Kommunalwahl im Saalekreis Frust bei Aussteigerinnen aus der Kommunalpolitik: „Man wird nicht ernstgenommen“
Die eine war Kreischef der Grünen und saß im Kreistag, die andere war zehn Jahre Stadträtin in Bad Lauchstädt. Zwei Frauen kehren der Kommunalpolitik frustriert den Rücken. Sie erklären, was sie dazu bewegt. Naziaufkleber am eigenen Postkasten waren nur ein Grund.
Merseburg/MZ. - „Ich habe kein Ehrenamts-Burnout, aber ich will mich nach fünf Jahren jetzt mal nicht mehr ärgern“, sagt Lisa Stöffgen. Denn geärgert habe sie sich viel, seit sie 2019 den Schritt in die Kommunalpolitik gewagt hat. Damals zog die heute 35-Jährige als parteilose Kandidatin in den Stadtrat von Braunsbedra und den Kreistag ein.
Es folgte eine politische Karriere im Schnelldurchlauf: Beitritt bei den Grünen. Ein Jahr später deren Kreisparteichefin, für eine zweite Amtszeit kandidiert sie nicht, im Vorjahr der Parteiaustritt – und nun der Rückzug aus der Kommunalpolitik. Desillusioniert.
Auch interessant: Rechtsextremismus im Saalekreis - Angriff auf Haus von Asylbewerbern am Hitler-Geburtstag in Mücheln: Polizei ermittelt Tatverdächtige
Auf die Frage, ob sie das Gefühl hat, in den fünf Jahren etwas bewegt zu haben, antwortet Stöffgen: In Braunsbedra habe sie kleine Schritte erreicht. „Aber nicht im Stadtrat. Da sind wir als Fraktion mit allem gescheitert.“ Als sie vor fünf Jahren angetreten war, sei ihre Vorstellung von der demokratischen Arbeit gewesen, dass es um konstruktiven Streit gehe, um ein Ringen nach konstruktiven Lösungen. Doch das habe sie weder in der Partei noch im Stadtrat oder Kreistag erlebt: Dort habe sie eher „den bekloppten Kampf der Fraktionen untereinander“ gespürt.
Politischer Alltag im Saalekreis: „Bekloppter Kampf der Fraktionen“
Was die ehemalige Kreischefin, die nach der Räumung des nordrhein-westfälischen Lützerath für einen Tagebau, die von den Grünen mitgetragen wurde, ihr Parteibuch abgegeben hat, zudem stört, ist die fehlende Beteiligung von Teilen der Gesellschaft: „Es gibt keine Lobby für junge Menschen, für Menschen mit Behinderung.“ Das sei keine bösartige Absicht. Den Akteuren fehle vielmehr aus Zeitknappheit das Gefühl dafür, dass es Menschen jenseits ihrer Blase gebe, die beteiligt werden müssten: „Ich bin überzeugt, dass Leute, die lange im Politikbetrieb rumhängen, das Verständnis verloren haben, wie schwierig er von außen zu verstehen ist.“
Und noch etwas anderes stört Stöffgen: „Es besteht auf allen politischen Ebenen das Missverständnis, dass Politik unemotional sein muss, weil Emotionen ja persönlich sind.“ Dabei sei Politik doch persönlich: „Wir gestalten unser Leben, das unserer Kinder.“ Die Braunsbedraerin ist nicht die einzige Mandatsträgerin, die sich nicht aus Altersgründen, sondern aus Frust aus der Kommunalpolitik zurückzieht – in der Goethestadt gibt es gleich mehrere.
Hier ging schon früh in der ablaufenden Legislaturperiode ein Riss durch den Rat zwischen der Mehrheit und jenen, die sich als Opposition verstanden. Die Vertreter der Fraktion Bürgerbündnis blieben den Sitzungen teils fern – was ihnen wiederum Kritik aus dem übrigen Rat einbrachte.
„Sie sollten sich fragen, warum keiner da war“, findet Stefanie Herbarth: „Ich bin teilweise nicht mehr hingegangen, weil ich schon wusste, wie es ausgeht.“ Vor allem kritisiert die Lauchstädterin, die einst im Kampf gegen Straßenausbaubeiträge für den Stadtrat angetreten war, die Streitkultur: „Die Kommunikation untereinander ist furchtbar. Wenn man anderer Meinung ist, wird das nicht akzeptiert. Man wird nicht ernst genommen.“
Anfeindungen im Privaten: „Ich tue mir das nicht nochmal an“
Im Stadtrat, betont Herbarth. Im Lauchstädter Ortschaftsrat sei der Umgang angenehmer gewesen. Dennoch kandidiert sie am Sonntag gar nicht mehr. „Ich tue mir das nicht nochmal an.“ Ihre Freizeit wolle sie nun lieber in die Arbeit für das neue Hospiz investieren.
Lesen Sie auch: Archiv - Kommunalparlamente konstituieren sich: Wie sich die Neuen vorbereitet haben
Das Empfinden, nicht ernst genommen zu werden, kennt auch Stöffgen. Es sei nicht einfach, als einzige Frau im Stadtrat zu sitzen: „Ich hatte nicht das Gefühl, da wird auf Augenhöhe diskutiert.“ Dafür hat sie nach eigenen Worten vor allem durch ihre Arbeit als Grüne etwas anderes erlebt: „Wir hatten jetzt fünf Jahre lang Faschoaufkleber am Briefkasten, am Auto.“ Da sei einem schon bewusst, dass die Rechten wüssten, wo man lebt, sagt Stöffgen.
Ihr selbst habe das keine Angst bereitet, aber man müsse das abkönnen. Auch die Familie. Für die will sie künftig wieder mehr Zeit haben. Wenn die Kinder irgendwann größer sind, schließt sie eine Rückkehr in die Politik nicht gänzlich aus. Sie weiß dann zumindest, worauf sie sich einlässt.