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DDR-Bußwort der Evangelischen Kirche DDR-Bußwort der Evangelischen Kirche: Viele sagen: Na endlich!

Von Christian Eger 06.12.2017, 14:47
Kirchentag in Leipzig im Juli 1989: Niemals nur Opposition, aber auch nicht einfach Staatsstütze.
Kirchentag in Leipzig im Juli 1989: Niemals nur Opposition, aber auch nicht einfach Staatsstütze. Endig/Picture-Alliance

Halle (Saale) - Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hat sich mit einem öffentlichen Bußruf zu ihrer DDR-Vergangenheit erklärt. Unter den Stichworten „Irrwege, Unrecht, Verrat und Versagen“ bezieht die Kirche selbstkritisch Position zu ihrem Handeln. Der hallesche Kirchenhistoriker Friedemann Stengel gehört dem „Beirat Versöhnung und Aufarbeitung“ der EKM an, der das Bußwort inhaltlich vorbereitet hatte. Mit Friedemann Stengel sprach unser Redakteur Christian Eger.

Herr Stengel, wie fiel das Echo auf den Bußruf aus?

Friedemann Stengel: Ambivalent. Man ist, und das war erwartbar, gespalten. Es gibt viele, die sagen: A, wir haben ja widerstanden. B, wir haben uns auch im Umgang mit Mitarbeitern nichts zuschulden kommen lassen. Oder C, wir sind selber Opfer gewesen. Also warum sollen wir so etwas verabschieden? Viele haben gesagt: na endlich!

Die Heterogenität der ostdeutschen Kirchen wird in diesem Bußruf natürlich nicht vollständig abgebildet. Andererseits gehören jene, mit denen schuldhaft umgegangen worden ist, zu uns, etliche waren die kritischen Schaltstellen in unseren Kirchen. Wenn ich mich hinter den Bußruf stelle, identifiziere ich mich auf diese Weise mit Kirche. Ohne eine einseitige Helden- oder Opfergeschichte festzuschreiben. Es geht auch darum, die Differenziertheit der Kirche vor 1989 sichtbar werden zu lassen.

Es brauchte 28 Jahre, um dieses Statement zu formulieren. Eine Generation. Warum?

Auch wegen dieser Heterogenität. Und weil in den 1990er Jahren die ehemaligen Kirchenleitungen von westdeutschen Kirchenhistorikern und DDR-Oppositionellen massiv angegriffen worden waren wegen Mitläuferei und Mittäterei. Das hat als Gegenreaktion zu einem lang anhaltenden Reflex geführt, der schon gegenüber dem SED-Staat antrainiert war: Selbstverteidigung.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, erklärte, die evangelische Kirche sei kein Hort der Opposition gewesen. Vielmehr habe sie als Institution „den Staat gestützt“. Stimmt das?

Das kann man so nicht stehen lassen. Es ist verständlich im Hinblick auf die harten persönlichen Erfahrungen von Roland Jahn in Jena. Es entspricht aber nicht der heterogenen Gestalt von Kirche. Die ist niemals nur Opposition gewesen, war aber auch nicht einfach Staatsstütze. Es gab zwei Punkte, an denen der Staat Halt machen musste: Das war die einzelne Persönlichkeit - und die Kirche. In beiden Fällen waren diese Grenzen in der DDR osmotisch gemacht worden. Es gelang dem Staat, seinen Einfluss geltend zu machen.

Die EKM beklagt, sich zu wenig vor die Menschen gestellt zu haben, die unter den DDR-Verhältnissen gelitten haben. Das meint nicht nur die Christen. Hatte die Kirche in der DDR eine gesellschaftliche Stellvertreterposition?

Die hatte sie als Kirche dort, wo sie sich eingesetzt hat für andere nicht im Sinne der Selbsterhaltung, sondern für diejenigen, die in der Diktatur an den Rand gedrängt oder entmündigt worden sind. Hier hat sie als „Kirche für andere“, so hieß das Konzept, viel getan, aber nicht durchweg.

Es ist im Blick auf die „Verflochtenheit“ von Staat und Kirche die Rede davon, Schuld „bis heute nicht“ zu bekennen. Welche Schuld?

Jene, die darin liegt, sich an verschiedenen Stellen mit diesem System stärker arrangiert zu haben, als es das Gewissen erlaubt hätte. Weggeschaut zu haben, wenn Menschen bei ihren Freiheits- und Religionsrechten benachteiligt oder ausgegrenzt worden sind. Die Schuld, das Thema Ausreise tabuisiert zu haben. Wenn auch aus völlig anderen Gründen, wurde das Ausreise-Tabu des Staates mitvollzogen.

Was hatte die Kirche für ein Problem mit der Ausreise?

Es gehörte zur Theologie, dass Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter als Hirten ihrer Gemeinden diese auch in Notsituationen nicht zu verlassen haben.

Welche Gründe hatten Pfarrer, die DDR zu verlassen?

In den meisten Fällen war es politische Bedrückung. Oft sind Pfarrer gegangen, weil ihren Kindern der Zugang zur erweiterten Bildung verweigert worden war. Jeder Fall wurde von einer Kommission geprüft. Bei einer legalen Ausreise wurde entschieden, ob der Betroffene im Westen als Pfarrer weiterarbeiten kann oder nicht. In der Mehrzahl der Fälle wurden die Ordinationsrechte für zwei Jahre entzogen.

Eine Strafe.

Ja, für das Verlassen der Gemeinde. Erst nach dieser Zeit bekamen die ihre Urkunden wieder, manche gingen ganz aus dem kirchlichen Dienst. Die Westkirchen haben in der Regel die Entscheidungen der Ostkirchen übernommen und diese Pfarrer nicht amtieren lassen.

Wie sähe in solchen Fällen eine Versöhnung aus?

Es geht nicht zuerst um Versöhnung, sondern um Anerkennung. Das kann auch Rehabilitation sein. Und Würdigung. Es geht darum, die Fälle zu benennen, auch in ihrer Widersprüchlichkeit. Es wäre allzu leichtfertig, sich gleich in die Arme fallen zu wollen.

Im Bußwort heißt es, dass man in dem Umstand, dem SED-Staat nicht kompromissloser entgegengetreten zu sein, auch ein „geistliches Versagen“ entdecke. Worin besteht das?

Geistliches Versagen wäre es, wenn Kirche das Interesse am institutionellen Überleben über das Recht und die Unversehrtheit einzelner Christen stellt. Wo die Nachfolge Jesu es gebieten würde, in strikter Solidarität bis zum Schluss an der Seite der Bedrängten zu bleiben und gerade nicht der staatlichen Forderung der Entsolidarisierung zu entsprechen.

Was fehlt heute in Sachen Aufarbeitung in der Kirche?

Es geht nicht mehr nur darum, zu zeigen, wie heterogen und komplex kirchenleitendes Handeln in der DDR gelaufen ist. Es geht darum, auf die einzelnen Fälle zu schauen, ohne Wenn und Aber.

Geht es auch um Geld?

In einigen Fällen wird es auch darum gehen. Verweigerte Pensionszahlungen, entzogene Berufsmöglichkeiten. Das ist auf den finanziellen Prüfstand zu stellen. Den Meisten dürfte die Anerkennung geschehenen Unrechts wichtiger sein.

Das Bußwort hat die EKM gesprochen. Müssten die anderen ostdeutschen evangelischen Kirchen nachziehen?

Das ist ihre Entscheidung. Aber ich sehe keine Kirche, die nicht ähnliche Punkte zu beklagen hätte. Auch die Westkirchen wären klar an der Reihe. (mz)