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Entführte Familie im Jemen Entführte Familie im Jemen: Tod ist Gewissheit der Rest ein Rätsel

Von Bernhard Honnigfort 24.09.2014, 06:48

Berlin - Am 12. Juni 2009 beschließen Sabine und Johannes Hentschel, nach der Arbeit mit Freunden in die Berge zu fahren und dort ein Picknick zu machen. Tatsächlich brechen sie auch auf, die beiden Entwicklungshelfer aus Deutschland, ihre Kinder, Freunde. Zum Abschied winken sie vergnügt – es ist das letzte, an was sich ihre Kollegen im Krankenhaus in der nordjemenitischen Provinz Saada erinnern.

Was danach geschehen ist, wird vermutlich immer ein Rätsel bleiben. Die Familie Hentschel aus Sachsen ist tot. Wer die Gruppe angegriffen und entführt hat, wie und wo die Menschen starben – die Umstände bleiben unklar. Das Auswärtige Amt hat die Angehörigen kürzlich informiert. In dem Schreiben heißt es: „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon Hentschel im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben.“

Die beiden evangelikalen Entwicklungshelfer hatten für die christliche Hilfsaktion „Worldwide Sevices“ am staatlichen Krankenhaus in Saada gearbeitet, sie als Krankenschwester, er als Haustechniker. Sie waren mit ihren drei Kindern verschleppt worden. Ihre beiden Töchter Lydia (10) und Anna (8) kamen 2010 unter unklaren Umständen frei. Nach Gerüchten soll ein Spezialkommando des saudischen Geheimdienstes sie freigehandelt oder befreit haben.

Die beiden Mädchen müssen nach der Entführung vom Rest der Familie getrennt worden sein. Bei ihrer Freilassung waren sie angeblich „herausgeputzt wie Prinzessinen“, nannten sich Sarah und Fatima und sprachen Arabisch. Sie leben heute in der Familie eines Onkels in Sachsen. Ihr fast einjähriger Bruder Simon erkrankte damals angeblich und starb. Die Mädchen berichteten später, der kleine junge habe viel geweint. Eine Frau habe ihn auf dem Arm getragen. Dann sei sie weggefahren und ohne ihn wiedergekommen.

Drei der Entführten - zwei deutsche Krankenschwestern und eine südkoreanische Lehrerin – fand man später. Sie waren erschossen worden. Von einem britischen Ingenieur fehlt weiter jede Spur, man vermutet, er sei auch tot.

Der Schwager der Opfer, Pastor Reinhard Pötschke aus Radebeul bei Dresden, sagte der Evangelischen Nachrichtenagentur idea , nachdem die Familie den Brief aus dem Auswärtigen Amt erhalten hatte, es sei schwer, „einen solchen Satz schwarz auf weiß zu lesen – auch, wenn wir eine solche Nachricht befürchtet hatten“.

12. Juni 2009: Das Ehepaar unternimmt mit seinen beiden Töchtern und dem kleinen Sohn in der nordwestlichen Provinz Saada einen Ausflug. Ihnen schließen sich vier Arbeitskollegen an - ein britischer Ingenieur, eine südkoreanische Lehrerin und zwei Bibelschülerinnen aus Niedersachsen. Sie arbeiten für die niederländische Wohlfahrtsorganisation «Worldwide Services» in einem Krankenhaus. Auf dem Rückweg werden sie von bewaffneten Männern verschleppt.

15. Juni 2009: Die Leichen der zwei deutschen Pflegehelferinnen und der Koreanerin werden im Nuschur-Tal nahe der Ortschaft Akwan entdeckt. Die Frauen wurden erschossen. Von den restlichen Geiseln fehlt jede Spur. Noch ist unklar, ob Kriminelle oder islamistische Terroristen die Täter sind.

23. Dezember 2009: Die «Bild»-Zeitung berichtet, dass es von den drei Kindern ein Lebenszeichen gebe. Der Bundesregierung soll ein Video der Kidnapper vorliegen. Im Auftrag des Krisenstabes reist der frühere Außenstaatssekretar Jürgen Chrobog als Vermittler in den Jemen. Dort waren er und seine Familie im Dezember 2005 selbst Opfer einer Geiselnahme geworden.

11. Januar 2010: Zum Abschluss seiner Reise an den Golf macht Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) einen Blitzbesuch in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Er spricht mit Vertretern der Regierung über das Schicksal der deutschen Familie. Danach erklärt er, die jemenitische Führung kenne den Aufenthaltsort der Geiseln.

12. Januar 2010: Die jemenitische Regierung hat Kontakt zu den Entführern der sächsischen Familie. Außenminister Abu Bakr al-Kirbi erklärt in der Hauptstadt Sanaa: «Wir verhandeln jetzt über ihre Freilassung.» Wer die Entführer sind, sagt der Minister nicht.

13. Januar 2010: Nach Informationen von «Spiegel Online» verlangen die Kidnapper unter anderem zwei Millionen Dollar (1,4 Millionen Euro) Lösegeld. Sie wollen außerdem Straffreiheit und freies Geleit.

15. März 2010: In der jemenitischen Wüste werden fünf verkohlte Leichen gefunden. Befürchtungen, es könne sich um die fünfköpfige Familie handeln, bestätigen sich nicht.

18. Mai 2010: Eine Spezialeinheit aus Saudi-Arabien rettet die beiden Mädchen. Sie soll die Kinder in einem Dorf im Bezirk Schadha in der Provinz Saada nahe der saudischen Grenze aufgespürt haben.

23. September 2014: Die Angehörigen geben bekannt, dass sie vom Auswärtigen Amt über den Tod der vermissten Eltern und des Jungen informiert wurden. „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon Hentschel im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben“, zitiert die Familie aus dem Schreiben des AA.

Fünf Jahre Hoffen und Bangen und nun dieser Brief. Es sei eine Situation, in der viele Emotionen und Erinnerungen wach würden. Auf der anderen Seite sei die Familie dankbar, dass sie jetzt Gewissheit habe.

Pötschke dankte im Namen aller Angehörigen all jenen, die über die Jahre treu für Johannes, Sabine und Simon sowie deren Familie in Deutschland gebetet hätten. Den Töchtern Lydia und Anna, die bei Verwandten leben, gehe es gut. Die Familie suchte jetzt nach einem würdigen Rahmen des Abschieds für die Toten.

Ermittlungen nach den Entführern oder eine juritsische Klärung wird es wohl nie geben. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weder 2009 nach der Entführung, noch heute. Die Hintergründe der Entführung seien völlig unklar. Ein terroristischer Hintergrund sei 2009 nicht hinreichend belegbar gewesen und sei es heute auch nicht, so ein Behördensprecher.

Die Hentschels waren nicht die ersten Deutschen, die im Jemen entführt wurden. Prominentestes Opfer war der frühere Staatssekretär Jürgen Chrobog, der mit Frau und drei erwachsenen Söhnen im Dezember 2005 verschleppt wurde und wieder frei kam.

Auf seiner Internetseite warnt das Auswärtige Amt seit längerem ausdrücklich vor Reisen nach Jemen. Das kleine Land am Golf von Aden mit rund 24,4 Millionen Einwohnern gilt als politischer Unruheherd. Vor drei Jahren waren Massenproteste gegen Präsident Ali Abdullah Saleh ausgebrochen. Er trat danach zurück. Jemen, ein Verbündeter der USA, wird  häufig von Anschlägen einer besonders aktiven Gruppe der Terrororganisation al-Quaida heimgesucht.