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Bülent Ceylan Bülent Ceylan: «Ich bin der Komiker»

22.07.2012, 13:15
Bülent Ceylan.
Bülent Ceylan. Archiv Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Er kommt auf uns zu, wie man ihn aus seinen Bühnen-Shows kennt: Ganz in schwarz gekleidet, die lange Heavy-Metal-Mähne zum Zopf gebunden, sanfter Händedruck. "Guten Tag, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben", sagt Bülent Ceylan in leichtem Singsang. Irgendwie wartet man nach dieser höflichen Eröffnung instinktiv auf den ersten Gag. Am besten in jenem ganz breiten Kurpfälzer Dialekt vorgetragen, mit dem der 36-jährige Mannheimer inzwischen die größten Hallen bespaßt. Aber der Gag kommt nicht. "Es reicht oft schon, dass ich Monnheimerisch spreche, und die Zuschauer gehen überall ab wie Schmidts Katze", sagt Ceylan. Der Deutsch-Türke ist inzwischen die lustigste Integrations-Ikone der Republik, er mokiert sich über krawallige Türken, rassistische Deutsche, phlegmatische Mannheimer oder Heavy Metal-Fans. In Frankfurt präsentierte er sein Programm erstmals in einem Fußballstadion, der Frankfurter Commerzbank-Arena. Jeder Besucher bekam am Eingang eine Autogramm-Karte überreicht - 42 000 Stück hat Ceylan dafür signiert. "Eigentlich eine kranke Idee, die mich Monate beschäftigt hat", lacht er.

Das Gespräch führten Grete Götze und Martin Scholz.

Herr Ceylan, was würden Sie sagen, wenn Dieter Hallervorden morgen ankündigte, er wolle im Berliner Olympiastadion auftreten?

Ceylan: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen: Komiker in Fußballstadien - das kann doch nicht gutgehen. Und ich gebe zu: Daran muss man sich erst noch gewöhnen.

Man kann das auch einen Paradigmenwechsel Ihrer Zunft nennen. Wenn Sie vor mehr als 40.000 Zuschauern auftreten, gibt es Menschen, die sich fragen, was ein Stand Up-Comedian in einem Stadion verloren hat.

Ceylan: Das ist auch für mich immer noch kurios, ich darf darüber gar nicht so viel nachdenken, sonst wirst Du ja verrückt. Außer Mario Barth und mir hat das ja noch kein Komiker gemacht. Damit möchte ich zwar nicht angeben, aber ich mache es jetzt doch, weil ich sehr stolz darauf bin.

Warum sehen sich so viele Menschen einen Komiker vor so einer riesigen Kulisse an?

Ceylan: Dass ich so erfolgreich bin, könnte daran liegen, dass ich seit Jahren einen sehr engen Kontakt zu meinen Fans habe. Seit ich auf der Bühne bin, gehe ich nach jeder Show raus zu den Leuten, auch nach Auftritten in Zehntausender-Hallen. Ich stehe inzwischen bei jeder Autogrammstunde länger da draußen, als auf der Bühne. Das verbindet. Davon mal abgesehen sind Komiker in Deutschland die neuen Rockstars. Comedy ist in Deutschland ein Phänomen, das ist keine Kleinkunst mehr.

Sie machen jetzt also Großkunst?

Ceylan: Nein, aber Kleinkunst klingt so abwertend, finden Sie nicht?

Sie haben ja Erfahrung mit Auftritten vor großen Menschenmassen: Im vergangenen Jahr durften Sie beim legendären Heavy Metal-Festival in Wacken Ihre Sketche darbieten - vor 80 000 Zuschauern. Was haben Sie da gelernt, das sie vorher nicht kannten?

Ceylan: Da wurde ja zum ersten Mal in der Geschichte dieses Festivals ein Komiker eingeladen, und zwar, nachdem die Tickets schon verkauft waren. Ich wusste also: Die Leute sind nicht wegen mir da. Ich habe mein Herz noch nie so laut schlagen hören wie kurz vor dem Wacken-Auftritt. Ich hatte Angst, dass sie mich ausbuhen. Bis ich die Rufe hörte: "Wir wollen den Türken sehen." Da wusste ich, das wird gut. Ich bin dann in einem Schlauchboot auf die Leute drauf, quasi übers das Publikum geschwommen. Das war so wahnsinnig, ich konnte meinen Text teilweise gar nicht zu Ende sprechen. Diese Erfahrung, dass sich dir 80 000 Leute total hingeben, dieses Abheben, habe ich einfach nur genossen. Dass ich mich auf so einem Festival mit Rocklegenden wie Ozzy Osbourne messen konnte, war schon toll.

Haben Sie mit Osbourne darum gewettet, wer von Ihnen das Publikum am meisten zum Lachen bringt?

Ceylan: Nein. Ich habe mich ihm vorgestellt mit den Worten: "Ich bin der Komiker", darauf sagte er nur: "Me too - ich auch."

In Wacken haben Sie sich weit vorgewagt und auch über Hitler lustig gemacht . . .

Ceylan: Für meine Hitler-Parodie ist es hilfreich, dass ich Türke bin. Man sagt ja auch, ein deutscher Comedian sollte sich nicht über Türken lustig machen. Das sollte lieber ein Türke übernehmen.

Warum dürfen sich deutsche Komiker eigentlich nicht so wie Sie über die Türken oder auch über Hitler lustig machen?

Ceylan: Weil es zum einen einfacher ist, sich über sich selbst lustig zu machen. Wenn ich mich selbst Kanake nenne, können und dürfen die deutschen Zuschauer darüber lachen. Wenn ein deutscher Komiker das sagt, setzt er sich immer dem Verdacht aus, es könnte rassistisch gemeint sein. Und wenn jemand wie ich sich über Hitler lustig macht, wissen die Leute: Der ist Türke, der kann kein Nazi sein. Wenn ein Deutscher das machen würde, kommen gleich ganz andere Fragen hoch: Meint der das ernst?

Sie können sich als Deutsch-Türke über die Deutschen lustig machen, über die Türken, die Metal-Fans und Hitler und auch mal über den Rassisten von nebenan. Sie genießen nahezu grenzenlose Narrenfreiheit. Wie gehen Sie damit um?

Ceylan: In einer Show habe ich mal einen Behinderten-Werbespot laufen lassen, um zu zeigen, dass alle gleich sind. Darin läuft ein Teddybär durch die Stadt, alle Leute umarmen ihn. Am Ende nimmt er seinen Teddybär-Kopf ab, und ein Mensch mit Down Syndrom kommt zum Vorschein. Die Message ist: Müssen wir uns erst verkleiden, um einander näher zu kommen? Das hat mit Comedy gar nichts zu tun, aber ich kann meine Show dafür nutzen, ohne dass das lächerlich wirkt. Es gab viel positives Feedback dazu. Ich bin stolz darauf, dass die Menschen mich als Komiker akzeptieren, es aber genauso schätzen, wenn ich ein ernsthaftes Anliegen habe. Tragik und Komik gehören für mich zusammen. Das sieht man auch beim französischen Kinohit "Ziemlich beste Freunde". Ich hätte große Lust, mal etwas Vergleichbares in einem deutschen Kinofilm zu machen, das Tragische mit dem Komischen verbinden. In Deutschland gibt es ja entweder nur den Blödelfilm oder den ganz ernsthaften.

Gibt es auch Momente, in denen Sie Skrupel haben, Ihre türkische Identität mit Spott zu überziehen?

Ceylan: Klar. Es ist mir zu heikel, über Mohammed, die Kopftuchdebatte oder die türkische Flagge Witze zu machen. Man könnte mir jetzt natürlich vorwerfen, dass ich ein Schisser bin. Man könnte aber auch sagen, dass die Zeit noch nicht reif dafür ist. Man könnte sagen, dass diese Zurückhaltung ein verantwortungsvoller Umgang mit meiner Familie und meinen Mitmenschen ist. Über Kranke und Behinderte mache ich mich auch nicht lustig. Wobei mich inzwischen viele Behinderte fragen, warum ich das nicht mache. Sie empfinden nämlich gerade diese Zurückhaltung als Diskriminierung. Aber oft leiden ja auch deren Eltern darunter, wenn ich sowas mache. Etwas anderes ist es, wenn sich ein Behinderter über sich selbst lustig macht. In den USA gibt es einen Komiker, der kommt auf die Bühne und sagt: Scheiße, ich wollte immer Basketball-Spieler werden, aber ich bin einfach zu klein. Dabei sieht jeder Zuschauer, dass er keine Arme hat. Er darf das machen, und die Zuschauer liegen auf dem Boden vor Lachen.

Dieser Logik folgend, müssten Sie sich doch auch über Moslems mokieren dürfen, oder?

Ceylan: Ich bin ja nicht mal Moslem. Ich glaube an Gott, aber ich gehöre keiner Religion an. Mein türkischer Vater, der 1958 nach Deutschland kam, ist Moslem, meine Mutter katholisch. Sie meinten damals, dass ich mich selbst für eine Religion entscheiden soll, wenn ich erwachsen bin. Sehen Sie, wenn ich über den Papst Witze mache, lachen die Leute, obwohl es auch welche gibt, die das unverschämt finden. Aber der Deutsche regt sich auf, und das war's. In muslimischen Ländern regen sich die Menschen oft eben nicht nur auf. Es gibt auch Fanatiker, bei denen mehr passiert. Und da frage ich mich, ob diese Reaktionen ein paar Witze wirklich wert sind. Nur weil Deutschland in puncto Toleranz ganz weit vorne ist, ist es doch arrogant zu meinen, alle anderen Kulturen müssten auch so weit sein.

Sie haben auch Drohbriefe von Muslimen erhalten, die Ihnen vorwarfen, Sie würden sich über die Kultur Ihres Vaters lustig machen. Was macht das mit Ihnen?

Ceylan: Veränderungen müssen von den Menschen selbst kommen, das können Sie nicht von Komikern erwarten. Viele Kabarettisten denken ja, ihre Äußerungen würden die Welt verändern. Ich denke, man muss die Leute anders überzeugen. Einen Scherz wie "Oh, viele Libanesen hier heute, dann haben wir ja Bombenstimmung" mache ich auch schon mal. Aber das muss man verpacken, den richtigen Moment abwarten - dann lachen auch die Libanesen. Manchmal sitzen auch Frauen mit Kopftuch im Publikum. Die lachen oft über die versautesten Sachen. Und dann sind es die Deutschen, die die Welt nicht mehr verstehen, weil sie sich nicht erklären können, dass Frauen mit Kopftüchern über schmutzige Witze lachen. Manchmal sage ich auch laut, was die Leute vielleicht gedacht haben. Nur, wenn ich die Leute dazu bringe, über sich selbst zu lachen, kommen sich unterschiedliche Kulturen näher.

Winfried Kretschmann hat Ihnen kürzlich den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg verliehen. Was bedeutet Ihnen das?

Ceylan: Meine Eltern sind darauf unglaublich stolz. Dass ein Deutsch-Türke mit 36 einen Verdienst-Orden vom Land kriegt, ist schon eine Ehre. Es ist eine Motivation für mich so weiterzumachen. Auch für andere Jugendliche mit Migrationshintergrund ist das ein Anreiz. Die sehen mich und sehen, dass man es auch mit einem "Migränehintergrund", wie ich immer sage, schaffen kann. Wenn ich da neben Kretschmann stehe, bin ich kein Komiker mehr, sondern Integrationsbotschafter.

Welchen Pass haben Sie?

Ceylan: Einen deutschen, schon immer. Ich fühle mich trotzdem verantwortlich für die Türken. Neulich habe ich mich mal mit einem türkischen Taxifahrer über die Jugend und den Zustand des Landes unterhalten. Er hat gesagt: "Sie können zwar kein türkisch, sind aber mehr Türke als ich. Was Sie alles machen für die Türken."

Dieses Interview erscheint in einer Reihe, in der vor wenigen Wochen auch Thilo Sarrazin befragt wurde, ob er aus der Debatte zu seinen umstrittenen Thesen über die mangelnde Integrationsbereitschaft muslimischer Zuwanderer etwas gelernt habe . . .

Ceylan: Das ist ein schlimmer Mann. Was hat er geantwortet?

Im Prinzip nur, dass er Recht und alle anderen Unrecht haben.

Ceylan: Sarrazin redet nur Bullshit, und das können Sie genauso drucken. Ich habe mich lange gefragt, ob ich zu seinen Äußerungen überhaupt Position beziehen soll.

Warum?

Ceylan: Ich wollte ihm nicht noch mehr Aufmerksamkeit geben, von der er ohnehin schon zu viel hatte. Aber als ich merkte, wie sehr in Deutschland lebende und aufgewachsene Türken von seinen Diffamierungen getroffen waren, habe ich meine Zurückhaltung abgelegt. Sarrazin hat vieles kaputt gemacht, und ich muss es jetzt wieder aufbauen.

Wie sieht diese Aufbauarbeit aus?

Ceylan: Ich bringe Deutsche, Türken, wen auch immer zum Lachen und zeige, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund ganz nett sind. Dass man auch als Türke sympathisch sein und etwas im Kopf haben kann. Dass man den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant kennt, der besagt, dass man die Menschen so behandeln soll, wie man selbst gerne behandelt werden würde.

Das regt Sie auf. Ist bei Sarrazin für Sie Schluss mit lustig?

Ceylan: Nein. In meinem aktuellen Programm baue ich ab und zu ein paar Seitenhiebe auf ihn ein. Wenn einer von mangelnder Intelligenz und Integrationsfähigkeit muslimischer Zuwanderer spricht und das auf deren Gene zurückführt, hat er es verdient, dass ich ihn mir vornehme. Aber wenn ich hingehe und Sarrazin in die Fresse haue, heißt es ja wieder: "Jaha, so sind sie eben, die Türken." Am besten wäre es, ihn zu ignorieren.

Es sieht nicht danach aus: Zurzeit wettert er gegen den Euro, sitzt in Talk-Shows, ziert die Titelseiten.

Ceylan: Im Grunde müssten ihn alle Medien, selbst sein Buch-Verlag, ignorieren. Das wäre ein gutes Deutschland, wenn alle sagten: Scheiß auf die Kohle, von diesem Menschen wollen wir nichts wissen. Und wo wir gerade über heikle Themen sprechen: Ich finde im Übrigen auch, dass man die NPD verbieten sollte.

Eine ewige Debatte. Würde Rassismus dann nicht in anderer Form fortbestehen?

Ceylan: Vielleicht. Mir geht es um etwas Anderes, Grundsätzliches: Die NPD wird ja auch mit öffentlichen Geldern gefördert. Auch wenn nur ein einziger Cent von meinen Steuern an die NPD geht, ist das schon zu viel. Dann wird diese Partei ja von Türken unterstützt.