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Ex-Puhdy feiert Jubiläum Dieter Birr : Lieder für Generationen: Ex-Puhdy "Maschine" feiert Jubiläum - noch nicht bereit für Rockerrente

Von Steffen Könau 20.11.2019, 11:00
Von wegen Rockerrente: 30 Jahre nach dem ersten Karriereende ist Dieter Birr gefragt wie nie.
Von wegen Rockerrente: 30 Jahre nach dem ersten Karriereende ist Dieter Birr gefragt wie nie. dpa

Berlin/Halle (Saale) - Das mit den Chemotabletten war nicht schön. „Immer zwei Wochen am Stück musste ich die nehmen, zur Vorsorge“, sagt Dieter Birr, der das unheimliche Kapitel mit K eigentlich langsam hinter sich lassen will. Alles gut, alles schön, versichert der 75-jährige Mitgründer, Sänger und Chef der Puhdys, den alle „Maschine“ nennen. Nur die Tabletten eben, „die machen einen manchmal ein bisschen schlapp“, erzählt Birr.

Deshalb habe er seine traditionelle Weihnachtstour, die augenzwinkernd „Alle Winter wieder“ heißt, für diesmal vorsichtshalber lieber abgesagt. „Du willst ja auch nicht auf der Bühne stehen und eine Show bieten, bei der die Leute sagen, dafür, dass er gerade noch krank war, macht er das ja doch ganz gut.“

Lebende Legende: Dieter „Maschine“ Birr

Dieter Birr, der an diesem Dienstag auf den Tag genau vor 50 Jahren sein erstes Konzert mit den Puhdys spielte, wollte nie Mittelmaß sein, nie irgendwo in der zweiten Liga hängen oder die zweite Geige spielen. Schon im Sommer, als er nach seiner OP gerade aus der Reha gekommen war, kletterte der gebürtige Ostpreuße wieder auf die Bühne, um mit der Bitterfelder Erfolgsband Goitzsche Front ein paar Puhdys-Lieder zu singen. Momente, die sich ein wenig nach Wiedergeburt und Rückkehr ins Leben anfühlten. Immer am Ende fand sich ein gewaltiger Chor für „Was bleibt“ zusammen, eine Hymne auf die Freunde im Leben. Vor der Bühne gab es literweise Tränen und auch auf der Bühne waren alle Augen feucht.

Aber Birr, ein Riese immer noch, der das Haar lang trägt und das Knittergesicht als stolzes Markenzeichen, ist Profi. „Ich bin niemand, der die Leute mit meinen Ängsten belästigen will“, hat er mal gesagt. Krankheit, Tod, Verluste, Vergangenheit? Dieter Birr hat es lieber lebendig, und wenn er sich fröhlich berlinernd durch die Erinnerungsschubladen aus einem halben Jahrhundert Rock ’n’ Roll-Leben kramt, findet er im Grunde nur lauter schöne Dinge.

Puhdys gaben erstes Konzert vor 50 Jahren

Als sie damals anfingen, er, der andere Gitarrist Dieter „Quaster“ Hertrampf, Basser Harry Jeske, Peter „Eingehängt“ Meyer am Keyboard und Trommler Gunther Wosylus, da waren sie gerade Mitte 20 und eigentlich vor allem Fans. „Deep Purple und Uriah Heep, so wollten wir klingen“, sagt Birr und muss lachen. Es klappte nicht. „Wir konnten nicht so spielen, und ich konnte auch nicht so singen.“

Gemeinsam mit dem Lyriker Wolfgang Tilgner schrieb Birr damals den ersten Puhdys-Titel „Türen öffnen sich zur Stadt“. Eigentlich nicht, weil er das wollte, sondern, so wenigstens erzählt es die Legende, weil Schüler aus Gardelegen einen Brief an das DDR-Jugendfernsehen geschrieben und um einen TV-Auftritt der Puhdys gebeten hatten. Dort hätten die Musiker nicht mit einem Cover-Song aus ihrem normalen englischsprachigen Konzertprogramm auftreten können. So dass Dieter Birr ein Werk mit Orgel-Intro, dunkel dräuendem Bassmotiv und einer jaulenden Hendrix-Gitarre schuf, in dem die Vorbilder nachklingen.

Mit Dreck und Staub: Birr hat „anständigen“ Beruf gelernt

In der DDR des Jahres 1971 wird die Fünfeinhalbminuten-Hardrock-Oper „Schlager des Jahres“. Und sie etabliert die Berliner Band sofort an der Spitze der DDR-Popmusikszene, die bis dahin von eher sanften Gruppen wie dem Horst-Krüger-Sextett oder der Theo-Schumann-Combo angeführt worden war. Birr und Co. sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Gerade dreht sich der Wind und der eben noch bekämpfte Rock ’n’ Roll gilt nicht mehr unbedingt als „Instrument des Klassenfeindes im ideologischen Krieg gegen den Sozialismus“. Sondern als probates Mittel, die Jugend der DDR auf die Seite der Partei zu ziehen.

Auch mit 75 ist Dieter „Maschine“ Birr ruhelos unterwegs. Am Freitag wird er sein Album „Alle Winter wieder“ mit vier zusätzlichen Songs neu veröffentlichten.

Dann steht für den 3. Januar schon der Verkaufsstart für das Goitzsche-Front-Album „Ostgold“ an, auf dem Birr zu hören ist. Soloauftritte hat er ab Februar in Freyburg, Zeitz, Landsberg und Dessau, mit den „Rocklegenden“ spielt er unter anderem in Magdeburg, Erfurt und Leipzig.

››Alle Termine: www.dieter-maschine-birr.de

Die Puhdys bringen einen neuen Ton mit, „rauer und authentischer“, wie Dieter Birr es nennt. Wie er selbst sind auch die anderen Puhdys keine Profimusiker. Birr hat einen anständigen Beruf gelernt, richtig in der Werkhalle mit Dreck und Staub und allem, sagt er. „Mein Traum war eigentlich Dreher, weil ich dachte, haste ’ne Maschine, musste nicht selber arbeiten.“ Aber die DDR habe damals gerade keine Zerspaner gebraucht. So war das halt in der Planwirtschaft. Also wurde Birr Universalschleifer.

Mehr als 20 Millionen Platten verkauft

Das prägt ihn bis heute, das macht aus ihm einen Gegenentwurf zum Rock-Darsteller von der Pop-Akademie. Maschine, der seinen Namen dem Bandkollegen Peter Meyer verdankt, der ihn einst als „Fressmaschine“ bezeichnet hatte, ist, wie er ist. „Weil de dich“, sagt er, „als Künstler sowieso nicht verstellen kannst.“ Mit 16 schrieb er nach Feierabend sein erstes Stück, es hieß „Oh Mary“ und war natürlich ein Liebeslied.

Neun Jahre später steht Dieter Birr dann zum ersten Mal in einem Tonstudio, ein Glücksfall, von dem er heute glaubt, dass er ausschlaggebend für die ganze Puhdys-Karriere war. „Es gab andere, die hatten mehr Talent, aber vielleicht die falschen Lehrer“, sagt er, „und es gab Leute, die machten ihre Ausbildung und kamen nicht mehr zurück.“

Dass Rock ein Beruf sein könnte, ist in Zeiten, in denen an den Türen von Auftrittsorten wie dem Gasthof in Etzdorf oder dem „Goldenen Löwen“ in Landsberg warnend „Zutritt nur in Tanzkleidung“ steht, nicht einmal eine theoretische Erwägung. „Wir haben Spaß gehabt, und wir wollten besser werden“, erklärt Dieter Birr 22 Millionen verkaufte Platten und mehr als 4000 gespielte Konzerte später.

Glück und harte Arbeit

Damals ins Rundfunkstudio zu dürfen, war Glück. Alles danach aber harte Arbeit. Die Puhdys beackern nicht nur jede Milchkanne auf dem Land, sie gehen auch mit dem Schlagersänger Siegfried Walendy auf Tour durch die Sowjetunion und spielen damals zeitweise mörderische Tourneen mit 39 Konzerten in 44 Tagen, verteilt auf elf Zeitzonen und 24.000 Flugzeug-Kilometer.

Das Gefühl aber, das Birr erfüllt, ist nicht Mühe, sondern Dankbarkeit. „Wenn du die Menschen erreichst“, sagt er, „dann ist das was ganz Großes.“ Eine ausgebildete Stimme von klassischer Schönheit brauche es dazu nicht. „Tom Jones kann sicher besser singen als Mick Jagger“, glaubt Birr, „aber wer uns emotional packt, das ist der Herr von den Rolling Stones.“

Dass die noch weiterspielen, seine Puhdys aber vor drei Jahren endgültig den Stecker gezogen haben, findet der einstige Frontmann der erfolgreichsten DDR-Rockband bis heute richtig. „Wir dachten ja schon 1988, mehr können wir eigentlich nicht erreichen“, sagt er, „und 2016 war es dann wirklich so.“ Die Abschiedstour lief über zwei Jahre, ganz zum Schluss war dann die Berliner O2 -World zweimal ausverkauft und der Live-Mitschnitt landete auf Platz zwei der Hitparade. „Besser kannst du gar nicht abtreten“, sagt Dieter Birr.

Zumal sein Plan immer gewesen sei, „danach noch Zeit für mich zu haben“. So viele Songs warteten darauf, gesungen, aufgenommen oder überhaupt erstmal geschrieben zu werden. Und mit so vielen Kolleginnen und Kollegen wollte er schon immer „mal was zusammen machen“.

Pascal Bock: „Der Osten rockt und mit den Puhdys fing es an“

Dieter Birr, der von sich sagt, er bringe nicht so gern seine privaten Gefühle unters Volk, ist alles andere als ein Rock-Rentner. Er ist fortwährend auf Lese-Tournee mit seiner Autobiografie, „und da singe ich natürlich auch ein paar Lieder“. Er hat beim neuen Album der Band Goitzsche Front mitgesungen und wird beim Weihnachtskonzert der Bitterfelder mit auf der Bühne stehen. „Der Osten rockt und mit den Puhdys fing es an“, sagt Front-Sänger Pascal Bock.

Im Frühjahr geht dann die Tour der DDR-Rocklegenden in die Verlängerung. Silly, City und Maschine 13 Mal gemeinsam in den größten Hallen des Landes. „Da machen wir wieder richtig Krach“, freut sich Birr schon. (mz)

Dieter Birr im Kreise der ganz frühen Puhdys: Der Mann in der Mitte
Dieter Birr im Kreise der ganz frühen Puhdys: Der Mann in der Mitte
 dpa