Astrid Lindgren Astrid Lindgren: Vor 100 Jahren wurde Pippis «Mutter» geboren

Stockholm/Vimmerby/dpa. - 1945,beim Erscheinen ihres ersten Kinderbuchklassikers «PippiLangstrumpf», war die Schwedin schon fast 40 Jahre alt und hattebittere Erfahrungen als alleinstehende Mutter hinter sich. Doch die änderten an ihrem fröhlichen Selbstverständnis ebenso wenig wie die Rolle als berühmteste Kinderbucherautorin der Welt. Am 14. November wäre Astrid Lindgren 100 Jahre alt geworden.
«Ich träume und fantasiere jetzt noch mehr vor mich hin, jedenAbend, bevor ich einschlafe, und spiele in kindlichen Geschichten immer dieselbe Hauptrolle», erzählte Lindgren als alte Frau ihrer Biografin Margareta Strömstedt. Und ergänzte kokettierend, sie finde es «ja doch ein bisschen peinlich, so kindlich zu sein». Das finden die Leser von bislang mehr als 150 Millionen Lindgren-Büchern in 94 Sprachen überhaupt nicht: Pippi, die «Kinder aus Bullerbü», «Karlsson auf dem Dach», «Ronja Räubertochter» und andere Titelhelden sindbeliebt wie eh und je.
«Astrid war eine total unneurotische Person. Zu ihrem Geniegehörte aber auch, dass sie immer unheimlich hart gearbeitet hat», sagt Strömstedt über ihre 20-jährige Freundschaft mit der Autorin. Als sie zum ersten Mal über Lindgren schrieb, war die größte Tragödie im Leben der schon weltberühmten Schriftstellerin noch ein streng gehütetes Geheimnis: 1926 wurde die gerade 19-jährige Astrid voneinem wesentlich älteren Mann schwanger, brachte ihren Sohn Lasseheimlich in Kopenhagen zur Welt und ließ ihn dort die ersten dreiJahre seines Lebens bei Pflegeeltern.
Ihre verzweifelte Einfühlung in den kleinen, verlassenen Sohn seifür Lindgren eine genauso wichtige Schreib-Inspiration geworden wiedie eigene glückliche Kindheit in Vimmerby, meint Strömstedt.«Deshalb sind ihre Bücher voll von starken Mädchen und von Jungen,die Trost brauchen.»
Lena Törnqvist sichtet und ordnet in der Königlichen Bibliothekvon Stockholm 75 000 Briefe von Lesern aus aller Welt an Lindgrensberühmt gewordene Stockholmer Adresse Dalagatan 46: «Es istunglaublich, wie zum Beispiel ein chinesischer Zöllner ihr aufEnglisch schreibt, dass er beim Vorlesen von Pippi ein neuesVerständnis von Kindererziehung gefunden hat.»
Törnqvist ist ein bisschen verwundert, dass der 100. Geburtstag inSchweden zwar aufwendig, aber «irgendwie überhaupt nicht gemeinsam»gefeiert wird. Für den 100. Todestag des Dramatikers Henrik Ibsen(1828-1906) zum Beispiel habe der Staat ein Zigfaches an Geldbereitgestellt. «Es liegt wohl daran, dass Astrid irgendwie nochlebt.»
Dieses Gefühl vermittelte im Sommer auch eine Ausstellung imStockholmer Kulturhaus mit vielen bisher unbekannten Fotos aus demPrivatleben Astrid Lindgrens. Hier war die Autorin unter anderem alsselbstbewusst und entschlossen wirkende junge Frau zu sehen. «Siewirkt zugleich asexuell und bisexuell», sagt ihre BiografinStrömstedt. Lindgren habe sich für ihr Leben wie auch in ihrenBüchern für eine totale Ausklammerung von Sexualität entschieden.
In Lindgrens Geburtsort Vimmerby, gut 300 Kilometer südlich vonStockholm, wurde die Schriftstellerin nach ihrem Tod am 28. Januar2002 neben ihren Eltern begraben. Ein paar Kilometer weiter sind indiesem Sommer mehr als 400 000 Besucher und damit so viele wie niezuvor zu «Astrids Welt» gepilgert, dem Vergnügungspark mit allenFiguren und Pippis legendärer «Villa Kunterbunt». «Klar, da spielteder 100. Geburtstag wohl die größte Rolle», sagt Verkaufschef NilsMagnus Ahlerup.
Zum runden Geburtstag hat sich in Interviews auch LindgrensTochter Karin Nyman zu Wort gemeldet. Die heute 73-Jährige hatte alskleines Kind den Namen Pippi Langstrumpf erfunden und gab mit demDrängen nach immer neuen Geschichten über das fröhlich revoltierendeSuper-Mädchen den Ausschlag für das Entstehen des Buches. Dem «Focus»sagte Nyman: «Mutter sprach nie über ihre Probleme, um uns nicht zubelasten. Es wäre sicher besser gewesen, wenn wir öfter gewussthätten, welche Sorgen sie mit sich herumträgt.»