Ein Jahr nach dem Schulmassaker Ein Jahr nach dem Schulmassaker: 10 000 gedenken der 16 Opfer in Erfurt

Erfurt/dpa. - Ein Jahr nach dem Erfurter Schulmassaker haben rund 10 000 Menschen in einer bewegenden Feier auf dem Domplatz am Samstag der 16 Opfer gedacht. Schüler, Lehrer und Angehörige erinnerten sich in Trauer an die schreckliche Bluttat, mahnten aber zugleich mehr Miteinander in der Gesellschaft an. «Der 26. April 2002 hat Wunden geschlagen, die nie völlig verheilen werden», sagte Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU). Er forderte zum Umdenken in der Gesellschaft auf. «Längst ist der Kampf gegen Gewalt, gegen Aggression und Hass nicht gewonnen.» Die Gedenkfeier begann mit Glockenläuten und einer Schweigeminute.
Die Erinnerung an das Massaker wurde vor der Kulisse des Domes für viele wieder lebendig. Schüler umarmten sich, und Trauer spiegelte sich in Gesichtern wider. «Wir können nicht vergessen, wir wollen nicht vergessen», sagte Oberbürgermeister Manfred Ruge (CDU). Der 19- jährige Robert Steinhäuser hatte vor einem Jahr zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin und einen Polizisten umgebracht und sich dann selbst erschossen. Die Tat löste weltweit Entsetzen aus. Auf den Domstufen waren ein Kreuz und ein «G» aus Sonnenblumen als Schulsymbol zu sehen. Schüler legten 16 Blumengebinde nieder.
Die Gedenkfeier unter dem Motto «Erinnern - Leben» sollte auch Zeichen des Neubeginns sein: Schüler, Hinterbliebene, Schulleiterin Christiane Alt und Polizeidirektor Rainer Grube lasen Lebenswünsche vor. «Ihr seid die Mahnung, dass wir lernen müssen, besser miteinander umzugehen», sagte Opfervertreter Eric Langer, der die Namen der 16 Opfer verlass. Vogel bezeichnete Schüler und Lehrer des Gymnasiums als Vorbild, weil sie der Mut nicht verlassen habe. Sie hätten ein Klima des Miteinanders geschaffen. Pfarrerin Ruth- Elisabeth Schlemmer fragte mit Blick auf gesellschaftliche Folgen: «Wo ist der Wille zur Veränderung geblieben?»
Um 10.53 Uhr läuteten in Erfurt die Glocken fast aller Kirchen. Um diese Zeit begann der ehemalige Gutenberg-Schüler Steinhäuser vor einem Jahr das Morden. Um 11.00 Uhr verharrte die Stadt in einer Schweigeminute. Rund 1000 Menschen erwiesen den Opfern bei der Kranzniederlegung am Gutenberg-Gymnasium die Ehre. Schuldirektorin Alt bekannte: «Hier verbrachten wir die schwersten Stunden unseres Lebens.» Hunderte besuchten die Ausstellung mit Zeugnissen weltweiter Anteilnahme. In mehreren Thüringer Zeitungen erinnerten Traueranzeigen an die Toten.
Die Eltern des Gutenberg-Attentäters Robert Steinhäuser zeigten sich ratlos über die Bluttat ihres Sohnes und gaben sich teilweise eine Mitschuld. «Ich denke immer, dass ich gerade in den letzten Monaten nicht wirklich für Robert da war», sagte seine Mutter dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel». Der Vater sagte der «Thüringer Allgemeinen» (Samstagsausgabe), es sei ihm bis heute nicht gelungen, die Frage nach dem Warum der Bluttat seines Sohnes zu beantworten.
Vogel hält weitere Verschärfungen im Waffenrecht und Jugendschutz für nötig. «Thüringen wird zu gegebener Zeit entsprechende Schritte einleiten», sagte er der dpa. Die Altersgrenze für Waffenbesitz solle von 21 auf 25 Jahre steigen. Außerdem müsse der Vertrieb und Verleih menschenverachtender Videos weiter eingeschränkt werden. Die Gewerkschaft der Polizei beklagte zunehmende Jugendgewalt.

