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Dokudrama "Zug in die Freiheit" Dokudrama "Zug in die Freiheit": Flüchtlingszüge waren Anfang vom Ende

Von andreas montag 20.07.2014, 11:45
Drei junge Männer aus Reichenbach im Vogtland erreichen den Zug, der mit den Flüchtlingen nach Hof in Bayern rollen wird.
Drei junge Männer aus Reichenbach im Vogtland erreichen den Zug, der mit den Flüchtlingen nach Hof in Bayern rollen wird. mdr/bernd cramer Lizenz

dresden/MZ - Es ist eine doppelte Zeitreise gewesen, zu der Wolf-Dieter Jacobi, der Fernsehdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks, und Peter Latzel, Geschäftsführer von Arte Deutschland, am Freitag baten: Am Gleis 17 des Dresdner Hauptbahnhofes stand ein echter, moosgrüner Reisezug der Deutschen Reichsbahn bereit, hübsch geputzt und mit einem Salonwagen. So ganz dem Standard der DDR entsprach das dann doch nicht. Der Zug, erfuhren die Passagiere, sei ehedem eine rollende Kommandozentrale des DDR-Verteidigungsministers gewesen - für welchen Ernstfall auch immer.

Verzweifelter Mut, Hoffnung, Angst

Um einen ernsten, politischen und obendrein hoch emotionalen Fall geht es auch in dem Film, der anschließend erstmals vorgestellt wurde, während man Richtung Nossen rollte. „Zug in die Freiheit“ heißt das Dokudrama von Sebastian Dehnhardt und Matthias Schmidt, das am 30. September zunächst im Arte-Programm laufen wird. Den Filmemachern, beide schon mehrfach ausgezeichnet, ist dabei etwas wirklich Großartiges gelungen: Sie haben die Geschichte der DDR-Flüchtlinge, die 1989 die Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland erst zu Dutzenden, schließlich zu Tausenden besetzten, in 90 Minuten so dicht und bewegend nachgestaltet, dass man glaubt, Zeuge zu sein.

Verzweifelter Mut, Hoffnung, Angst - alles findet sich hier glaubwürdig wieder. Unbekanntes auch und Bilder, die von der rasanten Entwicklung nach dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung überlagert worden sind. Nicht zuletzt für die Nachgeborenen dürfte der Film von großem Interesse sein, schließlich waren es damals ja überwiegend die Jüngeren, die der DDR den Rücken kehrten.

Volkspolizist hechelt hinterher

„Man hatte immer das Gefühl, eingesperrt zu sein“, erinnert sich einer der Protagonisten aus Reichenbach im Vogtland. Gemeinsam mit zwei Freunden hatte er sich spontan zur Flucht entschlossen, als nach Hans-Dietrich Genschers berühmter Rede, die er vom Balkon der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland hielt, der erste Flüchtlingszug gen Westen gestartet war. In Reichenbach, hofften sie, würde der Zug zum Lokwechsel halten. Diese Gelegenheit wollten sie nutzen und in den Zug einsteigen - um jeden Preis. Wenn geschossen worden wäre, sagt einer von ihnen, hätte jeder selber entscheiden müssen. Es wurde zum Glück nicht geschossen, nur ein Volkspolizist hechelte Jörg, Jens und Ronny hinterher. Aber sie erreichten ihren Zug in die Freiheit.

Auf Seite 2 erfahren Sie mehr über das Ende der Reise

Geschichten wie diese lassen die Autoren die Zeitzeugen schildern, behutsam verschnitten mit Szenen, in denen Schauspieler agieren. Dabei gerät der dokumentarische, um größtmögliche Genauigkeit bemühte Ansatz des Autoren- und Regieduos in keinem Moment aus dem Blick, es wird auch nicht mehr als nötig an der Drama-Schraube gedreht, wie es in diesem Genre nicht selten vorkommt. Aber hier würde jede künstliche Dramatisierung die Spannung des realen Geschehens nur schwächen und dem Film damit etwas von seiner Glaubwürdigkeit nehmen.

Jugend war fertig mit der DDR

Natürlich darf der Genscher-Auftritt nicht fehlen, die Botschaft an die Landsleute, mit denen der Außenminister sich besser auskannte als mancher andere Zeitgenosse im Westen: „Ich bin den Weg, den Sie jetzt gehen, 1953 selbst gegangen“, sagte der in Reideburg bei Halle geborene Politiker. Damit er die Frauen, Männer und Kinder aus der Prager Botschaft in den Westen holen konnte, hatte er seine Verbindungen zum damaligen sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse spielen lassen, seinem unlängst verstorbenen Freund.

Überhaupt ist es eine Freude, Genschers pointierten Einlassungen zu folgen. Über Honeckers Bedingung, die Züge müssten auf dem Weg in den Westen über das Territorium der DDR fahren, sagt er, das sei so, als würde man „jemanden mit einer brennenden Fackel durch die Scheune schicken und sich dann wundern, wenn die Scheune brennt“ - und sie habe gebrannt! Auch Gregor Gysi kommt zu Wort, der Anwalt und heutige Linken-Politiker hatte damals den DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel nach Prag begleitet. Der sollte auf Geheiß Honeckers die Flüchtlinge zur Rückkehr bewegen. Nur wenige ließen sich überreden, „die Jugend war fertig mit der DDR“, erinnert sich Gysi. So war es wohl, der Film lässt keinen Zweifel daran. Christian Bürger, einer der Flüchtlinge, hat bei der Ankunft in Hof die Erde geküsst. Das kann man pathetisch finden, räumt er ein. Aber er hat damals so empfunden. Und er steht heute noch dazu.