Milliardengrab Komplexlager 12 Milliardengrab Komplexlager 12: DDR-Geld verrottet einfach nicht
Halberstadt - Im Juni 2002 bot die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) dutzenden Journalisten aus ganz Deutschland eine ganz besondere Bildungsreise: Mit Reisebussen ging es in ein riesiges Stollensystem bei Halberstadt im Vorharz.
Dort, 50 Meter unter Erde, gelangten Reporter wie zuvor die Experten der KfW zur Erkenntnis, dass Karl Marx nicht kleinzukriegen ist. 119 Jahre nach seinem Tod flatterte der Begründer des theoretischen Kommunismus fröhlich durch die kühle, abgestandene Luft. Gleich dutzendfach rieselte das wohlbekannte, bärtige Konterfei von Baggerschaufeln. Karl Marx verrottet einfach nicht.
Wertlos seit 25 Jahren
Ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass die Mark der DDR wertlos wurde, und die Bilder von Thomas Müntzer, Käthe Kollwitz, Friedrich Engels oder eben Karl Marx auf den Geldscheinen nur noch blasse Erinnerung sind. Doch ausgerechnet bei ihrer Vernichtung erwies sich die butterweiche Währung als harter Brocken.
Einer, der Bankern, Kriminalisten und Numismatikern gleichermaßen Kopfzerbrechen bereitete. Seit der Jahrtausendwende tauchten immer wieder Scheine auf dem Sammlermarkt auf, denen eines gemeinsam ist - ein penetranter Geruch. Eine Mischung aus Moder und zunächst undefinierbaren Chemikalien. Experten wurde schnell klar, woher die Scheine stammen - aus den Stollen in den Thekenbergen südlich von Halberstadt. Dorthin waren im Spätsommer 1990 insgesamt 3.000 Tonnen Papier aus den Tresoren der DDR-Staatsbank geliefert worden. In einem verzweigten Stollensystem sollten neben 77 Milliarden Ostmark auch Tank- und Scheckbücher sowie hassgeliebte Forumschecks - Westmark-Ersatz für den Einkauf im Intershop - verrotten.
Das „Komplexlager 12“ ist Teil des Stollensystems unter den Thekenbergen bei Halberstadt im Vorharz. Von 1944 an mussten KZ-Häftlinge unter Lebensgefahr den Berg aushöhlen, weil die Nazis dort Flugzeugteile bauen wollten. Nach der Befreiung 1945 wurde das Areal zunächst „versiegelt“.
1975 begann die Nationale Volksarmee (NVA), etwa die Hälfte des mit einem Gleisanschluss versehenen Stollens auszubauen, der in Gänze rund 1300 Meter lang und 500 Meter breit ist. Das „Komplexlager 12“ gilt als das größte unterirdische Lager der DDR. Die andere Hälfte des Stollens ist bis heute weitgehend in dem ungesicherten Zustand von 1945. Dort gibt es eine Gedenkstätte.
Die NVA lagerte meist in rund hundert Meter langen Kammern Munition. Etwa 30 Kammern standen dafür zur Verfügung. Die Bruttolagerfläche betrug knapp vier Hektar, die Wege in dem ausgebauten Teil kommen in Summe auf eine Länge von gut sieben Kilometern. Gelagert wurde dort unter anderem Munition für Panzer, Geschosswerfer und Panzerfäuste sowie Minen und Granaten.
Die Anlage unter Tage war gut ausgestattet. Strom, Wasser, Heizung und Diesel reichten für drei Monate und rund 250 Menschen. Bis 1994 betrieb die Bundeswehr die Anlage, dann versuchten mehrere Eigner ihr Glück mit dem Gelände. Heute kümmert sich ein Insolvenzverwalter darum. Einige alte Gebäude über Tage sind vermietet, der Großteil zerfällt jedoch.
Buttersäure war über dem Geld vergossen und tonnenweise Sand und Kies darüber geschüttet worden. Hier, hinter meterdickem Beton tief im Innern eines Sandsteinmassivs, sollten die offiziellen Zahlungsmittel des untergegangenen Staates ihr Ende finden. Ein gewisser Zynismus wohnte der Aktion bei - denn die ersten Stollen in den Thekenbergen wurden von Zwangsarbeitern des KZ Langenstein-Zwieberge getrieben. Jeder Kubikmeter Gestein ein Toter, lautete die Rechnung der Nazis. Später nahm sich die Nationale Volksarmee (NVA) der Stollen an und baute sie auf eine Gesamtlänge von 13 Kilometern aus. Komplette Züge konnten hineinfahren und hinter tonnenschweren Stahltüren atomschlagsicher geparkt werden.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie zwei junger Männer auf den Stollen aufmerksam wurden und mit einem ausgedehnten Diebeszug für einen Preisverfall der D-Mark sorgten.
Dort, wo einst Waffen, Munition und allerlei sonst zum Krieg nützliches Gerät gelagert war, sollte nun die DDR-Mark ihre letzte Ruhe finden - und vermodern. Doch weder war die Ruhe endgültig, noch lösten sich die Scheine auf. Zu dieser Erkenntnis war die Halberstädter Kriminalpolizei am späten Nachmittag des 28. Juni 2001 gelangt.
Ein Donnerstag - für Münzsammler in Deutschland jedoch ein Schwarzer Freitag. Denn an diesem Tag wurde offiziell, was in Sammlerkreisen schon lange gemutmaßt wurde - dass irgendwo jemand immer wieder neue, alte Ostmark-Scheine auf den Markt warf. Darunter auch 200er- und 500er-Exemplare, die in der DDR nie offizielles Zahlungsmittel waren. Ein Päckchen mit allen Scheinen wurde einst von 200 bis 500 D-Mark gehandelt - heute gibt es sie für einen Bruchteil.
Schuld für den Preisverfall waren zwei junge Männer, die das Geld rucksäckeweise aus dem Stollen holten - nachdem sie sich über Lüftungsschächte abgeseilt und das Ostmark-Verlies aufgebohrt hatten. Nur ein gutes halbes Jahr nach der Festnahme der Diebe beschließt die KfW, „dem Mythos eines vergrabenen Schatzes“ zu beenden, wie eine Sprecherin damals sagte. Eine Million Euro lässt sich die Bank das kosten. Bergleute leeren die Schatzkammer und trennen die Kohle vom Kies.
Auch Euros werden verheizt
Knapp 300 Container voll DDR-Geld werden von April bis Ende Juni 2002 ins niedersächsische Buschhaus gefahren, wo sie in die Müllverbrennung wandern. Hier stellt die weiche Währung noch einmal ihre Zähigkeit unter Beweis: Wegen des enormen Heizwerts muss die DDR-Kohle mit normalem Müll gemischt werden, damit die Öfen unter der Hitze nicht leiden. Nicht viel anders verfährt im übrigen die Bundesbank heute: „Defekte oder schmutzige Scheine werden automatisch aussortiert und geschreddert“, sagte ein Sprecher. Die Schnipsel - ob D-Mark oder Euro - werden zu Briketts gepresst - und verfeuert. (mz)