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Ekkehard Schall Ekkehard Schall: Ein Mann wie ein Gewitter

Von CHRISTIAN EGER 27.05.2010, 17:48

HALLE/MZ. - Alles begann in der Ackerstraße, Berlin-Mitte. Dort wohnte der 1952 von Brecht ans Berliner Ensemble verpflichtete Schauspieler Ekkehard Schall. Sohn eines Magdeburger Tabakhändlers, der über das Theater in Frankfurt an der Oder in die Hauptstadt geraten war. Ein Bühnentalent von 22 Jahren.

Mit dem aus Köthen stammenden, nur ein Jahr älteren Brecht-Assistenten Manfred Wekwerth hockte Schall in seinem Hinterzimmer. Bei einer Flasche Wodka las man "Verbotenes", wie Wekwerth nun mitteilt. Brechts Hitler-Travestie "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", die der Meister vor seinen Buben verschlossen hielt. Noch nirgendwo war das 1941 verfasste Stück auf die Bühne gekommen.

Aber nicht deshalb hielt Brecht die Lektüre vor den beiden jungen Männern zurück. Sondern weil diese erst einmal sein Schauspiel "Furcht und Elend des Dritten Reiches" lesen sollten. Das war Brechts Überzeugung: Bevor man über die Nazis lacht, muss man über sie erschrecken. Aber Schall galt als künftiger Schwiegersohn des Meisters. So beschaffte er das Stück. Und tatsächlich heiratete er 1961 die Brecht-Tochter Barbara.

532 Mal Arturo Ui

So saß man denn, erzählt nun Wekwerth in Vera Tenscherts Fotobildband "Ekkehard Schall", in der Ackerstraße "unter einer Funzel ohne Lampenschirm", um den "Arturo Ui" zu lesen: "mit hochroten Köpfen". Um Mitternacht schworen sich Wekwerth und Schall, das Ui-Stück gemeinsam auf die Bühne zu bringen. Es blieb bei dem Eid. Die Uraufführung besorgte Peter Palitzsch 1958 in Stuttgart, im Jahr darauf aber zeigte Wekwerth das Stück im Berliner Ensemble: mit Schall als Hitler-Karikatur Arturo Ui. 532 Mal gespielt bis ins Jahr 1977. Das Publikum wollte mehr, Schall aber nicht. "Ekke", ist zu lesen, hing "Hitler zum Halse 'raus".

Aber fortan gehörte diese Figur zu diesem Schauspieler. Wie der schwerttanzende Eilif in Brechts "Mutter Courage" oder die Hauptrolle in Brechts Bearbeitung des Shakespeare-Stückes "Coriolan". Klasse, Kondition, Akrobatik, das war das System Schall. Intelligenz, Artistik und Expressivität. Bis 1991 stand Schall auf den Brettern des Berliner Ensembles, dann zog er sich ins Schreiben und auf kleine Auftritte zurück. 2005 starb der Schauspieler, der morgen 80 Jahre alt geworden wäre. Ein Anlass des öffentlichen Gedenkens: 40 laufende Regalmeter Nachlassmaterial schenkte dieser Tage Schalls Witwe Barbara der Berliner Akademie der Künste. Notizen und Briefe von Brecht und Weigel darunter, Material aus Schalls 14 Jahren als Vize-Intendant des Berliner Ensembles. Bühnenkostüme und Theaterrequisiten, Ton- und Filmaufnahmen, aber auch Manuskripte. 2005 hatte Schall im Verlag Janos Stekovics den Gedichtband "auf mir ein Makel nun, wie sichs gehört" veröffentlicht - ein schönes Buch, das den Bildern und Stimmen von Schalls Magdeburger Kindheit nachhing. Das Buch zum Fest aber ist Vera Tenscherts Fotobildband "Von großer Art", das den Schauspieler und Privatmann Schall zeigt, den Vater von zwei Töchtern.

Zart und eigenbrötlerisch

Die Fotos, das Rollenverzeichnis, die Texte unter anderen von Hilmar Thate, Volker Braun, Schall-Tochter Johanna und Manfred Wekwerth: Das ergibt ein sprechendes Bild. Nur hätte man sich einige Sätze über Vera Tenschert selbst gewünscht, Jahrgang 1936, die von 1954 bis 1992 als Fotografin am Berliner Ensemble arbeitete. Und viele Zeilen weniger von dem sentimental und geschwätzig freidrehenden Thate-Text, den der Autor an einer Stelle treffend als "Phrasendrusch" bezeichnet.

Tenscherts Bilderwerk: ein Buch wie ein in sich verspiegeltes Museum. Wekwerth sieht aus wie Brecht und Schall manchmal wie Wekwerth. Man beginnt das Klischee vom Kraftkünstler Schall zu korrigieren. Er war ein skrupulöser, zarter, ja eigenbrötlerischer Mensch. Einer, der sich gern zurückzog. Zwischen Bücher und Bilder vergrub. Ein intellektueller Schauspieler, der zitiert wird: "Jede Figur ist für mich eine Standpunkts- und Hoffnungsverteidigung, jede Figur hat eine (...) eine persönliche Geistesgeschichte".

Tenscherts Bilder also und ein Statement von der Art des Schauspielers Hermann Beyer und man begreift, was Schall auf der deutschen Bühne war. Beyer: "Schall war wie ein Gewitter". Als 16-Jährige "sahen wir seinen ,Ui', hingerissen und verloren. Später, als Schauspielschüler, ,Coriolan' und ,Oppenheimer'. Immer noch verloren und hingerissen. Diese Kraft, diese Bewegung, dieser einmalige Umgang mit Sprache." Tenscherts Buch macht das alles sichtbar.

Vera Tenschert: Ekkehard Schall. Von großer Art. Verlag Das Neue Berlin, gebunden, 192 Seiten, 24,95 Euro