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Opfer und Täter? Berliner Zeitung: Holger Friedrich war IM der Stasi - Neue Eigentümer unter Druck

Von Christian Eger 21.11.2019, 08:18
Neue Eigentümer der Berliner Zeitung: Holger und Silke Friedrich.
Neue Eigentümer der Berliner Zeitung: Holger und Silke Friedrich. dpa

Halle (Saale) - Es hatte so schön sein sollen: Zwei Ostdeutsche, die nach 1989 zu Millionären geworden waren, erwerben eine namhafte Zeitung. Das war eigentlich nicht vorgesehen. Die Branche staunte. Von neuer Bürgerlichkeit war die Rede, neuer Normalität, dem Osten als Avantgarde. Es hatte etwas Magisches. Holger und Silke Friedrich schienen selbst daran zu glauben. Im September hatte das Berliner IT-Unternehmerpaar den Berliner Verlag der DuMont-Mediengruppe abgekauft, zu der die Mitteldeutsche Zeitung gehört. Allerdings sah man das Pärchen immer öfter in der eigenen Zeitung.

Die Friedrichs dankten Egon Krenz in einer „Berliner Botschaft“ dafür, dass er mit der angeblichen „persönlichen Entscheidung“, 1989 keine Schusswaffen gegen die DDR-Bevölkerung einzusetzen, „Millionen Menschen selbstbestimmte, positive Lebenswege ermöglicht“ habe, „die uns unter anderem diesen Text in dieser Zeitung veröffentlichen lassen.“

Kürzlich wurde auf der ersten Seite der Berliner Zeitung eine Firma gewürdigt, an der das Verlegerpaar Anteile hält, ohne das zu erwähnen. Konnte man das Krenz-Lob noch als Privat-Grille abtun, die freilich von einem zweiseitigen unkritischen Krenz-Interview bestätigt wurde, war es mit der Lesertäuschung schwieriger. Man sah das und fragte: Was ist da los?

Holger Friedrich war als IM für Stasi tätig

Es war nur ein Moment. Am Donnerstag schlug die von der „Welt am Sonntag“ verbreitete Nachricht ein, dass der 1966 geborene Holger Friedrich während seines dreijährigen NVA-Dienstes von 1987 bis 1989 als Inoffizieller Mitarbeiter „Peter Bernstein“ für die Stasi gespitzelt haben soll, was dieser am Sonnabend in der Berliner Zeitung bestätigte. Allerdings habe er damit einer Bedrohung mit einer mehrjährigen Haftstrafe ausweichen wollen. Zu diesem Vorgang gibt es eine Opfer-Akte, die nur Friedrich einsehen darf. Was heißt, wir wissen noch nicht, was los war. Zurückhaltung ist geboten.

Hingegen die Tatsache, dass Friedrich bis zuletzt Mitglied der SED war, wird nur am Rande vermerkt. Er bietet in jeder Hinsicht die volle Packung. Und das, ohne die Redaktion vorher ins Bild gesetzt zu haben. Eine Redaktion, die einen Ehrenrat gründen musste, um eigene Stasifälle öffentlich zu klären. Schwer fassbar ist Friedrichs Schweigen. Und wenig verantwortlich in einem Blatt, das ums Überleben ringt.

Am Montagabend meldete die Berliner Zeitung, dass sie die Stasi-Mitarbeit ihres Eigentümers „aufarbeiten“ will. Dazu wurde ein fünfköpfiges Reporterteam gebildet, das von der früheren Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, und dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk beraten werden soll. Für die Zeitung ist es Notwehr.

Friedrich kann „wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst beurteilen kann, was richtig oder falsch war“

Das alles könnte man auch auf sich beruhen lassen. Die Berliner Zeitung ist schließlich nicht die „Zeitung für Deutschland“. Auch nicht für „Ostdeutschland“. Das aber erscheint hier wieder als Karikatur: Der Ostler ist entweder schlicht oder Stasi. Zu sagen hat er in eigener Sache nichts.

Der von Friedrich als Herausgeber angeheuerte Österreicher Michael Maier - der offenbar nicht wissen wollte, wem er seine Dienste anbot -, sprach von einem „verstörenden Vorgang“. Davon, dass Friedrich „wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst beurteilen kann, was richtig oder falsch war“. Was heißen soll: niemand. Da schlug wieder die Stunde, in der alle Katzen grau sind.

Seit Jahren hat man den Eindruck, im falschen Film zu sitzen. Es ist immer dasselbe. Konnte doch niemand wissen damals! Doch: Jeder wusste, was er tat, deshalb tat er es ja. Man traf in der Diktatur DDR seit früher Jugend Entscheidungen am laufenden Meter. Die einen trieb es an den Rand, die anderen in die Karrieren.

Die Entscheidungen von damals haben ihre Wirkungen bis heute. Ist den Akten überhaupt zu trauen? Ja, so viel und so wenig wie jeder historischen Quelle. Was heißt, jede Akte ist kritisch zu lesen mit Wissen und Erfahrung. Der Fall Friedrich zeigt aber einmal mehr, wie rasant das öffentliche DDR-Wissen am Verschwinden ist, befördert durch jene, die es nicht genau wissen wollen. Nichtwissen ist Macht.

Dass eine Zeitung gegen ihren Eigentümer ermittelt, das gab es noch nie. Mit welchem Ergebnis, das bleibt abzuwarten. Der Historiker Götz Aly hofft, dass der Fall Friedrich in seiner „offenkundigen Spannung zwischen Opfer/Täter und anderen Opfern“ einen „hohen und differenzierten Erkenntnisgewinn bringen kann“. Täter und „andere Opfer“?

„Die Geschichte ist die einzige Zeitform, die nicht vergeht“, sagte kürzlich der Schriftsteller Christoph Hein im „Neuen Deutschland“: „Die Zukunft vergeht, wird irgendwann Gegenwart, die Gegenwart vergeht, wird irgendwann Vergangenheit. Nur die Vergangenheit vergeht nicht. Man kann sie nicht nachträglich ändern, sie ist in Stein gemeißelt für alle Ewigkeit.“ Wie der Berliner Fall zeigt, muss man über den Stein erst einmal stolpern, bevor man dessen Inschrift liest. (mz)