Annett Louisan Annett Louisan: Neues Album "Berlin - Kapstadt - Prag" präsentiert Hits anderer Musiker und Bands

Die bratzigen Gitarren fehlen. Der brüllende Bass. Das nur aufs erste Ohr harmlose Pfeifen, das Rammsteins Song „Engel“ vor knapp zwei Jahrzehnten zu einem Riesenhit machte. Damals war die aus Halle stammende Christiane „Bobo“ Hebold Duett-Partnerin von Rammstein-Frontmann Till Lindemann in dem Lied, das Pathos, Strenge und Zärtlichkeit in eine Melodie goss. Jetzt hat sich eine andere Künstlerin aus Sachsen-Anhalt des Klassikers angenommen: Annett Louisan, aufgewachsen als Annett Päge im sachsen-anhaltischen Städtchen Havelberg, singt „Engel“ ganz allein. Und durchweg engelsgleich.
Die 38-Jährige, mit dem Hit „Das Spiel“ vor zwölf Jahren raketengleich in die erste Liga des deutschen Pop geschossen, versteckt die Untiefen des Heavy-Metal-Songs unter einer Oberfläche aus Spinett, Bass und Synthesizern. „Ich finde es genial, wie sie mit Klischees und Vorurteilen spielen“, lobt die kleine große Sängerin, die nur 35 Kilometer von Wittenberge groß wurde, wo Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe zu Hause war.
Fremde Kunst zum Konzept
Dass ihre Version des „Engel“ die Erwartungshaltung bricht, hier ein hymnisches, pathetisches Stück präsentiert zu bekommen, ist Louisans Art, mit dem Material zu spielen. „Berlin - Kapstadt - Prag“, das siebte Album der Wahlhamburgerin seit ihrem Debüt „Bohème“, macht die Anverwandlung fremder Kunst zum Konzept. Annett Louisan, im Studio von Tobias Kuhn an der Gitarre, Martin Kelly an der Ukulele, Schlagzeuger Sebastian Schmidt und Tastenmann Dave Anderson begleitet, singt Kraftwerk, den Rostocker Pop-Rapper Marteria und die Wiener Band Wanda, dazu Philipp Poisel und Ich & Ich - jedesmal aber klingt das Ergebnis mehr nach Annett Louisan als nach dem Ausgangsprodukt.
Ihr selbst ist das bei „Das Model“ von Kraftwerk aufgefallen. „Das ist vielleicht die Coverversion, die meinen eigenen Sachen am nächsten steht“, beschreibt sie. Was bei den Düsseldorfer Soundfitzlern ein kalter, elektronischer Beat aus Bits war, ist hier ein geflüsterter Bossanova. Die Band klingt transparent wie Stings Begleitkapelle, die Frontfrau schmeichelt und gurrt kätzchenhaft. Deutschlands beste Chanson-Sängerin, immer noch. Dass Louisan die männliche Perspektive des Originaltextes beibehält, sorgt gleichzeitig für dokumentarische Distanz und zusätzliche Spannung.
„Fast apokalyptisch kaputt“
„Berlin - Kapstadt - Prag“ ist mehr noch als alle anderen Alben von Annett Louisan ein leises Album. Manchmal klimpert nur eine akustische Gitarre, manchmal brummt der Kontrabass am lautesten. Marterias „OMG“ hat sie um alle Beats erleichtert, das ruppige Lied ist nun ein Gebet, ein Flehen oder - in Louisans eigenen Worten „fast apokalyptisch kaputt“.
Übersetzt auf ihre Annäherung an „Durch den Monsun“ ist das aber noch untertrieben. Vom seinerzeitigen ersten Hit ihrer Landsleute von Tokio Hotel, damals eine Teenieband mit einem minderjährigen Anhang, der mit gesungenen Klischees zu Kreischorkanen getrieben werden konnte, bleibt hier ein Skelett aus Bass, Klavier und computergenerierten Geräuschen, dessen „kindlichen Text“ (Louisan) die zur selben Zeit mit ähnlichem Erfolg in eine so ganz andere Karriere gestartete Künstlerin mit Kindchenstimme haucht. Manchmal klingt sie dabei fast wie Bill Kaulitz auf seinem aktuellen Album „Love Don’t Break Me“ - eine verletzliche, verletzte Person, die nach Liebe winselt.
Ist das ernst? Ist es Humor? Ein Spiel mit Klischees? Der Spaß am Singen von Lieblingsliedern? Alles. „Solang’ man Träume noch leben kann“ von der Münchner Freiheit und Udo Jürgens’ „Merci Chérie“ passen nicht ganz, ebnen aber den Weg zum finalen „Helden“ von Louisans größtem Helden David Bowie. „In meinem Geburtsjahr geschrieben“, sagt Annett Louisan, ehe sie den Klassiker mit viel Hall und noch mehr Herz zelebriert.
Annett Louisan live am 24. März 2017, 20 Uhr im Steintor-Varieté. (mz)