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30. Januar 1933 30. Januar 1933: Der Anfang des Untergangs

24.01.2008, 09:43
Mit einem nächtlichen Fackelzug der SA - hier vor dem Brandenburger Tor - feieren die Nationalsozialisten die Machtübernahme (Archivfoto vom 30.01.1933). Der Reichspräsident und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg hatte zuvor Adolf Hitler, den Führer der NSDAP, zum Reichskanzler ernannt. (Foto: dpa)
Mit einem nächtlichen Fackelzug der SA - hier vor dem Brandenburger Tor - feieren die Nationalsozialisten die Machtübernahme (Archivfoto vom 30.01.1933). Der Reichspräsident und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg hatte zuvor Adolf Hitler, den Führer der NSDAP, zum Reichskanzler ernannt. (Foto: dpa) A0009 dpa

Berlin/dpa. - Die Nazis haben mit derWahl zur stärksten Reichstagsfraktion im vorangegangenen Sommer zwarihren Höhepunkt erreicht, aber Reichspräsident Paul von Hindenburghat Adolf Hitler die Kanzlerschaft verweigert. Bei der Neuwahl imHerbst haben sie Stimmen eingebüßt. «Der gewaltigenationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat istabgeschlagen», urteilt die renommierte «Frankfurter Zeitung». VierWochen später, am 30. Januar 1933, ist Hitler dennoch Kanzler undbeginnt sein Schreckensregime. Wie konnte es dazu kommen?

Seit der Gründung 1920 dümpelte die NationalsozialistischeDeutsche Arbeiterpartei (NSDAP) mit ihren Antimarxismus und Judenhassbedeutungslos vor sich hin. Ein Umsturzversuch scheiterte 1923 inMünchen kläglich. Bei der Wahl 1928 kam sie nur auf 2,6 Prozent ­ soviel, wie rechtsextremistische Parteien auch heute manchmalerreichen.

Ihr Aufstieg begann mit der Weltwirtschaftskrise. Die Zahl derArbeitslosen wuchs im Februar 1932 auf 6,1 Millionen ­ eine Quote von30 Prozent. Hinzu kam die politische Instabilität: In 14 JahrenWeimarer Republik wechselte die Regierung 20 Mal. Immer mehrErwerbslose zog es zu den Kommunisten; Arbeiter und Angestellte zuden Nazis. Beide Seiten lieferten sich tödliche Straßenschlachten.Auch Teile des Mittelstands, die eine Bolschewisierung des Landes undsozialen Abstieg fürchteten, wandten sich den Nazis zu. DieMachtelite setzte auf ein Ende der verachteten Parlamentsdemokratie.

Doch Ende 1932 durchschritt die Wirtschaft die Talsohle. DieArbeitslosenzahl sank wieder. Enttäuscht von Hitlers Weigerung, sichunter einem anderen Kanzler an der Regierung zu beteiligen, wandtensich bei der Wahl im November viele von den Nazis ab. Der SA liefendie Mitglieder davon. Hitler trug sich mit Selbstmordgedanken.

In dieser Situation Anfang 1933 glaubt die rechte Machtelite, diegeschwächten, aber immer noch starken Nazis für sichinstrumentalisieren zu können: Sie sollen einem autoritären Regimedie Massenbasis verschaffen, aber nicht die alleinige Macht bekommen.Der als Kanzler gescheiterte Konservative Franz von Papen schmiedetdeshalb hinter dem Rücken seines Nachfolgers Kurt von Schleicher einBündnis mit Hitler. Darin sollen auch die reaktionäreDeutschnationale Volkspartei und die nationalistische OrganisationStahlhelm eingebunden werden. Hindenburg, der Hitler nicht schätzt,billigt das.

Am 28. Januar tritt Schleicher mangels Mehrheit im Reichstagzurück. Zwei Tage später, am Vormittag des 30. Januar, vereidigtHindenburg die neue Regierung Hitler/Papen. Von den zunächst neunKabinettsmitgliedern sind nur drei Nazis: Hitler als Kanzler, WilhelmFrick und Hermann Göring. Hitler verspricht, die Verfassung zuerhalten. Dann schließt Hindenburg die kurze Zeremonie: «Und nun,meine Herren, vorwärts mit Gott!» Papen wird seine völlige Verkennungdes Kräfteverhältnisses später mit der Bemerkung belegen, man habesich Hitler engagiert und werde ihn bald «so in die Ecke gedrückt(haben), dass er quietscht».

Am Abend ziehen in Berlin gut 20 000 SA-Leute und Stahlhelm-Angehörige in einem stundenlangen Fackelzug durch das BrandenburgerTor und die Wilhelmstraße hinunter. Tausende beobachten denAufmarsch, an einem Fenster der Reichskanzlei auch Hitler. BeimRundfunk haben die Nazis eine Live-Berichterstattung durchgesetzt.Der Satiriker Kurt Tucholsky hört am Radio mit und prägt seinenSpruch: «Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.»Für andere ist es nicht mehr als ein weiterer Regierungswechsel. DieZeitgenossen hätten dem Kabinett «keine lange Zukunft eingeräumt»,sagt der Historiker Hans Mommsen.

Wenige Monate später sieht alles anders aus. Der Schwung der neuenMachthaber und die zunehmende Konjunktur gefallen den Menschen. GegenKommunisten, Sozialdemokraten und andere Gegner jedoch bricht nachdem Reichstagsbrand am 28. Februar der bis dahin halbwegs gezügelteTerror von SA und SS vollends los. Am Ende des Jahres sind - selbstnach halbamtlicher Statistik ­ 100 000 Menschen verhaftet. Die ersten600 ­ darunter auch Juden - sind ermordet. Zwölf Jahre später werdenes Millionen sein.