Kommentar zu den Bluttaten Kommentar zu dem Anschlag in Ansbach, in Würzburg und dem Amoklauf in München: Die Bedrohung wird unsere Gesellschaft verändern

Köln - Blickt man zurück auf die vergangenen Tage, dann treten trotz allen Entsetzens über den tödlichen Amoklauf von München und die blutigen Attentate von Ansbach und Würzburg Eindrücke hervor, die tröstlich wirken und imstande sind, Zuversicht zu geben. Die ruhige und professionelle Arbeit der Polizei fand Ausdruck in dem Mann, der ihr ein Gesicht gab.
Der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins agierte so, wie man sich den modernen Beamten in einer Krisensituation wünscht – ruhig, gefasst und klar in den Aussagen, geduldig und in der Sprache der Bürger. Eine solche Souveränität ist notwendig, um Menschen den Glauben in den Staat und dessen Ordnungsfunktion nicht zu nehmen. Wie wenig selbstverständlich so etwas ist, hat das eklatante Versagen in der Kölner Silvesternacht gezeigt.
Münchner Bürger haben am Freitagabend ihre Wohnungen Fremden geöffnet, die wegen des Ausfalls des öffentlichen Nahverkehrs zu stranden drohten. Die sozialen Netzwerke, die so gerne als Hass-Schleudern funktionieren, wurden tatsächlich einmal ihrem Namen gerecht. Sie dienten als Informationsmedium, zeigten an, wer in Sicherheit war, brachten Menschen zusammen und stellten Klarheit und Sicherheit her. Will man eine Art von Bilanz ziehen, dann hat sich in München erwiesen, dass eine Gemeinschaft, eine Stadt, auch in der Krise die Nerven behalten kann.
Wir haben bisher vergleichsweise ruhig gelebt
Unüberlegte Politiker-Äußerungen, wenig kluge Journalisten-Fragen, Fehlalarme – all das darf man auch als Beleg dafür sehen, wie vergleichsweise ruhig wir bisher gelebt haben. Diese Gesellschaft verfügt eben nicht über die kühle Gelassenheit, mit der etwa Israelis seit Jahrzehnten ihren Alltag meistern: die Routine, mit der sie Schutzräume nach Raketenalarm aufsuchen oder sie beim Betreten öffentlicher Gebäude ihre Rucksäcke und Taschen nach Waffen und Explosivstoffen durchsuchen lassen.
Am 24. März 2015 steuerte der Pilot Andreas Lubitz einen Germanwings-Airbus gegen einen Berg. Er beging Selbstmord, wie der Untersuchungsbericht ergab und riss weitere 149 Menschen in den Tod. Seit mehr als einem Jahr also muss sich dieses Land nun unmittelbar mit Formen von Amoklauf und Terror auseinandersetzen. Entweder innerhalb seiner Grenzen oder in der unmittelbaren Nachbarschaft, in Frankreich oder Belgien. Dort, wo man sich gerne freie Tage gönnt.
Welche Blutspur Amokläufe ziehen können, zeigen die USA, Norwegen, der Germanwings-Absturz sowie jetzt München. Es handelt sich dabei abseits krankhafter Motive der Täter um schwerste Kapitalverbrechen. Und doch ist es wichtig, sie möglichst von einem Terroranschlag zu unterscheiden – denn Krankheit ist nicht identisch mit dem allumfassenden Anspruch von Krieg, der dem Terror jüngerer Zeit zugrunde liegt.
Ein asymmetrischer Krieg von Habenichtsen
Terroristen gehorchen einem System, einer Ideologie, berufen sich auf einen Gott, und die der Neuzeit wollen töten: möglichst viele Menschen und egal wen. Es ist dieser asymmetrische Krieg von Habenichtsen, dessen Taten der IS so gerne für sich reklamiert und der das Zeug dazu hat, eine Gesellschaft zu zermürben.
Auch dieses Land lebt mit der steten Drohung. Politiker, Geheimdienstchefs, Experten – alle sagen übereinstimmend, dass sich jederzeit ein Anschlag ereignen könnte. Die ständige Anspannung erklärt manche sinnlose TV-Übertragung vergangener Tage und verfrühte Online-Spekulationen. Es ist diese Bedrohung, die uns und unsere Gesellschaft verändern wird. Der Umgang mit Gewalt bis hin zu Amok und Terror wird professioneller werden, die Reaktionen darauf auch.
Wichtig ist, dass wir bereit sind, weiter zusammenzustehen, dass der Staat – im übertragenen Sinn – das ruhige Auftreten eines Münchner Polizeisprechers behält und wir bereit sind, unsere Türen für Fremde in Not offen zu halten. So, wie in München.