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Die Ärzte auf Tournee Die Ärzte auf Tournee: Megastars im Mini-Saal

Von Steffen Könau 09.03.2003, 15:24
Bela B.. (Foto: MZ-Archiv)
Bela B.. (Foto: MZ-Archiv) dpa/dpaweb

Halle/MZ. - Keiner kannte die Band. Aber nach exakt 37 Minuten waren sämtliche Eintrittskarten ausverkauft. Noch nie hatte jemand ein Lied gehört von "Nackt unter Kannibalen". Aber nach zwei Tage kletterten die Schwarzmarkt-Preise im Internet auf "Deutschland sucht den Superstar"-Niveau.

Und während die Berliner Rockband Die Ärzte sich noch artig in Geheimniskrämerei übte, war für die Fans klar: Bei der so gefragten "Kegeln for Kreuzberg"-Tournee, die die angebliche italienische Kultcombo Nudo Tra I Cannibali, zu gut deutsch "Nackt unter Kannibalen", zum ersten Mal durch kleine deutsche Klubs führen sollte, handelt es sich natürlich um den neuesten Spaß der selbsternannten "besten Band der Welt".

Echte Superstars unter falscher Flagge, die großen Rock-Giganten im ganz kleinen Saal. Trommler Bela B., Gitarrist Farin Urlaub und Bassmann Rod Gonzales, abonniert auf Singlehits und Stadionkonzerte, sind auf dem Weg zurück zu den Wurzeln. Statt auf die großen Publikumserfolge wie "Männer sind Schweine" setzt das Trio in der halleschen Easyschorre vor allem auf unbehauene Versionen ganz früher Werke. "Mal sehen, ob ihr das noch kennt", sagt Sänger Farin Urlaub dann und stimmt den "Käfer" an, ein Liedlein, das aus dem Jahre 1985 stammt und damit älter ist als die halbe Halle. Die singt natürlich trotzdem mit, aus vollem Hals und mit im Takt gereckten Fäusten. Bela B. dirigiert den tausendköpfigen Chor, der die Mauern beben lässt. "Nein, nein, ich will kein Käfer sein!", brüllt es von unten. "Das klappt so gut, das habt ihr wohl 40 Jahre geübt?", fragt es von oben.

Es ist diese nur auf Gelegenheiten lauernde Fettnäpfchen-Trampelei, kombiniert mit offensiver Selbstironie, die die Ärzte auch "Nackt unter Kannibalen" zum Ereignis macht. Keine platten Parolen gibt es hier zu hören und kein dröges "Hallo Halle" zu beklatschen. Ärzte-Konzerte leben von der Überzeichnung aller Rock´n´Roll-Klischess, von musikalischen Allgemeinplätzen aus drei Akkorden, die überdehnt und verdreht werden, bis irgendwo ein Mitsing-Refrain hervorbricht, den kein RTL-"Superstar" jemals angemessen würde interpretieren können.

Hier gibt es echten Schweiß und echten Spaß, nicht Pop-Operette. Quer durch den Fundus an unsterblichen Hymnen wie "Vermissen, Baby" und "Meine Freunde" geht es und kaum ein Song kommt heute abend ohne scharfe Rasur davon. Der eine wird zum Reggae, der andere klingt so sehr nach Lambada, dass die Menge in der Enge schiebt und schaukelt. "Ihr habt den Superstar nicht gesucht", freut sich Farin Urlaub, "und hier habt ihr gleich drei gefunden!" Von unten freilich zählt der Chor nun schon ganz ohne jeden Spott: "Es gibt nur einen Gott - Belafarinrod."