Kommunalwahl im Saalekreis Das Land vergessen: Warum die AfD so erfolgreich ist
Die AfD dominiert bei Europa- und Kreistagswahl im Saalekreis, erstmals gewinnt sie sogar einige Stadträte. Doch warum ist die Partei im wirtschaftsstärksten Kreis des Landes so erfolgreich? Die Ampel-Regierung in Berlin ist nur eine Antwort.
Merseburg/Leuna/Schraplau/MZ. - „Da haben wir zu wenig gekriegt“, hadert Stefan Wust, AfD-Kreistagsmitglied, mit dem bundesweiten Abschneiden seiner Partei, der AfD, bei der Europawahl. 15,9 Prozent. „Wir hätten mehr Stimmen bekommen, wenn der Bundesvorstand nicht Maximilian Krah gecancelt hätte.“
Der EU-Spitzenkandidat war wegen Äußerungen zu SS-Soldaten und möglichen Verstrickungen mit China zuletzt negativ in die Schlagzeilen geraten. Mit Blick auf das EU-Wahl-Ergebnis im Saalekreis sagt Wust dagegen: „Bei uns passt das so.“
Die Äußerungen zeigen das Selbstbewusstsein, das in der Saalekreis-AfD nach den Wahlen am Sonntag herrscht. Bei der Europawahl lag die AfD in allen Kommunen an der Spitze, ließ die CDU am Ende um knapp 11,5 Prozentpunkte hinter sich.
Die Kreistagswahl gewann die Partei – knapper – ebenso wie einige prestigeträchtige Stadtratswahlen, etwa in Merseburg oder Leuna. Mancherorts war der Erfolg der AfD gar größer als ihr Kandidatenfeld. Weswegen beispielsweise in Schkopau, Kabelsketal oder Bad Dürrenberg mehrere Ratssitze frei bleiben.
Fragt man Wust nach den Gründen für dieses Abschneiden im wirtschaftsstärksten Kreis des Landes, in dem heute fast Vollbeschäftigung herrscht, dann sieht er vor allem zwei: „Die Unzufriedenheit mit der Ampel. Und die harte Linie von uns, von Tillschneider, hat sich ausgezahlt.“
Der Kreischef Hans-Thomas Tillschneider verpasste der Saalekreis-AfD in den vergangenen Jahren das Image als Rechtsaußen in einer vom Verfassungsschutz ohnehin als rechtsextrem eingestuften Partei.
Kriegsangst und Frust
Die Arbeit von SPD, FDP und Grünen in Berlin ist ein Grund, den alle Gesprächspartner für die Stärke der AfD ins Feld führen – so auch Landrat Hartmut Handschak (parteilos): „Die Wahl ist die Ablehnung der Bundespolitik.“ Kommunalpolitik sei eigentlich etwas anderes, aber kommunalpolitische Themen seien nicht zu den Menschen durchgedrungen.
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Zugleich konstatiert der Landrat: Das Ergebnis zeige, dass eine Ausgrenzung einzelner Parteien nicht funktioniere, weil die Wähler das anders sehen.
„Das Thema Migration spielt in den Köpfen der Menschen eine große Rolle. Wir schaffen es nicht, das zu versachlichen“, analysiert der Landrat und hebt noch ein wichtiges Thema für die Wähler hervor: den Krieg in der Ukraine. Viele hätten Angst vor einer Ausweitung, vor persönlicher Betroffenheit.
„Schraplau ist nicht blau oder braun, aber der Frust sitzt tief“, ordnet Olaf Maury (parteilos) das Kreistagswahlergebnis in Schraplau ein. Mit 43,2 Prozent holte die AfD dort ihren besten Wert. „Es war eine Frustwahl“, sagt der Bürgermeister der kleinsten Stadt des Kreises: „Keiner weiß, was die AfD in Kreistag oder Stadtrat treibt, trotzdem wird sie gewählt.“
Als Frustursache sieht Maury allerdings mehr als die Tagespolitik in Berlin. „Der ländliche Raum wird immer mehr vernachlässigt. Die Kommunen haben Investitionsstau.“ Es passiere nur etwas in den Städten, nicht auf dem Land. „Aber die Leute müssten wissen, dass die AfD nichts bewirken kann.“
Was macht die AfD nun in den Räten?
Rüdiger Patsch dürfte das naturgemäß anders sehen. Er ist frisch in den Kreistag gewählt und ist seit fünf Jahren das Gesicht der Leunaer AfD-Fraktion. Die wird ab Juli massiv anwachsen, auf neun statt bisher vier Räte. „Dass es so gut wird, hat mich überrascht“, kommentiert Patsch.
Während er die Europawahl dem Geschehen in Berlin zuschreibt, benennt er als Gründe für den Erfolg auf lokaler Ebene: „Einen guten Wahlkampf und unsere Arbeit im Stadtrat.“ Dort werde man den bisherigen Kurs fortsetzen. „Das, was gut ist für die Stadt, unterstützen wir natürlich – was nicht gut ist, lehnen wir ab.“
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AfD-Kreischef Tillschneider hatte vor der Wahl eine weiterhin destruktive Antipolitik auf kommunaler Ebene angekündigt – zumindest bis seine Partei in Bund oder Land an der Macht sei. Wust dagegen bestreitet, dass seine Partei bisher einen Antikurs im Kreistag gefahren habe.
„Wir haben prinzipiell bei 90 Prozent der Anträge zugestimmt.“ Wust verweist auf die kleinen Handlungsspielräume im Kreisbudget, in dem 95 Prozent des Geldes für Pflichtaufgaben gebunden sind. Da könne man kaum Wohltaten wie Schwimmhallen versprechen: „Man muss die Realität im Blick behalten.“
Zusammenarbeit mit der AfD?
Eine Aufgabe, die für Hartmut Handschak ohnehin besteht. Die neue Realität für den Landrat beinhaltet einen Kreistag mit der AfD als stärkster Fraktion. „Wir werden uns dieser Herausforderung stellen.“ Von direkter Zusammenarbeit spricht Handschak nicht, aber er sagt: „Wir müssen uns mit inhaltlichen Themen der AfD auseinandersetzen.“
Anträge der Partei müssten danach bewertet werden, ob sie zum Wohle der Menschen oder populistisch seien. Danach müsste entsprechend abgestimmt werden. „Für mich als Landrat gibt es aber auch rote Linien. Das sind Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit. Das sind Dinge, bei denen kann es nie eine Zusammenarbeit geben“, betont Handschak.