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Medizintechnik Medizintechnik: Bissfestere Prothesen

Von JULIA KLABUHN 30.11.2010, 17:31

Halle (Saale)/MZ. - Um einen Unterkiefer oder einen Teil davon zu ersetzen, braucht man stabiles Material. Denn der Gesichtsknochen ist beim Kauen, Reden und Beißen ständiger und teils starker Belastung ausgesetzt. Ist, etwa in Folge einer Krebserkrankung oder durch einen Unfall, der Unterkieferknochen beschädigt oder sogar unterbrochen, wird gewöhnlich eine Titanplatte als Prothese verwendet. Sie hält die verbleibenden Knochenstücke im Kiefer zusammen.

"Titan ist ein sehr stabiles Material", erklärt Andreas Heilmann, Geschäftsfeldleiter biologische und makromolekulare Materialien am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik (IWM) in Halle. Dennoch, zehn Prozent der Patienten mit Unterkieferprothese müssen abermals operiert werden, weil die Prothese nicht hält. Der Grund: Bevor die Platte eingesetzt wird, muss sie mit Zangen in die richtige Form gebracht werden. "Beim Biegen der Prothese können unbemerkt Risse entstehen", erklärt Heilmann. "Die Operation an sich ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit. Das Biegen der Platte ist dabei nur einer von vielen Arbeitsschritten", erklärt Heilmann die Fehlerrate.

Die Zahl der beschädigten Prothesen wollen Wissenschaftler aus Halle, Merseburg und Bochum nun verringern. Denn wiederholte Operationen sind nicht nur für die Patienten eine Belastung. Auch den Chirurgen soll die Arbeit erleichtert, und gleichzeitig dem Gesundheitssystem Geld gespart werden. Das Vorhaben wird vom Bundesforschungsministerium unterstützt. Im Rahmen des Innovationswettbewerbs Medizintechnik wird es drei Jahre lang mit insgesamt 400 000 Euro gefördert.

Neben dem IWM Halle arbeiten der Mediziner Peter Mauerer vom Klinikum der Ruhruniversität Bochum und die Arbeitsgruppe von Wolf-Dietrich Knoll, Professor für Konstruktionstechnik an der Hochschule Merseburg an dem Projekt. Zudem beteiligt sich ein Unternehmen aus Tuttlingen als Partner an dem Projekt. Zwei Ziele haben sich die Wissenschaftler gesetzt: Das Biegeverfahren für die Prothesenplatten zu optimieren und Prothesen aus Kunststoff zu entwickeln.

Die Hochschule Merseburg berechnet dazu Modelle der Kräfte, die auf den Unterkiefer wirken. Am Klinikum der Ruhruni Bochum sollen Prototypen für das Biegeverfahren getestet werden. Das IWM nehme in diesem Projekt die vermittelnde Stellung zwischen Modell und Anwendung ein, so Heilmann. "Das IWM bearbeitet die Fragen der technischen Umsetzung", erklärt Heilmann.

So soll etwa eine Biegevorrichtung gebaut werden, mit der sowohl Titanprothesen als auch Kunststoffprothesen bearbeitet werden können. "Deshalb muss sie beheizbar sein, denn Kunststoff lässt sich nicht kalt biegen", sagt Stefan Schwan, Wissenschaftler am IWM. Entscheidend sei, dass die Platten immer nur in eine Richtung, nie zurück gebogen werden. Denn sonst wird die Stabilität der Prothesen beeinträchtigt.

Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen erste Tests mit der Biegevorrichtung für die Titanprothesen gemacht werden. "Bis Kunststoffprothesen eingesetzt werden, kann es allerdings noch länger dauern", sagt Heilmann. Denn der Kunststoff, ein sogenanntes Peek Polymer, ist für den Einsatz als Kieferprothese noch nicht zugelassen. Bisher werde es in der Medizin etwa zur Bandscheibenverfestigung verwendet. Für den Einsatz in einem neuen Anwendungsgebiet muss der Kunststoff zunächst im Tierversuch getestet werden. Erst wenn sich die Prothesen dort als geeignet erwiesen haben, könne man klinische Studien an Patienten beantragen, erklärt Heilmann.

Ob die Kunststoffplatten stabiler sein werden als die Titanprothesen, könne man noch nicht sagen, so Heilmann. "Eine Titanplatte hält 15 Jahre Kauen aus", sagt Heilmann. Zu kurz für viele Patienten, die dann für eine neue Prothese eine weitere Operation über sich ergehen lassen müssen. Die Wissenschaftler hoffen jedoch, dass auch die Titanprothesen durch das neue Verfahren langlebiger werden.