Annisokay auf US-Tour Annisokay auf US-Tour: Hallesche Band auf dem Highway in den Rock-Himmel
Halle (Saale) - Nichts klappt wie geplant, das ist gleich nach der Ankunft in Pittsburgh klar: Der fest gebuchte Busfahrer meldet sich ab. Chris Wieczorek war eigentlich nicht verwundert. „Der Flug in die USA lief so glatt, es musste was kommen“, schwante dem Sänger der halleschen Rockband Annisokay schon vor dem Start zur bislang längsten und strapaziösesten USA-Tour, die je eine Band aus Ostdeutschland ins Herzland der Rockmusik geführt hat.
Ein Unternehmen über 31 Tage mit 28 Konzerten. „Das Angebot kam direkt von der US-Band I Set My Friends On Fire“, beschreibt Wieczorek. Die Gruppe aus Miami hatte die befreundeten Hallenser schon vor längerer Zeit eingeladen, sie auf eine Russland-Tour zu begleiten.
Rockband Annisokay: Auf ins Sehnsuchtsland aller Rockmusiker
„Und weil das nicht klappte, fragten sie nun, ob wir nicht Lust hätten, auf ihrer US-Tour dabei zu sein.“ Die wirkt auf jeden normalen USA-Touristen schon auf dem Papier einschüchternd: 28 Konzerte in 31 Tagen, dazu braucht es eine Rundfahrt durch Gottes eigenes Land, die einmal komplett von Küste zu Küste und von Grenze zu Grenze führt. 17.000 Kilometer Strecke. 500 Kilometer am Tag. Fünf Stunden Fahrt, im besten Fall.
„Wir haben direkt zugesagt“, schmunzelt Christoph Wieczorek, der bei Annisokay den engelsgleichen Teil der Gesangslinien übernimmt, während sein Kollege Dave Grunewald den sogenannten Shouter gibt, der grollende Verse und apokalyptisch klingende Schreie liefert. Amerika!
Ihren Namen haben sich die halleschen Schwermetaller Anniskoay von Michael Jackson geborgt: In dessen Hit „Smooth Criminal“ wird das Mädchen Annie eines Nachts überfallen, Jackson bangt „Annie, are you ok?“ Wäre doch schön, wenn es ihr gut ginge, sagten sich Gitarrist und Sänger Christoph Wieczorek und Bassist Norbert Rose, als sie vor elf Jahren eine Band gründeten, die deshalb den ungewöhnlichen Namen „Annisokay“ bekam.
Im Proberaum in der halleschen Hafenstraße wuchs das Hobbyprojekt mit dem Einstieg von Dave Grunewald (voc), Philipp Kretzschmar (git) und Nico Vaeen (dr) zu einer Band, die musikalisch keine Kompromisse macht.
Annisokay spielen beinharten Rock, der Metallica und Korn wie Balladensänger wirken lässt. Mit ihren Youtube-Videos erreichen die fünf Hallenser Millionen Zuschauer, mit zwei Alben landeten sie in den Verkaufscharts und zuletzt spielten sie mehrere ausverkaufte Konzerte als Headliner. Gestern erschien das neue Album „Arms“, mit dem die Band im Herbst auch auf Europa-Tour gehen wird. (mz)
Das Sehnsuchtsland aller Rockmusiker. „My Ticket to Reno“ hieß die allererste Annisokay-Single. Und Reno, eine Stadt in Nevada, die schon Johnny Cash und die Alternativrocker von REM besungen hatten, stand jetzt wirklich auf dem Tourplan.
„Überlegen mussten wir keine einzige Sekunde“, erinnert sich Christoph Wieczorek, „als wir die Band gründeten, war es doch der große Traum, einmal in den USA zu spielen.“ Fast alle musikalischen Vorbilder der Hallenser, die seit zehn Jahren zusammen spielen und inzwischen vier Alben gemacht haben, kommen aus den USA oder sind dort zu Rockstars geworden.
Seit den Zeiten der Beatles und der Stones hat sich nichts geändert. Amerika ist der Prüfstein, der Ort, an dem gewogen und gerichtet wird. Wer es dort schafft, ein Publikum zu finden, sich auf der Bühne zu behaupten und Fans zu begeistern, der hat alles richtig gemacht. „Aber für eine deutsche Band ist es viel schwerer, in den USA zu spielen, als für eine amerikanische Band, in Europa zu touren“, erzählt Trommler Nico Vaeen.
Annisokay aus Halle: 28 Shows in 31 Tagen
Allein um die Visa zu bekommen, brauchte es sechs Monate und einen riesigen logistischen und finanziellen Aufwand. „Die Dinger kamen dann genau zwei Tage, bevor unser Flug nach Pittsburgh ging“, sagt Wieczorek. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Hallenser die Einzelheiten der Tour schon geplant, aber eben nur, so gut es ging. „Um 28 Shows in 31 Tagen zu organisieren, sollte man sicher einen Monat haben“, sagt Wieczorek. Nur dass so viel Zeit nicht war. „Weil wir mit den Düsseldorfer Kollegen von Callejon auf Tour waren, unser neues Album eingespielt und zwei Musikvideos produziert haben, hatten wir nicht mehr als eine Woche Zeit.“
Vor Ort angekommen der Schock. „Wir bekamen die Nachricht, dass unser Fahrer abgesagt hat.“ Was überschaubar problematisch klingt, wird zu einer echten Bewährungsprobe. „Wir standen vor der Herausforderung, unseren gemieteten Bandbus aus Indianapolis abzuholen und zur ersten Show zu fahren.“ In Deutschland nicht angenehm, in den USA eine Reise von rund 1.500 Kilometern - etwa der Abstand zwischen Halle und dem Polarkreis.
Erst aus Pittsburgh nach Westen in Richtung Indianapolis, dann nach Norden bis Rochester im Bundesstaat New York. „Amerika ist halt einen Tick größer als Deutschland“, grient Wieczorek. Wie auch der Bandbus namens „Bandwagon“ sich bei der Abholung als Monsterversion des „großen Wohnmobils“ herausstellte, das Grunewald, Rose, Vaeen und Wieczorek angekündigt worden war. „Das ist ein zwölf Tonnen schwerer Truck mit Betten für neun Leute, plus Küche, Toilette und Dusche“, sagt Wieczorek. Man dürfe den Riesen mit einem PKW-Führerschein fahren, hieß es tröstend.
Was Drummer Nico Vaeen notgedrungen sofort versuchte. Mit Spaß und dem schnell wachsenden Wunsch, als Trucker in den USA zu bleiben. „In Deutschland undenkbar, so ein Gefährt ohne LKW- oder Bus-Führerschein zu fahren“, sagt der Schlagzeuger, „aber in Amerika ist halt alles größer.“
Trotz Tourstress bleibt Zeit für Highlights
In den USA auf Tour zu sein, das ist nach einigen Tagen wie Klassenfahrt. Wo Touristen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit eilen, haben die Musiker aus Halle die Möglichkeit, das Mutterland des Rock von allen Seiten kennenzulernen. „Von den Metropolen wie New York City, Atlanta, Dallas, Los Angeles bis zu unbekannten Städten wie Madison, Des Moines oder Ocala war alles unglaublich beeindruckend“, beschreibt Christoph Wieczorek.
Trotz sieben, acht oder auch mal elf Stunden Fahrt von einem Auftrittsort zum anderen bleibt Zeit für Highlights wie das Nasa-Spacecenter in Houston, einen Abstecher nach Hollywood und einen Besuch in Manhattan. Am Times Square, der Glitzermeile im Herzen New Yorks, wartet eine besondere Überraschung: Über einen der gigantischen Billboards an einem Hochhaus flimmert tatsächlich gerade ein Werbespot für „Arms“, das neue Annisokay-Album.
Die Straße in den Rock-Himmel, sie ist ein Highway wie im Film „Easy Rider“ mit Peter Fonda und „Zabriskie Point“ von Regie-Legende Michelangelo Antonioni. Das Firmament spannt sich über einem endlosen Asphaltband, über saftigen Weiden, dunklen Wäldern und Wüsten. Der Wind treibt gespenstische Tumbleweed-Disteln von links nach rechts.
US-Tour von Annisokay wird zum Abenteuer mit Hindernissen
Hier unterwegs zu sein, das ist ein Abenteuer mit Hindernissen. Einmal beginnt der Auspuff des Bandwagon so laut zu klappern, dass drinnen niemand mehr schlafen kann. Der amerikanische Tontechniker flickt das mit ein paar Handgriffen und Gaffa-Tape, der Geheimwaffe aller Bühnenprofis. „Die Ami-Methode ähnelt sehr der russischen“, tuscheln die Deutschen lachend. Vielleicht aus Rache fängt der Bandwagon nach der Show in LA nachts Feuer. Kabelbrand, Rauch, Flammen, Feuerlöschereinsatz. „Das ging zum Glück glimpflich aus, es stank danach nur mächtig“, beschreibt Bassmann Norbert Rose.
Mehr Pech hat die Vorband, die einen Teil der Tour mitfährt und den Gästen aus Europa zeigt, dass der Weg zum Rockruhm einen Preis haben kann. „Die sind tatsächlich in der Mitte des berühmt-berüchtigten Death Valley wegen Überhitzung mit einem Motorschaden liegengeblieben.“ Schlechte Karten, denn in jeder amerikanischen Fahrschule wird gelehrt, nur ja nicht anzuhalten, wenn Leute mit einer Panne am Straßenrand stehen - schließlich könnte es sich um eine Falle für einen Überfall handeln. „Wenn du dann bei 42 Grad im Schatten mitten im Nirgendwo und ohne Handyempfang festhängst, gute Nacht“, sagt Wiezcorek. Der Bandwagon von Annisokay rollt glücklicherweise eine halbe Stunde später vorüber. Die Rocker aus Sachsen-Anhalt bemerken die gestrandeten US-Kollegen und sammeln sie ein.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Nach knapp zwei Wochen sitzt der Tourrhythmus. Schlafen, fahren, gucken, spielen, fahren, schlafen, staunen, spielen. Die Klassenfahrt der Band, die ihre mal radikal heftige, mal streichelzarte Musik selbst „Metalcore“ nennt, ist ein langer Fluss, gefüllt mit unvergesslichen Eindrücken, Augenblicken und Begegnungen. Das amerikanische Publikum ist neugierig, oft begeistert, manchmal geradezu euphorisch. Dank Youtube, auf dem Annisokay-Videos in der Regel Millionen Klicks erreichen, singen Fans Lieder einer Band mit, deren einziger Ausflug in die Staaten bisher der Aufnahme eines Albums mit Kult-Produzent Joey Sturgis gegolten hatte.
Aber nicht überall ist Sonnenschein. Man komme an den Punkt, wo man auch mal aneinandergerate, weil man permanent aufeinanderhocke, sagt Christoph Wieczorek. Dann wird es laut, weil alle vergessen haben, den Wassertank für die Dusche neu zu füllen. Oder es hat sich jemand irgendwohin abgesetzt, ohne Bescheid zu sagen. „Es ist fast wie ein Sozial-Experiment“, sagt Christoph Wieczorek, „aber wir haben ja gewusst, worauf wir uns einlassen.“
Immerhin warten die Belohnungen überall, nicht nur abends auf der Bühne. „Wir waren im Atlantik und im Pazifik surfen, in Arizona kamen wir nachts in einen furchterregenden Sandsturm, in Salt Lake City haben wir den riesigen ausgetrockneten Salzsee besucht und im Black Forrest in Colorado ein Video gedreht“, erzählt Sänger Dave Grunewald, der im Konzert noch die größte Halle mit seiner enormen physischen Präsenz in Flammen setzt. Egal, ob die Halle brechend voll oder auch mal nicht so gut besucht ist, die Hallenser geben alles, spielen ihre Klassiker „Carry me away“ und „Blind lane“, aber auch „Unaware“ vom neuen Album „Arms“.
Amerika hat weit offene Arme für die Band aus Mitteldeutschland. „Das beste Konzert der Tour war das in Colorado Springs“, erzählt Dave Grunewald, „volles Haus, aber dank eines anderen Hauptacts auch ein völlig anderes, erwachseneres Publikum.“ Eine Bewährungsprobe, die die Deutschen offenbar bestanden. „Vom Publikum bekamen wir sogar mehr positives Feedback als von den I Set My Friends On Fire-Fans, die sonst stark vertreten waren.“
Dass der Auftritt in Lubbock, Texas, zu einem kleinen Desaster gerät, weil die Technik versagt und „wir eine gefühlte Endlosigkeit mit eloquenten Einlagen zu überbrücken hatten“, wie Wieczorek sagt, gehört zum Berufsrisiko. „Die Sprachbarriere kam uns vielleicht sogar entgegen“, glaubt der Sänger, Gitarrist und Komponist. Bassmann Norbert Rose bestätigt das. „Ein deutscher Akzent wird immer sehr sympathisch aufgenommen.“ Fremd habe er sich nie gefühlt, vielmehr eine „unglaublich herzliche Gastfreundlichkeit der Amerikaner und eine große Aufgeschlossenheit der Fans“ gespürt. „Wir haben unser Essen nicht selten von völlig fremden Leuten bezahlt bekommen, weil sie mitbekommen haben, dass wir eine deutsche Band sind“, staunt er.
Fans zeigen ihre Annisokay-Tattoos
Liebe auf den ersten Blick zwischen Band und Land. Zu jeder Show seien Fans gekommen, „die nur wegen uns viele Stunden Fahrt auf sich genommen hatten und jeden Text mitsingen konnten“, wie Rose sagt. Christoph Wieczorek denkt an die vielen Gespräche nach Auftritten, an Fans, die ihre Annisokay-Tattoos vorzeigten, an Schulterklopfen und an die Begeisterung, die die neuen Songs von „Arms“ auf Anhieb erzeugten.
„Eine extrem besondere Sache war das, ein unglaublich großer Meilenstein für uns als Band und ein Erlebnis, das wir alle nie vergessen werden.“ Eines Tages, so hoffen sie heute schon, geht es zurück „in dieses verrückte Land“. Erstmal aber steht die Europa-Tour zu „Arms“ mit Konzerten in Leipzig und Dresden an. Danach wird es schon wieder exotisch für Sachsen-Anhalts derzeit angesagteste Band: Im Dezember startet eine Tour durch Japan. (mz)
Direkt zur Band: www.annisokay.com
Live in Dresden am 30. Oktober / Scheune
Live in Leipzig am 17. November, Täubchental