Die Toten Hosen Die Toten Hosen: Das neue Album "Laune der Natur" vorgestellt

Halle (Saale) - Keine Geigen diesmal, sondern schneidend scharfe Gitarren. Doppeltrommel, der Sänger am oberen Stimmbandrand. Nur 40 Sekunden dauert es, bis die Toten Hosen im Eröffnungsstück ihres neuen Albums „Laune der Natur“ zum ersten Hohoho-Chor ansetzen.
„Die Gitarren sind verzerrt, die Bässe sind verstimmt, der Gesang war nie anders, alles halb so schlimm“, johlt Campino. Augenzwinkern. Hose hoch. „Wir kommen zurück zu Dir / zum Anfang / zum Urknall / als wäre nichts passiert.“
Eine Beschwörung, die auch nach innen geht. Niemals zuvor hat es länger gedauert, bis die Hosen nach einem Album ein nächstes vorlegten. Zwei, drei oder vier Jahre, das war der Rhythmus, in dem das Düsseldorfer Quintett seine Musik auf den Markt brachte.
Die Toten Hosen: Das Bandleben ist eine Achterbahn
Zuletzt wuchsen die Abstände, denn die Touren wurden länger, die Hosen-Maschine immer größer und die Todesfälle im Umfeld der wie ein Familienbetrieb funktionierenden Truppe häuften sich.
Nach „Ballast der Republik“, dem Album, das mit 89 Charts-Wochen und viermal Platin zum erfolgreichsten der Bandgeschichte wurde, starben Ex-Drummer Wolfgang „Wölli“ Rohde und Manager Jochen Hülder. „Das Leben“, heißt das bei den Hosen, „war eine Achterbahn“.
Das ist auch dieses insgesamt 15. reguläre Studioalbum der vier Ur-Mitglieder zwischen Anfang und Mitte 50, denen Wölli-Nachfolger Vom Ritchie nun auch schon wieder fast 20 Jahre den Takt schlägt.
Die Toten Hosen: Stellung beziehen, eine Botschaft senden
Vom scharfkantigen „Urknall“, der Rockklischees und und die Sehnsucht nach der Unschuld des Anfangs in ein Riff packt, das von fern an Led Zeppelins „Immigrant Song“ erinnert, geht es über das sentimentale „Alles mit nach Hause“ und den Reggae „Wannsee“ zu „Unter den Wolken“, einer Art ernüchterter Antwort auf Reinhard Meys 1974er Hit „Über den Wolken“.
Andreas „Campino“ Frege, die Gitarristen Andreas von Holst und Michael Breitkopf, Bassist Andreas Meurer und Schlagzeuger Stephen George Ritchie zeigen hier, dass es ihnen immer noch auch auf den Inhalt ankommt, gerade in einer Welt, die, wie Campino singt, „grad auf dem Kopf steht“.
Stellung beziehen, ein Licht anzünden, eine Botschaft senden, darum geht es, wo früher „Opelgang“ und eisgekühlter Bommerlunder gefeiert wurden.
Wie konnte es dazu kommen, wie ist das passiert?
Die Toten Hosen: Ungeplanter Aufstieg in den Rock-Olymp
All die ganzen Jahre, wie früher mal ein Lied hieß: Weg. Dafür nun der Ruhm und der Aufstieg der Punkband in den kreischbunten Second-Hand-Klamotten hinauf in den Rock-Olymp, wo heute neben den Hosen nur noch Rammstein, Ärzte, Grönemeyer und Lindenberg einen festen Wohnsitz haben.
Die Toten Hosen hatten das nie so geplant. Aber als es möglich wurde, haben sie ihre Chance energisch ergriffen. Und die Mischung aus „Pop & Politik“ (Titel), privaten Schmerzballaden und Jungsliedern um einen „Ferrari auf dem Jacobsweg“ und feuchte Proberäume sieht sie im 30. Bandjahr auf dem Höhepunkt ihrer Kunst.
Wo aus dem „Ballast der Republik“ noch blitzblankpolierter Edelrock strahlte, der hörbar für Stadien geschrieben war, klimpern die Hosen jetzt virtuos auf der gesamten Gefühlsklaviatur.
Die Toten Hosen: Ausrufezeichen in Sachen Deutschrock in 2017
Vom Mitgröhl-Song „Energie“ über das countryinfizierte „Die Schöne und das Biest“ bis zu „Eine Handvoll Erde“, dem Abschiedslied für Manager Hülder, entfaltet sich ein thematisch wie musikalisch buntes Panorama, dessen Grundton meist in Moll klingt.
Es wird mehr gestorben und über den Tod nachgedacht als irgendwann auf einem anderen Hosen-Album. Aber die Stimmung ist gut. Und zum Schluss darf der verstorbene Wölli sogar noch mal sein Solo-Stück „Kein Grund zur Traurigkeit“ singen.
Der Tod und das Leben, Rückschau und Ausblick, Spaß und scheitern, Selbstzweifel und Selbstvergewisserung - diese 15 Songs haben mit dem Drei-Akkorde-Punk der frühen Hosen-Tage nichts mehr zu tun.
Sie sind aber sicherlich das Beste, was dem deutschem Rock in diesem Jahr passieren wird. Die Toten Hosen spielen das erste Konzert ihrer neuen Tour am 29. Mai in der Magdeburger Getec-Arena. (mz)