ICE-Schnellfahrtrasse Berlin-München ICE-Schnellfahrtrasse Berlin-München: Blitzschnell durch den Wald
Große Projekte erfordern große Worte. Und so spricht Richard Lutz von einer „Weltpremiere“, von einem „Projekt von historischem Ausmaß“, von einem „historischen Fortschritt“. Der Vorstandschef der Deutschen Bahn AG gilt als nüchterner Zahlenmensch. Aber hier gerät selbst er ins Schwärmen.
Es geht, klar, um eine Bahnstrecke. Nicht um irgendeine, sondern um die für Tempo 300 ausgelegte ICE-Neubautrasse von Erfurt quer durch den Thüringer Wald in Richtung Nürnberg. Erst in einem halben Jahr geht sie in Betrieb. Am Freitag hat Bahnchef Lutz vier Dutzend Journalisten aus ganz Deutschland schon mal zum Test eingeladen, „Premierenfahrt“ nennt die Bahn das. Den dafür eingesetzten ICE haben sie extra beklebt, „Noch 177 Tage!“ ist da zu lesen und „Berlin-München unter 4 Stunden“.
ICE-Schnellfahrtrasse Berlin-München: Von Halle(Saale) nach München im Zweistunden-Takt
Die Botschaft ist Programm: Die Neubaustrecke, deren erster Abschnitt von Halle und Leipzig nach Erfurt Ende 2015 in Betrieb ging, soll Nord- und Süddeutschland enger zusammenrücken lassen – und Mitteldeutschland an das schnelle Schienennetz anschließen. Beispiel Halle: Im Dezember wird die Stadt nach zwei Jahren Pause wegen Bauarbeiten wieder direkten ICE-Anschluss im Zweistunden-Takt nach München, Nürnberg und Berlin erhalten. Hinzu kommen besonders schnelle ICE-Sprinter-Züge, die in die bayerische Landeshauptstadt nur zwei Stunden und 45 Minuten brauchen sollen, zwei Stunden weniger als heute. Schon jetzt ist die Fahrzeit von Halle nach Erfurt im ICE auf eine gute halbe Stunde geschrumpft.
Im Auto ist das nicht zu schaffen. Lutz ist davon überzeugt, dass die Bahn zwischen Berlin und München auch dem Luftverkehr Kunden abjagen kann: „Im Vergleich zum Flugzeug sind wir von City zu City die bessere Alternative“, sagt er. Die Zielmarke hatte der Konzern schon Anfang des Jahres verkündet: Auf der Route Berlin-München will die Bahn ihren Marktanteil auf 40 Prozent verdoppeln.
Schnelle Züge, kurze Fahrzeiten – das hat seinen Preis: zehn Milliarden Euro. So viel kostet die gesamte Neu- und Ausbaustrecke zwischen Berlin und München, das sogenannte Projekt VDE 8. Das Kürzel steht für „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“, vom Bund seit der Wende besonders geförderte Verkehrsachsen. Auf den Abschnitt Erfurt-Nürnberg entfällt gut die Hälfte der Summe, 5,2 Milliarden Euro.
ICE-Schnellfahrtrasse Berlin-München: 22 Tunnel auf 107 Kilometer
Bei der Fahrt auf der neuen Trasse quer durch den Thüringer Wald wird klar warum: Fast ununterbrochen reiht sich Tunnel an Brücke. Zwischen zwei Tunneln wird es kurz hell, dann fällt der Blick in sattgrüne Täler mit grasenden Kühen, bevor es wieder dunkel wird. In Zahlen: Auf 107 Kilometer wurden 22 Tunnel gegraben, der längste misst mehr als acht Kilometer. 29 Talbrücken wurden geschlagen, die längste überspannt das Ilmtal auf 1,7 Kilometern Länge.
Bevor es vorwärts geht in Erfurt, geht es allerdings erst einmal rückwärts. Der Grund heißt ETCS. Das Kürzel steht für „European Train Control System“, zu deutsch „Europäisches Zugkontrollsystem“: Die Strecke kommt ohne Signale aus, stattdessen erhalten die Lokführer ihre Anweisungen direkt auf einen Bildschirm im Führerstand. Auch der Abschnitt Halle/Leipzig-Erfurt ist bereits so ausgerüstet. Bloß der Erfurter Hauptbahnhof noch nicht komplett. Deshalb kann Premieren-ICE 94100 nicht direkt auf die neue Strecke fahren, sondern muss zunächst rangieren.
Erst im Herbst, kurz vor dem Start, soll auch der Bahnhof ausgestattet sein. Der Zeitplan ist, wieder mal, knapp. So war es schon vor zwei Jahren, vor Inbetriebnahme der Trasse zwischen Halle und Erfurt. Nicht Sicherungssysteme bereiteten damals Probleme, sondern Brücken. Wegen einer von den üblichen Bestimmungen abweichenden Gleisbett-Konstruktion musste die Bahn nachbessern. Das Eisenbahn-Bundesamt erteilte erst in letzter Minute die Betriebsgenehmigung. Das gleiche Gleisbett-System ist nun auch zwischen Erfurt und Nürnberg eingebaut. Diesmal habe es keine Probleme gegeben, sagt Projektleiter Olaf Drescher. „Wir haben mittlerweile die generelle Zulassung.“ Der 57-jährige Ingenieur, der für die Deutsche Bahn schon den Ausbau der Schnellstrecke Berlin-Hamburg leitete, wirkt erleichtert.
Derweil ist das Rangieren in Erfurt beendet, ICE 94100 verlässt den Erfurter Hauptbahnhof. Rechts und links ockerfarbene Lärmschutzwände, eine lange Linkskurve, eine Brücke über die A4, schon braust der Zug mit Tempo 230 parallel zur A71 gen Thüringer Wald. Vor dem Zugfenster wechseln sich Regen und Sonnenschein ab.
ICE-Schnellfahrtrasse Berlin-München: Mehr als 20 Jahre Planungs- und Bauzeit
Routine für Stefan Nelles und Volker Heitböhmer, die beiden Lokführer. Ihr Job: Probefahrten mit neuen Zügen und auf neuen Strecken im In- und Ausland. Bevor die Behörden alle Betriebsgenehmigungen erteilen, sind solche Tests vorgeschrieben. So haben die beiden etwa den Gotthard-Basistunnel in der Schweiz getestet oder den neuen ICE 4. Auch auf der Thüringer-Wald-Trasse waren sie schon unterwegs - aber noch nie mit Konzernchef Richard Lutz an Bord.
Wenn die Trasse im Dezember in Betrieb geht, werden mehr als 20 Jahre Planungs- und Bauzeit enden - und eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Eigentlich nämlich sollte die Strecke schon etliche Jahre früher fertig werden. Doch mal erzwangen Naturschützer gerichtlich einen Baustopp in der Saale-Elster-Aue bei Halle, mal stoppte der Bund die Arbeiten, weil das Geld fehlte. Projektleiter Drescher findet dennoch: „Großprojekte in Deutschland funktionieren!“
Auch wenn es manchmal etwas länger dauert. (mz)