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Eva und Erwin Strittmatter Eva und Erwin Strittmatter: "Zum Jauchzen bereit"

Von Christian Eger 06.02.2019, 12:00
Eva und Erwin Strittmatter 1952 auf der Faschingsfeier im Kulturbundklub Potsdam: „Ob ich Dir wirklich schreiben soll?“ 
Eva und Erwin Strittmatter 1952 auf der Faschingsfeier im Kulturbundklub Potsdam: „Ob ich Dir wirklich schreiben soll?“  „Du bist mein zweites Ich“, Aufbau Verlag

Halle (Saale) - Er sprach von Bestimmung, sie von Zufall. Denn es hätte doch alles auch ganz anders kommen können, meinte Eva Strittmatter (1930-2011). Immerhin darin war sie sich mit Erwin Strittmatter (1912-1994) einig, dem sie im Februar 1952 im Berliner Büro des Schriftstellerverbandes erstmals gegenüberstand: In dem Moment sei etwas Lebensentscheidendes geschehen.

Der in Spremberg lebende Schriftsteller Erwin Strittmatter war 39, als er der 22-jährigen Verbandsmitarbeiterin Eva Wernitz begegnete. Er, zum zweiten Mal verheiratet, mit je zwei Söhnen aus jeder Ehe. Sie, von ihrem Ehemann getrennt lebende Mutter eines Kindes. Der Landmann, der kein Stadtmensch sein konnte, traf auf die Stadtfrau, die keine Landfrau werden wollte.

Lizenz zum Unglück

„Du bist mein zweites Ich“ heißt die Auswahl von Briefen der Jahre 1952 bis 1958, die Erwin Berner aus dem Nachlass seiner Eltern herausgegeben hat. Jener Sohn, der in seinen „Erinnerungen an Schulzenhof“ das Elternhaus als „Alptraum in schöner Landschaft“ beschrieben hatte. Als ein „System“ der Repression, in dem der Vater gewalttätig herrschte und die Mutter ihm nicht im Weg stand. Und nun das: die andere Seite der Geschichte.

Zwei Menschen, die es schwer erwischt hat, entschlossen zur großen Liebe nach einer Tagung junger Autoren in Potsdam. Er flucht, weil er Zeit zum Schreiben verliert. Sie will ihn von seiner „Traurigkeit“ erlösen. Interesse haben beide. Erwin ist lauter als Eva. Knallverliebt. „Ich war zum Jauchzen bereit. Allen Menschen hätte ich Liebes sagen können.“

Kann das gut gehen? Der Choleriker auf Brautschau? Aber Strittmatter verschweigt nichts. Er liefert den privaten Beipackzettel mit. Dass er ein Mensch sei, „mit dem es sich schlecht leben“ lasse. „Ein ausgesprochenes Talent, meine Umgebung unglücklich zu machen, nenne ich mein eigen.“ Eva sieht darüber hinweg.

Denn die Liebe geht hier nicht durch den Magen, sondern durch die Literatur. Dort will Eva hin. Sie liest seine Gedichte und Erzählungen, versucht, „die Stärke des Erlebens auch meiner Arbeit zuzuleiten“. Die Arbeit, die das Schreiben ist, soll das Gehäuse dieser Liebe werden, haltbar über alle Katastrophen hinweg.

Nachtigall und Ochsenkutscher, die auflagenstärkste Dichterin der DDR und der Bestseller-Romancier („Ole Bienkopp“, „Der Laden“), der landproletarische Großschriftsteller, der den Bauern nicht nur spielte, sondern in Schulzenhof bei Rheinsberg lebte. Ein märkischer Tolstoi. Nun wird dem Werk der Strittmatters ein Buch hinzugefügt. Eva hatte das geplant. Die Welt sollte von der „Ausnahmeliebe“ erfahren. Hat die Welt darauf gewartet?

Und dann das: Dieses Buch ist eine Überraschung. Briefe, die ihre Verfasser zeigen. Und deren Zeit. Nichts wird ausgespart. Nicht die Helligkeiten, nicht die Peinlichkeiten. Auch die politischen nicht. „Ich schätze Deine Begeisterungsfähigkeit in der Richtung DDR und Partei oder besser umgekehrt“, schreibt Erwin. „Es ist wahr, daß ich Dich nicht lieben könnte, daß uns Welten trennen würden, wenn Du diese Liebe zum Ganzen nicht in Dir trügest.“ Ein Echolot ins Jahr 1952, in dem Stalin noch lebte.

Wir sind nichts ohne die DDR

Es geht um eine große Sache: das Traumpaar der neuen Gegenwartsliteratur. Er testet sie, wirft ihr vor, dass alles „nur ein Strohfeuer“ sei. Ihr ist es ein „unerträglicher Gedanke, nicht genau zu wissen, woran Du arbeitest“. Sie sehnt sich nach einem Menschen, dem sie „folgen“ kann, „es darf keinen Zweifel über die Führung auf dem Wege geben“. Er will „uns aneinander erhöhen, um unser Bestmöglichstes für die Gesellschaft und ihre Zukunft zu geben“. Immer wieder ist es Eva, die zweifelt. Erwin bleibt dran. Nach zwei Monaten jubelt er: „Jetzt weiß ich auch, daß Du die ,gefährliche Wächterin’ meines Werkes werden wirst. (…) Das tut so gut, damit nicht mehr allein sein zu müssen, jemanden zu wissen, der mit bis in die leisen Klänge mancher Worte hinuntersteigt.“ Ha!, denkt der Leser, jetzt hat er sie. Eva in der Mitarbeiter-Falle?

Keinesfalls. Es ist nicht der Mann, der die Frau wählt, sondern umgekehrt. Erwin Strittmatter wird es bemerken, wenn er allein auf dem Schulzenhof sitzt und sein „Goldkind“ keine Lust hat, aus der Berliner Stalinallee auf den Bauernhof zu wechseln. Erwin flucht: „Deine Arbeit und Dein Buch wird ein Dreck sein, wenn Du so weiterlebst.“ Bei der ersten Schwangerschaft besteht er auf Abtreibung, um das „gemeinsame Werk“ zu schützen. Sofort folgt wieder das Stakkato der Anreden „Meine Traumfrau!“, „Goldkind!“, „Mausohr“, sie nennt ihn „Lubko Liebherz“. Er fragt: „Magst Du Küsse?“

Bei aller rhetorischen Idyllik zeigt der Briefwechsel keine Idylle. Zwei Jahrzehnte älter, setzt Erwin bei Eva alles auf eine Karte. Seine Umständlichkeit, Verlorenheit, alles ist drin. Um ihn herum die junge DDR, der er sich ganz verschrieben hat. Erwin an Eva: „Uns hat der Sozialismus viel gebracht, ja alles. Wir sind nichts ohne diese Republik.“ So laufen die Jahre der frühen DDR-Literatur als eine Bewegtbild-Kulisse mit. Brecht ist zu sehen, mit dem Strittmatter am Berliner Ensemble zusammenarbeitet und der junge tanzwütige Erich Loest („zappelt, boogt und woogt“).

„Ich verlang gar nix“, endet der letzte Brief im Buch, 1958 verfasst von Eva Strittmatter. Ein Schreiben, das deutlich zeigt, wer in dieser Beziehung tatsächlich Regie führt. „Nix Brief, nix Besuch, nix Kampf mit dem Werk. Was gern gegeben wird, wird gern genommen. Auf alles andere wird gern verzichtet.“ Von wegen.

Niemand muss sich für die Strittmatters interessieren, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen. So interessant ist das Ineinander von Taktik und Chaos, Führen und Verführen. Eine „Ausnahmeliebe“? Der Briefwechsel bietet etwas anderes. Ein Buch, das absichtslos das Kalkül hinter der romantischen Liebe zeigt. Im Genre Liebesbriefe eines der besten.

Erwin und Eva Strittmatter: Du bist mein zweites Ich. Der Briefwechsel. Aufbau Verlag, 377 Seiten, 24 Euro

(mz)