsten Verhältnissen. Wenn du die Krankenhäuser in dieser Epoche hättest sehen können, sie ähnelten Konzentrationslagern.“

Fidel Castro bleibt ein Idol

Vor diesem Hintergrund ist und bleibt der Revolutionär Fidel Castro für viele Kubaner ein Idol, der für eine unabhängige Nation gekämpft hat. Diese Sichtweise schließt die folgende Erklärung eines Fischers nicht aus: „Wir leben nicht in dem Sozialismus, den sich die Revolutionäre vorgestellt haben, hier geht es um Beziehungen, das ist kein Sozialismus. Das ist ein Land der Genossen, aber kein Land der Arbeiter.“ Eine Kubanerin fasst es so zusammen: „Wir haben den Sozialismus geschaffen, den wir konnten, nicht den, den wir wollten.“

So entsteht ein Stimmungsbild eines Landes, das von den ikonischen Rebellen über eine eingefangene Lebensfreude bis hin zu den staatlichen Subventionen der Lebensmittel reicht. Kaesdorfs Film gewährleistet einen Einstieg in einen differenzierenden Blick, die Mühen haben sich gelohnt. „Die Arbeit war abenteuerlich. Unser Team bestand aus drei Leuten. Da musste jeder doppelt anpacken. Wir konnten nur mit minimalistischem Equipment arbeiten, Staub und Hitze haben der Technik schwer zugesetzt. Vielerorts mussten wir verdeckt oder in sehr privatem Umfeld drehen, um das Vertrauen der meinungsscheuen Kubaner zu gewinnen“, so die Regisseurin.

Eines kann man festhalten: Das Ringen um die wirtschaftliche Zukunft und den Sozialismus in Kuba wird vorerst weitergehen. Der Ausgang ist ungewiss.

„Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba“: am 23. Februar um 13 Uhr im Puschkino Halle (mz)